Durch die Brille des Handwerks (Sept. 2024)
Zack, vorbei. Das war’s mit der Sommerpause. Willkommen zurück an Werkbank und Schreibtisch. Ich hoffe, Sie konnten die letzten Wochen zur Erholung nutzen. Also dann, wohlan! Wir bei HANDWERK BW starten direkt mit Vollgas. Drei Tage Berlin. Mit einer hochkarätigen Delegation des baden-württembergischen Handwerks reisen wir diese Woche in die Hauptstadt, treffen Regierungsvertreter und Opposition, um zu schauen, wer unsere Interessen besser vertritt, und wir tauschen uns mit Beobachtern der Politik aus Medien und Wissenschaft aus, um den Puls der Republik nach den letzten Wahlen für Europa und im Osten zu fühlen.
Nun könnte man fragen: Was haben wir in BaWü mit Thüringen oder Sachsen am Hut? Gegenfrage: Sind wir im Südwesten gefeit vor so schwierigen Wahlergebnissen? Unsere letzten Wahlen sind bald vier Jahre her. Das war noch mitten in Corona, vor dem Ukraine-Krieg, vor Start der „Ampel“, vor Bauernprotesten etc. Die Welt hat sich seitdem nochmals deutlich verändert – und damit auch manche Ansichten, Sorgen, Erwartungen. Was werden die Wähler im Frühjahr 2026 in „the Länd“ machen? Schafft Özdemir den Kretschmann 2.0? Oder macht das frische Gesicht Manuel Hagel mehr Lust auf Zukunft? Reicht es den Schwarzen dann mit den Gelben? Einigt man sich mit den Roten zu einer schwarzen Ampel? Oder würde auch ein Hütchen-Tausch von Grün-Schwarz zu Schwarz-Grün reichen, um den Mehltau von der Landespolitik zu wischen?
Sie sagen: Diese Gedanken macht sich der Haas zu früh? Also ich habe den Eindruck, kaum einer in der Landeshauptstadt hat in diesem Sommer nicht drüber nachgedacht. Warum? Weil alle die Sehnsucht nach dem Moment quält, der wieder Zuversicht gibt. Damit müsste man im Grunde nicht bis zur nächsten Wahl warten. Die Landesregierung kann jetzt handeln – z.B. die Grunderwerbsteuer senken, um den Bausektor wieder anzuwerfen. Oder die Ganztagsbetreuung flächendeckend absichern statt Fördermittel an die Kommunen zu verlosen (eine unfassbare Idee!). Die Politik könnte ihre Kritiker durch spürbare Maßnahmen widerlegen, somit dem zunehmenden Frust auch in Baden-Württemberg begegnen und einem Wahlergebnis vorbeugen, das von zu viel Protest geprägt ist.
„Starke Verunsicherung der Menschen und fehlendes Zutrauen in die Politik“ werden als Gründe für den Stimmenzuwachs an den Rändern im Osten genannt. Diese Verunsicherung gibt es auch bei uns. Und wenn der Wirtschaftswissenschaftler Professor Michael Hüther mahnt, es brauche endlich wieder den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates, dann gilt das bundesweit.
Die verlockenden Verheißungen der Populisten, dass mit ihnen die komplizierte Welt wieder einfacher wird, wirken auch hier. Und der Wahlkampf im Osten hat offenbart, wie gefährlich es gerade für die Wirtschaft werden könnte, wenn Populisten an Macht gewinnen. AfD-Chef Höcke rief auf einem Marktplatz, dass Unternehmen „die Klappe halten“ sollten, wenn es um Politik gehe. Das zeigt, was er vom Pluralismus hält – der Grundlage gerade unserer Arbeit als Interessenvertreter in Kammern, Verbänden, Innungen und Kreishandwerkerschaften.
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Mich bewegt es jedenfalls, was sich gerade tut – auch wenn es ein paar hundert Kilometer von hier weg passiert. Halten wir uns nicht für immun. Alle sind in der Verantwortung. Aktuelle Mandatsträger, indem sie Handlungsfähigkeit beweisen und z.B. mit dem nächsten Landeshaushalt Greifbares produzieren, was den Glauben an die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nährt. Und auch wir – die Lobby des Handwerks – tragen Verantwortung, indem wir konstruktive Vorschläge machen und den richtigen Ton anschlagen (und ja, auch ich muss mir da hin und wieder an die eigene Nase fassen). Wie formulierte es ZDH-Präsident Jörg Dittrich kürzlich in der FAZ: „Ich möchte, dass die Politik das Handwerk mit Respekt behandelt. Dann müssen wir uns umgekehrt auch so verhalten“.
Den Anspruch auf Respekt, den haben wir. Tausende Menschen im Handwerk BW leisten jeden Tag ihren Beitrag zu Wohlstand und Demokratie zusätzlich zur Arbeit im Ehrenamt (damit auch einen Gruß an alle Neugewählten in den Kammervollversammlungen!). Und insgesamt stehen wir für 800.000 Beschäftigte. Zusammen mit deren Angehörigen kommt man schnell auf ein Fünftel der Bevölkerung im Land. Politik, die gut ist fürs Handwerk, ist also gut fürs Land. Daran müssen wir unsere Dialogpartner in Parlamenten, Ministerien und Behörden stets messen. Ihnen allen einen guten Start in den Herbst!
Ich sage auf bald und grüße herzlich!
Ihr Peter Haas
GF Berufsbildung und Arbeitsmarkt a.D. bei ehem. NORDMETALL u. VUMV
3 MonateGut gesagt, Peter Haas
Bis 2004: Direktor Public Services bei der IBM Deutschland GmbH; MdL 2006-2021 Landtag BW, Staatssekretär Finanzen&Wirtschaft a.D., Seit 2022: Selbständig 'Peter Hofelich Strategie & Kommunikation'
4 MonateFlotter und treffender Beitrag. So muss es sein. Ich würde mir übrigens wünschen, dass das Handwerk den Populisten auch dort entgegentritt, wo es jahrhundertelang einen 'geborenen Platz' hatte: am Stammtisch im Wirtshaus!