Digitale Inkompetenz: Schüler fällen vernichtende Urteile über ihre Lehrer
Lediglich 8% der Lernenden "halten die Mehrheit des Lehrpersonals für 'sehr kompetent' im Umgang mit digitalen Medien. 43% der befragten Schüler urteilen, dass ihre Lehrer wenig bis gar keine Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien besitzen. Nur 17% der Schüler kommen zu dem Schluss, dass die schulisch vermittelte Digitalkompetenz später hilfreich sein könnte." (Quelle)
Das bedeutet nicht, dass digitale Medien in Unterrichtsprozessen gar nicht auftauchen würden. Viele Lernende bestätigen denn auch, dass "digitale Medien längst ihren Weg in den Unterricht gefunden haben, 69% der Lehrer setzen diese mehrmals pro Woche im Unterricht ein – auf den ersten Blick ist das ein recht beindruckender Wert. Doch gleichzeitig bemängeln 58% der Schüler, dass sich der Unterrichts-Stil der Lehrer beim Einsatz digitaler Medien kaum bis gar nicht vom normalen Lehrstil unterscheide." Es wird halt gelehrt. Basta.
Der Unterricht bleibt derselbe, auch wenn er sich anderer Mittel bedient.
Die Studie bestätigt noch einmal eindrücklich: Lehrer und ihr Unterricht sind weit davon entfernt, Lernende in ihrem Lernen kompetent zu unterstützen. Ihnen Strukturen und Prozesse zur Verfügung zu stellen, die sie brauchen, um ihre eigene Zukunftsfähigkeit lustvoll zu entwickeln. Lehrende Professionen haben noch immer keine Kompetenzen als Lerncoaches, mit denen sie Lernprozesse so gestalten, dass Menschen gestaltungsfähig werden, und komplexitätsaffin, und lösungsorientiert, und selbstständig, und selbstwirksam.
Dabei wissen wir heute schon sehr genau, dass und wie sich Digitalisierung, Automatisierung, Virtual- Augmented- und Liquid Reality, aber auch die künstlichen Intelligenzen massiv auf unsere Lebens- und Arbeitswelten auswirken werden. Umso mehr stehen unsere Bildungsinstitute eigentlich in der Pflicht, diese Realitäten wahrzunehmen und die Bildung entsprechend auf den Kopf zu stellen. Das passiert aber nicht. Woran liegt das? An einem zynischen Paradox:
So richtig lernresistent ist nur das Bildungssystem
Die höchste Lern- und Entwicklungsresistenz findet sich in unseren Gesellschaften bis heute dort, wo Lernen und Entwicklung verwaltet werden: In den Bildungseinrichtungen. Das ist zynisch. Zertifizierungs- und Selektionsfetischismus sowie eine beharrliche kulturelle Verstocktheit verhindern dort jegliche positive Entwicklung. Als Dozent und Lehrender finde ich heute so gut wie keine Schulen, die auch nur im Ansatz begriffen hätten, was die Stunde geschlagen hat. Stattdessen sind Unterricht und andere Lernformate bis heute das, was sie immer waren: präsenzfixierte Belehrungs(ver)anstalt(ung)en, die Lernende mit Informationskaskaden bedampfen - jetzt halt zunehmend digital. Es geht um Selektion, um Informationsbulimie - so als ob sich draußen in der Welt nichts verändert hätte. In einem "Draußen", dass es ja gar nicht mehr gibt. Menschen werden auf das Bestehen von Tests getrimmt, die keinerlei Kompetenzen freisetzen ausser der, Tests zu schreiben.
Daran ändern auch weichgespülte Unterrichtssettings mit White Boards, Stuhlkreis und "Recherche-Auftrag", mit Rollen- und Simulationsspiel nichts, wenn sie bei alldem im Paradigma der Wissensvermittlung stecken bleiben. Das versteht aber die Schule nicht. Und auch nicht die Weiterbildung.
Wenn die Hoffnung zum Problem wird
Mittlerweile kennt jeder von uns mindestens eine Schule oder einen Lehrer, der es anders macht. Aber was heißt das? Es heißt lediglich, dass sich solche Ausnahmen heute blitzschnell digital verbreiten. Es heißt, dass ein gutes Beispiel über die sozialen Medien so schnell bekannt wird wie ein Erdbeben am anderen Ende der Welt. Deshalb bleiben das trotzdem vereinzelte Ausnahmen von einem katastrophalen Zustand. Mehr nicht. Einzelne Lehrer und Schulen, die "es" anders machen, sind kein Grund zur Hoffnung solange sie wie im Moment einfach kurzzeitig beruhigend wirken, wie digital verabreichte Sedativa, deren Wirkung schnell nachlässt.
Der einzige Ausweg
Aus meiner Sicht gibt es einen Weg aus dieser Situation: Menschen finden sich zusammen, die verstanden haben, was auf dem Spiel steht. Es bilden sich "Netzwerke des Neuen", in denen sich Bildung 4.0 konkret abspielt und abbildet. Netzwerke, in denen alte Hierarchiefixierungen überflüssig werden, und in denen stattdessen kooperativ gearbeitet wird. Menschen, die das Interesse und die Lust am Networking mitbringen, die nicht dazu verdonnert werden müssen; die lern- und neugierig darauf sind, zuerst einmal sich selbst weiterzuentwickeln. Die nicht mehr den Besserwisser spielen müssen, um ihre Unsicherheit und ihre gnadenlose Überforderung zu überspielen, weil sie selbst wieder die Lust am Lernen entdeckt haben.
Auf diesen Wegen werden die Lern- und Bildungsformate aus der Kreidezeit nach und nach überflüssig. In zehn Jahren schon werden die alten "Häuser des Lernens" keine mehr sein. So wenig, wie Bibliotheken wegen gedruckter Bücher existieren werden oder Klassenzimmer wirklich noch Klassen beherbergen. Wenn Ihnen das mehr Lust macht als Angst, dann klicken Sie doch mal hier und machen bei einem spannenden MOOC mit.
Concentrate resources where you can get the most competitive advantages – do not disperse.
8 JahreSehr geehrter Dr. Schmitt, das ist ein sehr interessanter Beitrag. Aber, könnte alles genau anders herum sein? Könnte es sein, dass horrende Mängel an fundamentalen Fertigkeiten, wie Lesen, Schreiben, Grundrechenarten, sich auf eine Sache konzentrieren, mit realen Menschen reale Diskurse führen - wahrscheinlich könnte man noch viele derartige Beispiele finden - , dass diese Mängel das primäre Problem der Absolventen der Bildungseinrichtungen sind? Könnte es sein, dass immer wieder Ziel und Werkzeug verwechselt werden? Sie sprechen recht plakativ von "Zertifizierungs- und Selektionsfetischismus", gleichzeitig zitieren Sie eine Beurteilung von Lehrern durch ihre Schüler. Geht's noch? Zitat meines Doktorvaters: "Es geht nicht darum, dass die Kälber ihre Metzger beurteilen, sondern der Kunde die Wurst!" Hinter der Flapsigkeit steckt die Erkenntnis, dass Schule primär ein Ziel hat: Junge Menschen in fachlicher und menschlicher Hinsicht fit zu machen auf ihr Leben. Dass dabei die Werkzeuge der Informationstechnologie, ihre Sprache, auch ihr sozialer Einfluss Inhalt des Lehrens sein müssen, ist evident, jedoch sollte man festhalten, dass ein(e) gescheite(r) Lehrer(in) mit Kreide an der Tafel mehr Begeisterung, geistige Fitness und Interesse an Umwelt und Wissenschaft, Technik und Sprache wecken kann als jemals eine gerade wieder mal gehypte neue Methode dies vermöchte. Schimpfen wir also nicht auf Formate sondern fordern wir mehr engagierte Pädagogen, die auf Inhalte statt auf Formen fixiert sind. Vielleicht noch zum Schluss: Lernen muss nicht immer Spaß machen! Leider. Begreifen tut man das in der Regel ein paar Jahre später. Freundliche Grüsse Ulrich Rütten
Eine Modernisierung des Bildungssystems ist dirngend notwendig-dies beginnt schon in der Lehrerausbildung: es fehlt digitale, aber auch psychologische Kompetenz sowie interdisziplinäres Denken und der Ehrgeiz sich international messen zu lassen.