DRINGEND GESUCHT: ‘Homme fatale!’ Salon International de la Lingerie – Paris – 23/25.01.2016
Am Ende der Modenschauen der Fashion Week in Paris BOF, das englische Magazin für die Mode-Insider, kommentierte die Herrenkollektion von Raf Simons für Dior (die gleiche Botschaft wurde von allen berühmtesten Modehäuser vermittelt), wie folgendes: "Ein guter Alptraum ist immer besser als ein schlechter Traum."
Unter Tragödie, Drama und Komödie befindet sich eine kleinere Genre: die Chronik. Die Mode entschied sich diese Saison, die Chronik über einen verwirrten Mensch aufzuzeichnen, welcher keine Hauptrolle in der Realität spielt, der sich von den Lügen aller Regeln verraten fühlt, der nach dem Zufallsprinzip Luxus und Trash mischt auf der Suche nach der eigenen Identität. Das ist der Alptraum. Ein Guter, weil durch die Verweigerung, in die Kuschelige des Traums Zuflucht zu nehmen, aus diesem schmerzhaften Wachstumsprozess endlich ein neuer Mann geboren wird.
Ob es ein Ausweg aus der Krise sowie eine Perspektive zum gelungenen Leben für den Mann gibt, konnte der Salon de la Lingerie in Paris keine Antwort liefern. Die Präsentation der Herrenwäsche auf dem SIL sprach weder von Alpträumen noch von Träumen, höchstens über einen tiefen Schlaf, über ein Aufwachen ohne jeglichen Erinnerungen.
Der Marktvolumen von Herrenwäsche schrumpft seit Jahren. Es ist wahr, dass der starke Wettbewerb die eine oder andere Marken abwechselnd belohnt, aber immer auf Kosten anderer, wie unzähligen Marktanalysen bestätigen. Multi-Marken-Shops räumen immer weniger Platz für Herrenunterwäsche ein, bis sie sie irgendwann verschwinden lassen, bevor sie selber verschwinden: ein Phänomen, das leider in ganz Europa stattfindet.
La Rinascente in Mailand, KaDeWe in Berlin und im Allgemeinen der deutsche Premium Group, Harrod‘s sowie Galeries Lafayette sind der letzte Paradies für Kunden auf der Suche nach einem echten Shopping-Erlebnis im Wäsche- Bereich. Alles andere ist ….virtuelle Erfahrung, eine Art künstlichen Überlebens, das die glorreiche Vergangenheit der Branche nicht wiederbeleben kann. Neue Verbraucher-Verhalten brauchen dazu biblischen Zeiten, um sich zu entwickeln. Apokalyptische Aussichten für Herren-Unterwäsche auf alle Fronten bieten immer weniger Raum für Optimismus!
Was machen die Marken dann, um Endverbraucher zum Kaufen zu motivieren, und mit ihrem USP mit Kunden im Dialog zu treten?
Die meisten Spezialisten, fliehen in die gemütlichen Trugbilder ihrer Komfort-Zone, nach der Philosophie lieber immer akribischere Absatz-Analyse zu führen als Produkt-, Marken- und strategische Ansätze von Grund an anzugehen. Benchmarking-Studien sowie Algorithmen-Analysen scheinen der sicherste Zufluchtsort für alle die jegliche Ambition an Erfolg bereits aufgegeben haben.
Im Gespräch mit Presse und Kunden habe ich oft erklärt, dass der Markt der Herren-Unterwäsche heutzutage keine Revolution erfordert, sondern Innovation. Echten Innovationen sind oft weit revolutionärer als viele sogenannte Revolutionen: die Oktober-und die Französische Revolution führten zum politischen Fanatismus und Terror-Regime mit viel dramatischeren Ergebnissen als die Ungleichheiten, die sie kämpfen wollten. Die Dior-Revolution brachte der Frauen wieder Korsett und Krinoline, wie im Marie-Antoinette Zeiten.
Angesichts der Mangel an Visionen und Ambitionen, wird es seitens der Marken das Glück durch ein Image-Lifting herausgefordert. Vier Schlüsseltrends kristallisieren sich heute in dem Herrenwäsche-Markt heraus.
Der Luxus-Langweiler: Es scheint fast unmöglich Qualität der Garne, der Gewebe und der Passform in der Werbung zu kommunizieren, einfacher ist es, Klasse und Wohlstand der Zielgruppe als Gegenpol zu Sex-Appeal und Jugend darzustellen. Zu diesem Zweck wird männliche Schönheit mit ein paar Falten, grauen Haaren und gepflegten Bart präsentiert. Wenn man merkt, dass der Alterungsprozess der Kundschaft indirekt proportional zum Umsatzrückgang wird, reagiert man mit einem 20-Jahre jüngeren Model, eine Prise Tattoo, einer attraktiven Frauen-Präsenz in einem Design-Umfeld. Eine Ausnahme ist die Marke LA PERLA, welche trotz den Verlust an Bekanntheit in den letzten Jahren kreativ und high-end mehr denn je geblieben ist.
Der Joker: Comics, Witze und provokative Drucke sind die Zutaten des Joker-Stils, mit Gesellschaftsfähigen Effekten nur für Minderjährige!
Sex-Bombe: AussieBum ist die einzige Marke die neulich eine moderne, hedonistische und über-sexualisierte Ästhetik der Männlichkeit im Wäsche-Bereich wieder erfunden hat. Dies ist das Erfolgsrezept der Marke geboren an den Stränden von Australien, die die Underwear mit Swimwear-Akzenten kontaminiert, und intime Inspirationen in Swimwear verwandelt. Der internationale Markterfolg der Marke in den letzten fünfzehn Jahren macht aus ihr den Nachfolger von HOM der 70r Jahren, der Nikos aus den 80r, der Calvin Klein der 90r. Der AussieBum-Mann ist die Projektion des Beef-Cake's aus der letzten Dekade des 20 Jahrhunderts, eine äußerst ästhetische Ergebnis von Naturwunder, Gym und Photoshop.
Die dritte Frühling: während und nach der Andropause legen nicht weniger Männer seltsamen Verhalten an den Tag. Strings, transparente Wäsche, Leo-Print usw. sollten als Exorzismus gegen die Unaufhaltsamkeit der Zeit dienen, die letztendlich die innere Anfälligkeit ihrer Träger verraten, anstatt den Sex-Appeal unwiderstehlich zu machen.
Der Casual Kunde: der Begriff von Casual (zufällig) ist in der Mode längst berüchtigt. „Zufällig-auf-Ware-greifen“ passt eigentlich nur zu Kunden, die Wert auf niedrige Preise legen, und rein bedarfsorientiert kaufen. Paradoxerweise gehören zu dieser Kategorie auch die Zahlreiche Kunden von Design-Unterwäsche, die grundsätzlich ein Gummiband mit Logo erwerben, um stilvoll zu sein. Viele Marken, die einem ästhetischen Main-Stream entsprechen, sind im Wesentlichen aufgrund von Preis und Funktionalität auf dem Markt positioniert. Ein nettes, dezent modernes Image dient dazu, die Kundschaft nicht zu polarisieren.
Mann zu sein ist alles anderes als ein Bett aus Rosen (Frau zu sein ist auch nicht einfacher!) aber es ist unvermeidlich. Genauso schicksalhaft ist die Herausforderung für die Wäschen-Marken, eine Ästhetik der modernen Männlichkeit neu zu definieren.
Antonio Lilliu
28.01.2016