Echter IT-Wandel statt Feigenblatt-Digitalisierung
Digitalisierung ist weit mehr als der technische Unterbau. (Foto: sdecoret / Adobestock)

Echter IT-Wandel statt Feigenblatt-Digitalisierung

Die digitale Transformation ist eine der zentralen Herausforderungen in der Versicherungswirtschaft. Wer einen echten digitalen Mehrwert erzielen will, braucht eine moderne und leistungsfähige IT – und vor allem Mitarbeitende mit Herz und Verstand, und sollte auch die ethisch-gesellschaftlicher Komponente im Blick behalten.

Die Digitalisierung und die damit verbundenen IT-Herausforderungen sind eines der zentralen Felder in der Versicherungswirtschaft – und damit auch mein tägliches Geschäft bei der LVM. Dabei sollte klar sein, dass wir alle erst am Anfang eines tiefgreifenden Wandels stehen. Und die Rolle der IT hat sich da glücklicherweise gewandelt: Waren IT-Abteilungen in der Vergangenheit zuweilen diejenigen, die sagen mussten, dass bestimmte Dinge technisch nicht gehen, tragen datengestützte Verfahren und Automatisierung in Zukunft dazu bei, dass bestimmte Lösungen und Prognosen erst möglich werden, sodass Versicherungen effizient und verlässlich arbeiten können. Gleichzeitig gestalten IT-Verantwortliche immer häufiger unternehmerische Entscheidungen mit, um so neue Geschäftsmodelle erst zu ermöglichen – Schlagwort Ökosysteme oder vollintegrierte KI.

IT-Wandel als Chance begreifen

Wichtig ist uns dabei, keine „Feigenblatt-Digitalisierung“ um ihrer selbst willen zu betreiben, sondern stets zu hinterfragen, wo der Sinn und Zweck einer Neuerung liegt. Denn überall wo persönliche Daten verarbeitet und angereichert werden, darf es nicht darum gehen, was technisch möglich ist, sondern wir müssen sicher stellen, dass es die Kund:innen, Mitarbeiter:innen und die Gesellschaft in irgendeiner Weise weiter bringt. Und wir müssen (das ist mir besonders wichtig) das Vertrauen der Versicherten bei digitalen Prozessen bewahren und rechtfertigen.

Indem wir Dinge tun, deren Erkenntnisgewinn zur DNA und zum Geschäftsmodell einer Versicherung passen.

Das kann beispielsweise dazu führen, dass bestimmte Routine- und Teilaufgaben in der täglichen Arbeit unserer Mitarbeitenden dank technischer Hilfsmittel (teil-)automatisiert erfolgen können – jene Routinetätigkeiten, die nicht unbedingt wertschöpfend sind und in der Vergangenheit einfach dazu gehörten. Unser aller Ziel muss es dabei sein, Workflows zu hinterfragen und durch Technologie mit Mehrwert zu erfüllen. Damit steigern wir die Menschlichkeit und Empathie insbesondere für die wichtigen Themen und Gespräche mit unseren Kund:innen.

Digitale Prozesse sind mehr als digitalisierte Analogprozesse

Ich glaube, dass sich Versicherungen davon lösen müssen, einen bestehenden analogen Prozess lediglich etwas schneller oder effizienter machen zu wollen.

Es geht vielmehr darum, so etwas von Grund auf neu zu denken.

Diese komplett neue Herangehensweise an Versicherungen macht sich vor allem in der Kundenkommunikation positiv bemerkbar.

Ich zeige das mal an einem Beispiel: Ein Versicherungsvertrag ist unter dieser Prämisse nicht zwingend ein gedruckter Vertrag, der (quasi inkrementell) über die Jahre ergänzt wird, sondern eher ein Datensatz, der die gesamte Versicherungsbeziehung komplett digital abbildet. Lässt der Kunde oder die Kundin etwas ändern oder ergänzen, wird das in Echtzeit umgesetzt und ist sofort über die App sichtbar. Niemand müsste dazu mehr – digital gedacht – Verträge, also Papier oder PDFs hin- und herschicken, sondern die Beteiligten signieren das auf digitalem Wege.

Und im besten Fall (mittelfristig) noch weitergedacht: Wenn eine Kfz-Versicherung sich preislich nach der Fahrleistung richtet, könnte die Versicherung mit dem Einverständnis des Kunden oder der Kundin automatisiert mit dem Fahrzeug kommunizieren und auf Basis der so gemeldeten Fahrleistung die Prämie fürs kommende Versicherungsjahr errechnen. In diesem Fall muss weder die Agentur einen Brief oder eine E-Mail mit der Abfrage des Kilometerstands schreiben, noch muss der Kunde diesen ablesen, auf den Brief / Formular antworten und auch die Versicherung muss danach den Kilometerstand nirgendwo wieder beleghaft kommunizieren.

All das ginge automatisch dunkelverarbeitet, sodass Mitarbeitende sich lediglich dann noch damit befassen müssen, wenn bestimmte Dinge nicht plausibel erscheinen.

Und gerade diesem Bruchteil der Fälle können sie sich dann aber auch in der erforderlichen Aufmerksamkeit widmen. Unsere inzwischen mehrfach preisgekrönte  App „Meine LVM“ ist hier die Grundlage für solche Services.

Und wer jetzt glaubt, dass der digitale Prozess damit am Ende ist – weit gefehlt: Ein weiterer Schritt könnte die Abwicklung von Payment-Prozessen oder das automatische Melden von Schäden durch ein Fahrzeug sein. Auch wenn vielen bei diesem Szenario von Machine-to-Machine-Kommunikation heute noch nicht ganz wohl ist, zeigt es die möglichen Erleichterungen, den Effizienzgewinn und die Kostenreduktion auf.

Wichtig ist zum einen zu prüfen, was davon einen wirklichen Mehrwert für die versicherte Person bringt, aber auch was ethisch vertretbar und vom Kunden als Erleichterung und Benefit angesehen wird.

Was all das konkret für die LVM und unsere tägliche Arbeit bedeutet, lesen Sie im nächsten Beitrag. Spoiler: Wir haben schon vieles angestoßen, aber die „richtige“ Digitalisierung geht erst jetzt los.

Andreas Funke

Gesundheit ist das Wichtigste

2 Jahre

alles richtig und im Grunde auch nicht neu. Meiner Erfahrung nach kommen die besten Ergebnisse zustande, wenn die IT und die Operativen Fachbereiche eng und mit dem richtigen Mindset zusammenarbeiten. Und nicht zuletzt muss natürlich auch die Bereitschaft da sein, in die digitalen E2E-Prozesse zu investieren.

Magnus S. Haensler

The company I choose is solidly singular, totally trustworthy, straight and sincere

2 Jahre

Es fasziniert mich schon seit langem, wie die Versicherungswirtschaft in Deutschland mit der "Cant Do"-Attitüde herumrennt. Gerade im Bereich der Kundenkonten bleibt die Branche immer noch weit hinter dem, was teilweise seit 20 Jahre machbar ist. Und gerade da haben die echten digitalen Prozesse unter Verwendung bestehender Daten ja gigantische Vorteile. Auch in Richtung Sales und Retention. Deprimierend - und weise gewählte Worte!

René Hartmann

Sales success is team play

2 Jahre

100% richtig und gute Beispiele. Technisch und fachlich sind ja alle Mölichkeiten da. Was ich aber immer häufiger wahrnehme (im Versicherungsmarkt) ist, dass interne Königreiche den Fortschritt verhindern. Marcus Loskant , wie sie damit umgehen, würde mich sehr interessieren. Es würde mich freuen, dazu mal einen Beitrag von ihnen zu lesen.

Andre Tröger

Experte für IT-Servicemanagement, ITOM, ESM, Observability, Change and Turnaround Mgmt bei Tröger IT Business Consulting GmbH

2 Jahre

Wahre Worte. Ich sehe oftmals Medienbrüche, obwohl alle Versicherungen bei einem Anbieter sind. Unterschiedliche Zugänge, unterschiedliche Einstiegspunkte. Geschäftlich ganz andere Zugänge obwohl auch private Anteile dabei. Keine klare Übersicht. Jede Abteilung denkt nur im Silo und wissen nichts über die individuelle Kundensituation. Als Geschäfts und Privatkunde sehr Zeitaufwendig und oftmals unverständlich. Kann es sein, das die einzelnen Produkte komplett getrennt von Kundenprofile gemanagtes werden? Ich selbst hatte schon verschiedene Projekte, in welchen wir Medienbrüche angegangen sind. Aber diese Vorgehensweise ist sehr schwierig umzusetzen, da die Versntwortungen startk verteidigt werden. Kenne Sie das?

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