Eine neue Phase hat begonnen

Eine neue Phase hat begonnen

Rund zwei Jahre gab es an den Börsen divergente Verläufe von Industrien und Sektoren in einem Ausmass wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr gesehen. Das ändert sich nun und führt zu neuen Chancen, aber auch zu neuen Herausforderungen.

Was derzeit an den Aktienmärkten geschieht, ist eine Zäsur der Phase, die im Januar 2018 begann. Die meisten Indizes hatten seit Beginn eines breiten Bullenmarktes im März 2009 bis dahin zyklische oder gar historische Höchststände erreicht. Das galt auch für die meisten Sektoren und Industrien.

Die Richtung der meisten Aktien zeigte nach oben, wenn gleich nicht mit dem identischen Momentum. Kurz, es war ein richtiger globaler Bullenmarkt. 

Ab Januar 2018 folgte eine Phase grosser Divergenzen. Stark steigenden Sektoren und Industrien standen gleichzeitig stark fallende gegenüber während andere stagnierten.

Die Kapitalisierung der Sektoren bestimmte den Verlauf der nach Ländern organisierten Indizes. Es gab ein einziges Narrativ: Schumpeters schöpferische Zerstörung. Das führte dazu, dass Aktien von Unternehmen, die aus der rasanten Entwicklung der Informationstechnologie in Produktion, Produktgestaltung und Vertrieb Nutzen zogen, allen anderen davoneilten.

Dann kam Dezember 2019, und ein zweites Narrativ gesellte sich zum ersten: Zinsen. Im Newsletter Dezember 2019 war deshalb von einer Doppelspitze die Rede: „Zum Narrativ der Schumpeter’schen schöpferischen Zerstörung würde sich das Zinsnarrativ dazugesellen und den Börsen nachhaltigen Aufwind verleihen. Dieses Doppelnarrativ hätte das Potential, jene Populationen, die aufgrund verschiedener fraglos vorhandener Spannungsfelder in Wirtschaft, Kreditwesen und Politik ein Melt-down an den Aktienmärkten erwartet haben, als Anleger zurückzuholen“ hiess es damals.

Dann kam die Pandemie. Sie löste einen Schock in einem Markt aus, der eigentlich beschlossen hatte, nach oben zu wollen. Es hatte sich Nachholbedarf bei Aktien angemeldet, die die Asset Price Inflation, die andere Anlageklassen mit Sachwertcharakter beflügelt hatte, am Rande stehen gelassen hatte. Im Schock war die Doppelspitze verstummt. Allerdings nicht lange. Im Juni meldete sie sich zurück, was zum Titel „Renaissance der Doppel-Spitze“ in der damaligen Ausgabe des Newsletters führte.

Neues Verständnis für neue Perzepte

Seit Juni nimmt die Marktbreite zu. Marktbreite ist ein strukturelles Element der Aktienmärkte. Sie ist Beleg dafür, dass, salopp gesagt, viele Leute an vielen Orten zu vielen Zeiten Informationen ähnlich interpretieren, die zu übereinstimmenden Handlungen vieler Teilnehmer führen. Ein solcher Prozess geht zunächst langsam vonstatten, bis er irgendwann entartet, ganz so wie Hyman Minsky mit seiner Instabilitätstheorie beschrieben hat. Aber so weit ist es noch nicht. Im Gegenteil, die Märkte sind am Anfang einer Homogenisierung der Erwartungen. Ganz am Anfang! Sickert neues Verständnis für neue Perzepte durch, tritt eine Zäsur im Markt ein. Und das ist jetzt! Wenigstens in meinem Verständnis ist es so. Dafür gibt es mannigfache Belege, einige führe ich nachstehend auf:

  • Die relative Stärke von Small- und Mid-Caps aus Sicht von sechs, drei und einem Monat setzt sich immer mehr durch. In Nordamerika sind die während etwas mehr als zwei Jahren relativ schwach gewesenen S&P 600 Small-Cap und S&P 400 Mid-Cap die stärksten Indizes nebst Nasdaq 100 und Nasdaq Composite. DJ US Mid-Cap Value und DJ US Mid-Cap Growth weisen während der letzten drei Monate exakt die gleiche Stärke auf und überflügeln DJ US Value und DJ US Growth deutlich;
  • Die relative Stärke zyklischer Industrien steigt seit Monaten an;
  • Der MSCI Materials ist über die zyklische Spitze von Januar 2018 ausgebrochen;
  • Die relative Stärke von Rohstoffaktien in Materials ist auffällig;
  • Die Überwindung eines Widerstandes seit Januar 2018 durch den Nikkei erfolgte im November 2020 überzeugend;
  • Die meisten asiatischen Indizes weisen zunehmendes Momentum auf;
  • Kupfer notiert auf dem höchsten Stand seit Dezember 2017;
  • Eine äusserst milde Konsolidierung findet in Information Technology statt. Keine Spur von Trendwendecharakteristik vorhanden!

Das sind nur ein paar wenige illustrative Beispiele, die meine These untermauern, dass sich «etwas» am Muster verändert hat, das die Aktienmärkte ab Januar 2018 prägte, und dieses «etwas» ist eine ganz beachtliche Ausdehnung der Marktbreite.

Grössere Marktbreite bedeutet mehr Auswahl, weniger Risiko, dass die gewählten Aktien fallen, statt zu steigen, und diversifiziertere Portfolios.

Neue Herausforderungen nicht unterschätzen

Doch es bleiben Herausforderungen. Die Rotation der Präferenzen verlangt Anpassungen. Das findet nicht in einem Schlag statt, sondern sukzessiv.

Worin werden die Herausforderungen der nächsten Monate liegen? Unter anderem darin, die Präferenzverschiebungen richtig einzuordnen. Wird das Kursfeuerwerk in Bankaktien zu Aufwärtstrends in dieser Industrie führen, oder werden die Kurse wie seit 2008 immer wieder geschehen bald wieder wie Butter an der Sonne abschmelzen? Wird Information Technology vom Podest des relativ stärksten Sektors verstossen werden? Ist die relative Stärke der japanischen Börse nur ein kurzes Gastspiel oder eine neue nachhaltige Entwicklung? Wird sie regional gesteuert und damit sektorielle Präferenzen überlagern?

Diese und viele andere Fragen werden uns in die Zukunft begleiten. Ihnen nachzugehen würde den Rahmen des Newsletters sprengen, nicht zuletzt weil Anpassung nicht ein ruckartiger Vorgang ist sondern ein langsam vonstattengehender Prozess. Sie sind jedoch Gegenstand der Unifinanz-Monitore, die nicht auf Prognosen ausgelegt sind, sondern darauf, zeitgerechte Anpassungen vorzunehmen.

Alfons Cortés, Senior Partner bei Unifinanz Trust reg.

Richard Schaefer

@ Aquila Asset Management AG

4 Jahre

einmal mehr: exzellente Analyse ! 👍

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