Digitalisierung in Europa: wasch mich, aber mach mich bitte nicht nass!

Digitalisierung in Europa: wasch mich, aber mach mich bitte nicht nass!

Viktor Meyer-Schönberger stellt in seinem Werk die dramatischen Änderungen der Digitalisierung auf Ökonomie und Gesellschaft heraus. So "steil" und neu sind die Thesen aber gar nicht. Die bereits vor ca. 2 Jahren etwa zur Plattform-Ökonomie erschienen Bücher aus dem MIT-Umfeld deuten klar an, dass unsere BWL-Modelle so nicht mehr lange weiter gelten. Daten und individualisierte Leistungen verändern seit AirBnB usw. die Welt. Firmen mit 50 Mitarbeitern können gerne Milliarden wert werden usw., weil es in der digitalen Welt durch Automatisierung und De-Materialisierung keine variablen Kosten mehr gibt.....

Die Zeit des Umbruchs hat bereits begonnen. Die Machtstellung der Produkt-Riesen bröckelt überall. Während in den USA, Israel und auch in Asien die Zukunft gefördert wird fehlt es in Europa an vergleichbaren Plattformen. Hier gibt es keinen maßgeblichen x-Industriellen und x-funktionalen Campus, der mit langfristigen Budgets gesichert ist und die Zukunft mit Innovationsmethoden anhand von Pilotprojekten gestaltet. Stattdessen feiern wir unsere angebliche Innovationskraft auf Startup-Feiern ganz getreu dem Motto "Wasch mich aber mach mich nicht nass".

Was begründet dieses Verhalten? Meine These, es liegt an der Kultur. William Bridge beschreibt in seinem Buch zum Charakter der Organisationen (sehr zu empfehlen) den Lebenszyklus eines typischen Unternehmens und seinen Wechsel des Charakters. Ist eine Organisation einmal groß, so richtet es seine Kräfte nach innen, macht sich stabil ("QM") und schützt sich so. Die Machtpositionen sind in fester Hand. Hier herrscht Bewahrungsgeist, oder mit Blick auf die 3 indischen Gottheiten Vishnu.

Wer jetzt davon ausgeht, dass ein Bewahrer gut in Innovation sein kann, der verkennt, dass Innovation besonders eins verfolgt: Dinge anders zu machen. Es gilt der Grundsatz "der größte Feind des Neuen ist das bestehende Alte und umgekehrt". Bereits Plato weist mit seinem Höhlengleichnis auf die bestehenden Konflikte hin.

Bei Bridge wird der Charakter anhand der Kriterien von C.G.Jung/Meyer Bricks Type Indikator näher beschrieben, was an dieser Stelle nicht weiter beleuchtet werden soll, aber dem Interessierten weitere Erkenntnis liefern mag.

Halten wir fest, dass sich besonders erfolgreiche Systeme schwer tun Innovation Wirklichkeit werden zu lassen, sich selbst in Frage zu stellen, sich frisch zu erneuern und bei Bedarf zügig abzubauen.

Ich verweise immer wieder gerne auf die indische Geistesschule, welche die Basis aller bedeutenden Religionen darstellt. Dort gibt es nicht ohne Grund genau eine Aufteilung in Bewahrung, Innovation und Zerstörung durch die 3 Götter Vishnu, Brahma und Shiva. Diese 3 Götter leben -und das auch aus gutem Grund- in unterschiedlichen Welten, verfolgen unterschiedliche Ziele und sprechen deswegen auch andere Sprachen. Sie wirken aber umfassend am Fluss des Lebens, indem sie zusammen wirken (gemanagt oder nicht).

Zurück in unsere Systemwelt: wo bitte sind ins unseren Konzernen diese 3 Welten?! Derzeit wird doch vorwiegend aus der Bewahrungsproblematik heraus diskutiert, wie wichtig denn Innovation überhaupt ist und es gibt vielerorts Schulungen, Budgets und auffällig viele Start-Up Feiern. Dort sonnt sich dann gerne das Top-Bewahrungs-Management an dem wilden neuen, welches aber weit genug vom Kerngeschäft ist, um nicht für die bestehenden Verhältnisse bedrohlich zu werden. Und nach der Party geht es dann im alten Trott weiter.

Eine eigene Innovationswelt (Brahma) aufzubauen und dazu sich ständig der weiteren Kraft des Infragestellen und des Abbaus (Shiva) auszusetzen, dazu fehlt es oft an Mut, sich in letzter Konsequenz ggf. selber aufzulösen. Daher wird der Schein gerne gewahrt innovativ zu sein, jedoch im Grunde sich nur selber bewahren zu wollen und können. Ganz nach dem Motto, alles Neue ist ganz schön, aber bitte nach meinem Renteneintritt.

Bridge liefert hier Ansätze das Verhalten der Bewahrer, der Innovatoren tiefer zu verstehen. Weil dies meist durch das Unterbewusstsein gesteuert ist kann man darüber schließlich nicht einfach reden sondern es bedarf Organisationspsychologischer Hilfestellung (soweit diese überhaupt vorhanden ist).

In Europa haben wir zudem das Problem, dass wir limbisch eher auf Sicherheit und damit Bewahrung setzen während in Amerika gerne schnell Pioniere die Zukunft in Angriff nehmen, "here we are, here we go". Auch das hat tiefe psychologische Gründe. Der Charakter wird genetisch vererbt. Und wer ist bitte damals in der Hungersnot mutig nach Amerika gegangen?.....Und wer ist in Europa geblieben? Dem Interessierten sein hier die Bücher von Dr. Häusel wie Think Limbik zur Vertiefung empfohlen.

Das soll nicht heißen, dass es diese Pionierkräfte hier bei uns in Europa nicht mehr gibt. Aber der Widerstand ist wegen des "Durschnittcharakters" wesentlich größer. Mit anderen Worten, das Gleichgewicht zwischen Bewahrung, Innovation und Zerstörung ist besonders in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung nicht vorhanden. Zu viel Bewährung, zu wenig Innovation, fehlende Chief Destruction Officer (vgl. Tom Peters). Und hier sind unsere Politiker, Forscher und Konzernmanager gefordert nun doch bitte endlich aufzuwachen um die Rahmenparameter zu setzen.

Es wird Zeit. Sonst ist unser Wohlstand nicht mehr zu bewahren (was sich bereits mehr und mehr deutlich macht).

Kommen wir zum Fazit: Europa geht es gut, doch in unserer Stärke liegt solange unsere Schwäche bis ein Gleichgewicht zwischen Bewahrung und Erneuerung geschaffen wird. "Wasch mich, aber mach mich nicht nass" spielt auf Zeit, löst aber keine Aufgaben. Wir brauchen einen Umbruch in unseren Systemen. Neben der Bewahrung benötigen wir Welten zur Innovation und zum Abbau. In Unternehmen, Universitäten und als Plattform (z.B. Campus). Nach Luhmann müssen hier Politik, Wissenschaft und Wirtschaft eng zusammen arbeiten, damit es zu einem wirklichen System-Wandel kommen kann. Noch ist es nicht zu spät, auch wenn wir hinten anstehen.

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Thomas Flieger

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5 Jahre

Vishnu, Brahma, Shiva mit göttlicher Dreifaltigkeit im Einklang

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