Ecological Correctness
oder der Triumph der Gesinnung 
über die Klimaratio
Detail einer CC-Anlage der Climeworks AG, Zürich (Firmenfoto)

Ecological Correctness oder der Triumph der Gesinnung über die Klimaratio

Hermann Lübbe möge mir verzeihen, dass ich den Titel seines bekannten Essays paraphrasiere, aber die Formulierung bietet sich geradezu an. Die Nachrichten von der Wetterfront überschlagen sich, der Zusammenhang mit der Erderwärmung liegt nahe und steht für die Aktivisten ohnehin ausser Frage, doch an wirklich wirksamen Massnahmen zur Bewältigung der Klimakrise mangelt es. Die Welt ist im Banne einer ökologischen Doktrin gefangen, welche die moralische Entrüstung über die ‹Sünden› unserer Wohlstandsgesellschaft höher stellt, als die unvermeidliche technologische Remedur.

In der ersten Hälfte November 2021 findet im schottischen Glasgow die bereits 26. UN-Klimakonferenz statt, dürfen wir diesmal von der politischen Elite griffige Lösungen der Krise erwarten? Vor einer Woche trafen sich die Umweltminister der G20 Staaten, um dafür eine gemeinsame Plattform vorzubereiten. Bereits die Hoffnungen auf eine Einigung über verbindliche Termine für den Ausstieg aus der Kohlenutzung zerschlugen sich aber am Widerstand von China, Indien, Russland und Saudi-Arabien. Die laufenden Klimamassnahmen der Regierungen (nicht ihre hehre Zielsetzungen, sondern die effektiven Massnahmen!) geben gemäss seriösen Umweltanalysten Anlass zu Sorge, dass die mittlere Erdtemperatur bis auf +4°C über das vorindustrielle Niveau steigen dürfte, bevor sie sich stabilisiert. Die Folgen kann man sich auch als Laie unschwer ausmalen, wenn man bedenkt, dass der heutige Wert des Temperaturanstiegs bei rund 1.2°C liegt und man den Bereich von 1.5 bis 2.0°C als technisch gerade noch zu bewältigende Umweltveränderung erachtet.

Man würde erwarten, dass in einer solchen Situation alle potenziell klimaneutralen Technologien forciert werden – doch wir leisten uns nach wie vor den Luxus, gemäss der herrschenden Doktrin der Ecological Correctness auf wesentliche, ja entscheidende Beiträge zu verzichten. Sie stellt das moralisch ‹richtige› Umweltbewusstsein über die Effizienz der Mittel. Als erstrebenswert gilt dabei die Minderung unseres Umwelt-Fussabdrucks durch tiefere Wohlstandsansprüche, durch Verzicht und – wo es geht – Effizienzsteigerung erzielten kleineren Energieverbrauch, durch dezentrale, kleine und möglichst autonome Versorgungseinheiten, letztlich durch die Umerziehung der Menschen unter Ausblendung ihres demokratischen Anspruchs auf individuelle Lebensentwürfe. Von der globalen Realität einer Welt konkurrierender Mächte, unversöhnlicher geostrategischer Divergenzen und unüberbrückbarer religiöser und ideologischer Unterschiede ganz zu schweigen.

Es ist nicht nur die traditionell in Generationskonflikten befangene Jugend und die Umweltaktivisten, welche die Ecological Correctness nachbeten, auch die offiziellen Stellen sind der Denkweise verfallen. Wir gewöhnen die Öffentlichkeit förmlich daran, dass man den Energieverbrauch zu reduzieren hat und nicht, dass die Produktion CO2-freier Energie nachhaltig gesteigert werden muss. Als ob partielle Verzichte einen wesentlichen Beitrag zu vollständiger Abstellung der Emissionen und zu angestrebter Zero-Carbon-Gesellschaft leisten könnten!

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft wird zu einer substanziellen Zunahme des Energiebedarfs führen – Naturgesetze kann man nicht betrügen. Die Natur verwöhnte uns mit ihrem fossilen Karbon, mit wahren Energiekonserven, die wir nur zu öffnen brauchten. Neu müssen wir die Energiegerichte selbst kochen, aus Sonne, Wind, Wasser und was uns noch zur Verfügung steht. Das Naserümpfen über bestimmte Zutaten werden wir uns wohl oder übel abgewöhnen müssen, sonst bleibt unser Energiehunger ungestillt. Und das hätte wesentliche Abstriche an unserer liberalen, wohlstandsgewohnten Demokratie des sozialen Ausgleichs zu Folge.

Immerhin besinnt man sich in der Energienot langsam auf die Kernkraft – hier soll dieses Thema aber nicht diskutiert werden. Anzusprechen ist jedoch das Technologiecluster der CCUS – der Carbon Capture Utilisation and Storage, also der Extraktion von CO2 aus den Verbrennungsabgasen oder aus der atmosphärischen Luft. Diese Abscheidung erfordert viel klimaneutraler Energie, ermöglicht aber die Dekarbonisierung von Technologien, die auf fossile Quellen angewiesen sind. Interessant erscheint insbesondere der Einsatz der Carbon Capture bei der Nutzung von Erdgas CH4, wo vier der fünf Atome des Gasmoleküls – der Wasserstoff H – klimaneutral zum Wasser verbrennen. Und nur das fünfte Atom – der Kohlenstoff C – mit Hilfe der CC-Anlage abgeschieden werden muss, um entsorgt oder in klimaneutralen Kreisläufen genutzt zu werden. Es ist unverständlich, dass beispielsweise Deutschland, das lange um die Nordstream 2 Pipeline gekämpft hat, auf eine aktive Verfolgung der CCUS Technologie verzichtet, welche die klimaneutrale Nutzung des Erdgases erst erlauben würde – eine Klimasünde mehr, nachdem dort bereits karbonfrei laufende Kernkraftwerke vorzeitig abgeschaltet wurden. Die Schweiz ist in dieser Beziehung glücklicherweise besser aufgestellt, man diskutiert die Verlängerung der Laufzeit vorhandener KKWs, und mit der Climeworks AG in Zürich besteht ein vielversprechender, international tätiger Start-up der CCUS, mit dem weltweit grösstem Projekt einer Direct Air Carbon Capture and Storage Plant, das im September 2021 in Betrieb gehen wird.

Aber der Mainstream der social media und der Presse betet nach wie vor die Maximen der Ecological Correctness an, die Verderblichkeit des unnötigen Wohlstands, der überzogenen Mobilität, der unsinnigen Ansprüche, die Vorzüge der kleinen Energieeinsparungen von ein paar Prozentbruchteilen, statt wirksamer technologischer Innovationen einer Zero-Carbon-Zukunft. Die orthodoxe Umweltgesinnung triumphiert über den praktischen Verstand. Greta Thunberg, die Ikone der Klimabewegung, hat vor dem New Yorker UN-Forum im September 2019 die Verachtung der Ecological Correctness für die technisch-wissenschaftliche Basis unserer Demokratie in einem Satz zusammengefasst «Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten? … Wie könnt Ihr es wagen zu glauben, dass man das lösen kann, indem man so weiter macht wie vorher – und mit ein paar technischen Lösungsansätzen?» Die anwesende Crème de la politique schwieg und applaudierte. Mehr Unverständnis für die echten Probleme der Klimakrise kann man kaum demonstrieren.

Die Lösung der Krise wird etwas mehr benötigen als die verächtlich hingeworfenen ‹paar technischen Lösungsansätze› – es steht eine veritable technische Revolution an. Wartet die Politik auf noch mehr Umweltkatastrophen, auf weitere soziale Aufstände à la ‹Gilets jaunes›, bis sie dies beherzigt?

Viel Zeit haben wir nicht mehr.

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