Ein Gedankenexperiment: Individuelle Arbeitsmodelle als Lösungsansatz für den Fachkräftemangel
#Fachkräftemangel – Ein Begriff der aktuell auf dem besten Weg ist Wort des Jahres zu werden. An allen Ecken und Enden begegnet uns die Herausforderung der Unternehmen, Personal zu finden. Egal, wo wir hinschauen, überall entdecken wir Hinweise zu offenen Stellen.
Die Idee der 42-Stunden-Woche als Lösungsansatz der Politik ist in meinen Augen wieder ein Ansatz aus der Theorie, der mit der Praxis wenig zu tun hat. Nachvollziehbar, dass diese Formel mathematisch betrachtet aufgeht, doch der Blick auf die Gesellschaft, die Arbeitswelt und die Entwicklungsrichtung beider macht schnell deutlich, dass wir mit diesem Ansatz blind in die falsche Richtung laufen würden.
Wir stehen vor verschiedenen Herausforderungen, die die Problematik des Fachkräftemangels immer größer werden lassen. Das coronabedingte wirtschaftliche Auf und Ab einiger Branchen wie der Gastronomie, des Tourismus, der Flug- und Veranstaltungsbranche führt hier heute zu einem Personalmangel, der für jedermann und jederfrau an irgendeiner Stelle spürbar wird. Seien es kürzere Öffnungszeiten, Schließungen oder längere Wartezeiten. Nicht zu vergessen: der Gesundheitssektor, der durch die Pandemie auf den Kopf gestellt wurde und in dem an vielen Stellen helfende Hände benötigt werden.
An dieser Stelle möchte ich gerne einmal dazu aufrufen, die eigene Unzufriedenheit aufgrund längerer Wartezeiten, vergessener Bestellungen u.ä. zurückzustellen und zu realisieren, dass diejenigen, die in Unternehmen mit Personalmangel arbeiten, häufig sehr bemüht sind mit wenig Man-/Woman-Power den normalen Betrieb aufrecht zu erhalten. Sie geben ihr Bestes, machen Extraschichten und werden zum Dank häufig noch blöd angemacht. Lasst uns wertschätzender miteinander umgehen, damit wir den Servicekräften, Flughafenmitarbeitern und Pflegekräften nicht auch noch die Freude an ihrem Job nehmen, sondern sie die Dankbarkeit bekommen, die sie verdient haben!
Neben der Pandemie gibt es weitere Herausforderungen, die wir bei der Suche nach einem Lösungsansatz für den Fachkräftemängel berücksichtigen sollten. Im Fokus steht hier der demographische Wandel. Durch die alternde Gesellschaft wird die Zahl der erwerbsfähigen Menschen weiter sinken. Die demographische Entwicklung bringt mit sich, dass neue Generationen die Arbeitswelt dominieren. Wir müssen uns darauf einstellen, welche Motive und Werte für die Angehörigen dieser Generationen relevant sind und aufbauend auf dieser Basis eine Strategie entwickeln.
Mitarbeiterbindung bei der zukünftigen Erwerbsfähigen-Mehrheit
Arbeitskultur und -klima sowie Tätigkeitsvielfalt sind entscheidende Aspekte bei der Arbeitgeber-Wahl der jungen Erwachsenen. Es ist ein Trend zu Individualisierung, Sinnsuche und Komfort wahrnehmbar.
Arbeitnehmer der jüngeren Generationen scheuen schnellen Jobwechsel bei fehlender Bindung zum Arbeitgeber nicht. Arbeitgeberbindung ist kein Ziel dieser Erwerbsfähigen, was Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Für diese Arbeitnehmer stehen vielfältige Handlungs- und Verwirklichungsoptionen im Fokus und Arbeitgeber sollten die Chance ergreifen, einen Orientierungsrahmen zu bieten, um dem Wunsch nach einem Jobwechsel vorzubeugen.
Hier treffen verschiedene Herausforderungen aufeinander und Mitarbeiterbindung ist längst kein Selbstläufer mehr. Zukünftig werden Individualisierung, Sinnsuche und Komfort in der Praxis wachsende Relevanz verzeichnen. Verschiedenste Unternehmens- und Personalbereiche müssen ineinandergreifen, um erfolgreiche Maßnahmen für die Bindung dieser Generationen umzusetzen. Die Personalisierung der Arbeitsmodelle wird hier in meinen Augen an Bedeutung gewinnen.
Individualisierung in der Arbeitswelt
Was wäre, wenn wir unsere Arbeitsmodelle individualisieren? Wenn wir Teams aus verschiedensten Persönlichkeiten hätten, die aufgrund ihrer Wertevorstellung, ihrem Interesse am Thema und ihrer Skills zusammenarbeiten? Wenn kaum jemand mehr darüber nachdenken muss, ob das Gras auf der anderen Seite grüner sein könnte, weil der eigene Lebensstil den eigenen Bedürfnissen und Motiven entspricht?
Warum profitieren wir als Gesellschaft, als Individuum und als Wirtschaft nicht von unserer Vielfalt?
Denken wird nochmal an die Personalnot in Gastronomie, Eventbranche und Tourismus. Meistens reden wir von Jobs die mit Arbeitszeiten einhergehen, die für viele Menschen nicht zum Alltag passen, einer Bezahlung, die nicht besonders hoch ist, oder einer Tätigkeit, von der wir denken „Das kann ja nicht alles sein, oder!?“. Vielleicht haben wir kein Interesse daran, einem derartigen Job in Vollzeit nachzugehen, aber eigentlich finden wir die Aufgabenbereiche oder das Umfeld trotzdem irgendwie cool und könnten uns dafür begeistern.
Zeitgleich haben wir Bürojobs, die dem ein oder anderen zu eintönig, zu ruhig oder langweilig erscheinen, wenn man nie etwas anderes sieht. Den ganzen Tag ohne Bewegung am Arbeitsplatz? Manche Leute bekommen schon bei dem Gedanken daran die Krise. Aber gibt es wirklich nur ein ganz oder gar nicht im Hinblick auf berufliche Möglichkeiten?
Schmeißen wir mal die Perspektive der kommenden Generationen mit den Möglichkeiten der Arbeitswelt in einen Topf, stellen wir fest, das Schwarz-Weiß-Denken fehl am Platz ist. Wir haben unterschiedliche Bedürfnisse, denen ein Job manchmal einfach nicht gerecht werden kann. Sollten wir deswegen unbedingt kündigen und uns einen neuen Job suchen? Auf keinen Fall. Denken wir doch lieber mal über individuelle Arbeitsmodelle nach.
Lasst uns ein Gedankenexperiment wagen!
Stellt euch vor, wir wären uns unserer Interessen, Werte und Motive bewusst. Wir würden uns ein Bild davon machen, überlegen welche Tätigkeiten unsere Bedürfnisse erfüllen könnten und ein Arbeitsmodell gestalten, das zu uns und unserem Lebensstil passt.
Der Buchhalter, der an seinen zwei freien Arbeitstagen abends in einer Bar Cocktails mixt.
Der Filialmitarbeitende einer Bank, der einen Tag in der Woche bei einem Projekt zum regionalen Umweltschutz unterstützt.
Die Architektin, die zwischen ihren Bauprojekten Yogareisen anbietet.
Der Geschäftsführer aus dem Mittelstand, der jeden Freitag in einer Werkstatt Oldtimer restauriert.
Empfohlen von LinkedIn
Die Mutter, die zwei Vormittage in der Woche die städtischen Veranstaltungspläne erarbeitet.
Der Arzt, der sich seine Position mit einer anderen Ärztin teilt, um zwei Tage in der Woche bei seiner Familie zu sein.
Die Pflegekraft, die ihre Nachmittage mit Softwareentwicklung verbringt.
Die Webdesignerin, die einen Tag in der Woche an einer Schule einen Kurs „Nachhaltigkeit“ unterrichtet.
Der Steuerberater von der Küste, der vormittags in seiner Kanzlei tätig ist und nachmittags Surfunterricht gibt.
Die Personalleiterin, die einen Tag in der Woche, statt im Büro zu sitzen, bei Festivals organisiert.
Der Friseur, der zwei Tage wöchentlich als Rettungssanitäter unterwegs ist.
Was wäre dann anders?
Ich wage die These, dass wir eine engere Bindung zu unserem Arbeitgeber hätten, weil wir nicht mehr das Bedürfnis hätten, uns umzugucken. Alles was uns bewegt und was wir brauchen, könnten wir durch unser individuelles Arbeitsmodell bekommen. Zeitgleich würden wir uns auf verschiedenen Ebenen weiterentwickeln und die Breite unserer Tätigkeiten könnte uns einen großen Mehrwert im Hinblick auf Wissenszuwachs, Persönlichkeitsentwicklung und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel bieten. Wir würden motivierter und zufriedener sein, weil die Dinge, die wir im Alltag täten, unseren eigenen Werten und Motiven entsprechen würden.
Wie ich zu diesen Annahmen komme? Ich habe es selbst getan.
Mein persönliches Arbeitsmodell
Im vergangenen Jahr habe ich mich mit Hilft eines Karrierecoachings sehr intensiv mit mir selbst beschäftigt. Mir wurde klar, wofür ich brenne, was mich ausmacht, welche Bedürfnisse ich habe und was für mich wichtige Rahmenbedingungen sind. Nun bin ich als Key Account- und Sales Managerin bei Belonio angestellt. Ein Unternehmen, mit dessen Werten, Vision und Produkt ich mich identifiziere und wovon ich mehr als nur überzeugt bin. Doch ich arbeite nur von Montag bis Donnerstag dort und stoße damit bei meinen Kunden auf Verständnis und Interesse. Ich traf diese Entscheidung, weil ich gerne einen Tag mehr für mich haben wollte. So bin ich an den verbleibenden Arbeitstagen produktiver und fokussierter.
Neben diesem Vier-Tage-Job habe ich ein Studium im HR-Management absolviert – einfach, weil mich die Themen interessieren. Außerdem habe ich eine Ausbildung zum Laufbahn- & Karrierecoach und zum Systemischen Coach gemacht. Ich wollte neue Dinge lernen, mich selbst besser reflektieren und herausfinden, ob diese Tätigkeit auch etwas für mich sein könnte.
Laufbahncoaching war mein Ding und ich entschied mich dazu, mich nebenberuflich selbstständig zu machen. Nun bin ich zufriedener als je zuvor. Durch die Möglichkeit verschiedene Rollen einzunehmen, fühle ich mich vollständig. Das Gefühl lässt sich schwer beschreiben, aber für mich ist es eine Art innerer Harmonie, weil alles, was ich tue zusammenpasst, meinen Motiven und Werten entspricht und einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet.
Angestellt im Key Account- & Sales Management bei Belonio, selbstständig als Laufbahncoach, ehrenamtlich tätig für den guten Zweck und dankbar für gute Beziehungen zu Freunden und Familie und die Möglichkeit parallel noch privaten Interessen und Hobbys nachgehen zu können. Das ist mein individuelles Arbeitsmodell integriert in meinen Lebensstil. Das bin ich.
Fakt ist: Wir müssen umdenken!
Selbstverständlich ist dies nicht in allen Jobs möglich, aber wir sollten überlegen, was wie möglich wäre, statt den Gedanken an individuelle Arbeitsmodelle direkt als unmöglich abzutun. Es hilft, sich einfach mal frei von den Grenzen zu machen, die sich im Laufe der Zeit in unserem Kopf manifestiert haben. Findet heraus, wofür ihr brennt und was die Personen in eurem Umfeld bewegt, macht euch Gedanken über eure Wünsche und Möglichkeiten und dann sprecht darüber! Niemand kann euch ansehen, was ihr fühlt oder denkt und was euch vollkommen glücklich macht.
Leichter gesagt als getan und sicher kommen auch schnell Gedanken zum Thema Lohnsteuerklassen etc. in eure Köpfe, aber versucht es doch einfach mal. Nutzt die Chance aufzublühen und eure Energie dort einzubringen, wo sie für alle die beste Wirkung erziehlt!
Wie wäre es bei euren Jobs? Wäre es denkbar stundenweise oder an bestimmten Tagen etwas anderes zu machen? Was interessiert euch neben eurer derzeitigen Tätigkeit noch? Wäre es kombinierbar? Oder habt ihr euer ideales Arbeitsmodell schon gefunden und lebt bereits so?
Ich freue mich, wenn ihr eure Gedanken mit mir teilt und wir uns über die Ideen austauschen!
Autorin - Coach - Trainerin | Ich unterstütze dich dabei, deinen Platz im Morgen zu entdecken und zu erobern.
2 JahreTolle Beispiele, liebe Magdalena, und so gut auf den Punkt gebracht! Es würde den meisten von uns gut tun, wenn wir unsere vielseitigen Interessen in kreativeren Arbeitsmodellen leben könnten. Und ich stimme dir völlig zu: Wenn Arbeitgeber ihre Mitarbeitenden durch internes #Karrierecoaching dabei unterstützen, solche individuellen Modelle zu entwickeln, dann können sie auch richtig gute Leute finden und an sich binden 😉