„Eine Richterstelle darf nicht zum Tauschobjekt irgendeines politischen Handels werden“
NEUER PRÄSIDENT. Nachdem sich Sabine Matejka unter Protest gegen die Verschleppung der Besetzung der Leitung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) als Präsidentin der Vereinigung der Richterinnen und Richter zurückgezogen hatte folgte ihr im September Gernot Kanduth nach. Im Gespräch mit ANWALT AKTUELL macht sich der neue Präsident Sorgen um Postenbesetzungen, die die Unabhängigkeit der Gerichte gefährden könnten.
ANWALT AKTUELL: Herr Präsident, gibt es eigentlich rechtliche Mittel, die Regierung zu veranlassen, Postenbesetzungen an Höchstgerichten zeitnah durchzuführen?
Gernot Kanduth: Nach geltendem Recht gibt es dazu keine Möglichkeit, was rechtsstaatlich bedenklich ist. Hier sollte man sich Gedanken machen, wie man so einen Zustand in der Zukunft vermeiden kann.
ANWALT AKTUELL: Es geht momentan ja nicht nur um eine einzelne unbesetzte Position, sondern um mehrere wichtige. Wer behindert die Besetzungen? Das Justizministerium, die Regierung?
Gernot Kanduth: Die Causa, die uns als Richtervereinigung am meisten betrifft, ist die Besetzung des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), weil es sich dabei um eine richterliche Stelle handelt. Hier gibt es das Vorschlagsrecht der gesamten Bundesregierung. Wenn man diese Stelle, die im Gesetz vorgesehen ist, nicht besetzt, dann ist das für mich rechtsstaatlich bedenklich. Ich kann auch nicht akzeptieren, dass diese Untätigkeit der Regierung mit dem Argument verharmlost wird, dass das Gericht „ja eh funktioniere“. Noch eine wichtige grundsätzliche Anmerkung: Es darf eine Richterstelle nicht zum Tauschobjekt irgendeines politischen Handels gemacht werden. Da geht es beim BVwG einfach um viel zu viel. Fatalerweise bildet sich in der Bevölkerung hier der Eindruck, dass Richterstellen parteipolitisch besetzt werden.
ANWALT AKTUELL: Sie übernehmen das Amt des Präsidenten der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter in stürmischer Zeit. Was sind Ihre wichtigsten Forderungen an die Politik?
Gernot Kanduth: Ich setze hier das vorher Gesagte fort mit meiner Forderung, dass die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in Österreich vorbehaltlos akzeptiert wird. Es kann keinen Bazar über Richterplanstellen geben. Da müssen sich die Parteien an der Nase nehmen und sagen: Die Gerichtsbarkeit ist tabu, wir haben dafür zu sorgen, dass die Unabhängigkeit der Gerichte wieder Staatsräson wird. Das ist das aktuelle Thema. Darüber hinaus haben wir den von Clemens Jabloner beschworenen „stillen Tod der Justiz“ zwar abgewendet, sind aber noch weit davon entfernt, aus dem Vollen schöpfen zu können. Aufgrund zahlreichen Gesetzesänderungen in den letzten Jahren hat sich ein Mehrbedarf an Richterinnen und Richtern ergeben. Ich erinnere zudem an Massenverfahren oder an besonders komplexe zivil- und strafrechtliche Causen. Auch die Rückstände, speziell bei Asylverfahren, die am BVwG angefallen sind, können nur durch mehr Personal abgebaut werden. Hier besteht Bedarf an zusätzlichen Planstellen für Richterinnen und Richter. Daneben müssen wir uns im Support-Bereich deutlich verstärken. Besonders schwierig wird es hier, weil wir bei der Nachwuchs-Rekrutierung momentan einem besonders starken Wettbewerb ausgesetzt sind. Bei den Juristinnen und Juristen ist die Situation ein wenig besser, doch wenn man hört, welche Bezahlung verschiedene Bundesländer für Mitarbeiter:innen im Support-Bereich anbieten, muss es im Bereich der Gerichte deutlich stärkere finanzielle Anreize geben.
ANWALT AKTUELL: Eine wesentliche Funktion der Politik ist auch die Gesetzgebung. Wie sehen Sie die mühselige Entstehung des Informationsfreiheitsgesetzes? Werden wir dieses nun endlich bekommen? Und: Wie steht es mit der mehrfach geäußerten Kritik der Richterschaft daran?
Gernot Kanduth: Wir haben uns nie gegen die Abschaffung des Amtsgeheimnisses an sich ausgesprochen. Wir haben in unserer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Staat offen und transparent für die Bevölkerung arbeiten soll. Man muss jedoch bedenken, dass in der Justiz der Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte der Parteien besonders zu beachten sind. Wir werden uns in dieser Hinsicht den gerade ausgeschickten Entwurf besonders genau anschauen.
ANWALT AKTUELL: Sind Sie optimistisch, dass das Amtsgeheimnis endlich fällt?
Gernot Kanduth: Ich bin im Grunde ein optimistischer Mensch und hoffe auch hier auf das Beste. Schau’n wir, was kommt…
ANWALT AKTUELL: Als Präsident der Richter:innenvereinigung interessiert Sie sicher auch das Image Ihres Berufsstandes. Sind Sie mit den aktuellen Werten zufrieden?
Empfohlen von LinkedIn
Gernot Kanduth: Es war, glaube ich, die ehemalige Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, die gemeint hat, dass das Vertrauen in die Justiz sehr schwer aufzubauen ist, aber umso leichter wieder verspielt werden kann. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Justiz aus mehreren Bereichen besteht – aus dem Ministerium, der Staatsanwaltschaft, den Justizanstalten und den Gerichten. Es gibt sehr unterschiedliche Aufgaben in diesem „System Justiz“. Was das gesamte Funktionieren betrifft, glaube ich, dass wir im internationalen Vergleich nach wie vor top sind. Die Verfahren dauern – von Einzelfällen abgesehen – nicht lang. Auf die Fälle, die aus der Reihe tanzen, muss man hinschauen. Dies geschieht auch im Rahmen der Dienstaufsicht. Doch geht das natürlich nicht von einem Tag auf den anderen. Keine Kollegin, kein Kollege möchte ein Verfahren länger offen haben, als es notwendig ist. Was das Vertrauen in unseren Berufsstand bei der Bevölkerung angeht, da sind wir etwa im Mittelfeld. Leider hat es in den letzten Jahren prominente Fälle gegeben, wo man sich fragen muss, wie der erzeugte Vertrauensverlust wieder gut zu machen ist. Da ist auch der Dienstgeber gefordert, sich zu überlegen, wie man dem entgegenwirkt. Betonen möchte ich aber, dass das Aus- und Fortbildungsprogramm in der Gerichtsbarkeit ausgezeichnet ist.
ANWALT AKTUELL: Schülerinnen und Schüler in Österreich werden mit so wesentlichen Themen wie der Jahreszahl der Schlacht bei Issos beschäftigt. Relativ wenig erfahren sie über Rechtsstaat und Gerichtsbarkeit. Versucht die Richterschaft, stärker in die Lehrpläne zu kommen?
Gernot Kanduth: Die Jahreszahl der Schlacht bei Issos ist mir selbst nicht mehr in Erinnerung…
ANWALT AKTUELL: 333, Schlacht bei Issos, Keilerei…
Gernot Kanduth: …ah, ja, es scheint mir doch nicht so wichtig gewesen zu sein. Für das friedliche Zusammenleben der Gesellschaft sind Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wesentliche Faktoren. Meine Kinder gehen in die AHS, da hängt es vom Lehrer ab, ob beispielsweise Rechtsstaatlichkeit unterrichtet wird. In den Lehrplänen der BHS gibt es zwar das Fach „politische Bildung“, das ein wenig mit Parteipolitik konnotiert ist und bei dem gelernten Österreichern schon ein wenig die Skepsis überkommt. Es sollte in der Tat so etwas wie „Staatsbürgerkunde“ oder „Rechtsstaatlichkeitsbildung“ geben, um ein Bewusstsein zu schaffen, welche Institutionen es überhaupt gibt und welche Aufgaben diese haben. Allerdings sehe ich auch bei den Erwachsenen den Bedarf, in diesem Bereich bestehende Bildungslücken auszumerzen. Die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Gerichte als Grundwerte unseres Zusammenlebens gilt es immer wieder zu betonen.
ANWALT AKTUELL: Wie kann das geschehen, wenn es in den Schulen und meist in der Öffentlichkeit nur wenig oder gar nicht kommuniziert wird?
Gernot Kanduth: Ich würde bei den Schulen anfangen. Da gibt es immerhin schon Projekte wie „Justiz stellt sich vor“ oder „Justiz macht Schule“. In diesem Rahmen trage ich selbst seit vielen Jahren in Schulen vor und es überrascht mich immer wieder, mit welcher Begeisterung junge Menschen die vermeintlich trockenen Themen wissbegierig aufnehmen. Oft sind sie überrascht, wenn man ihnen sagt, dass vor dem Gericht alle gleich sind – der Bundeskanzler ebenso wie der einfache Arbeiter. Da entstehen oft Aha-Erlebnisse, die Einsicht in die Bedeutung von Rechtsstaat und Gerichten eröffnen. Daneben wäre es natürlich wunderbar, wenn man die Ressourcen hätte, das alles in einfacher Sprache zu erklären, insbesondere in den Sozialen Medien, wo die jungen Menschen von heute ihre Informationen sammeln.
ANWALT AKTUELL: Apropos Selbstbehauptung: Wie stehen Sie zum Thema Litigation-PR? Denkt die Richterschaft darüber nach, eigene Kanäle zur Kommunikation über Gerichtsverfahren einzurichten, wie es solche beispielsweise in Deutschland schon gibt?
Gernot Kanduth: Es wird immer wichtiger, Gerichtsurteile auch zu erklären, vielleicht sogar parallel zum laufenden Verfahren. Litigation-PR wird mittlerweile von den Parteien schon häufig in Anspruch genommen. In unserer neutralen Funktion müssen wir versuchen, seriös den Verfahrensablauf und die Entscheidungen zu kommunizieren. Da gehört die Medienarbeit deutlich verstärkt, denn da sind wir immer einen halben Schritt hinten nach. Es wird nie aufhören, dass wir uns hier verbessern können.
ANWALT AKTUELL: Noch eine Schlussfrage zur Zukunft der Justiz. Glauben Sie, dass irgendwann die Künstliche Intelligenz in der Richterschaft Einzug hält, und in welcher Form?
Gernot Kanduth: KI wäre wohl ein Thema für ein eigenes Interview. Die Künstliche Intelligenz gibt es und sie wird nicht mehr verschwinden. Wir werden irgendwann auch über Schadensfälle entscheiden müssen, wo die KI letztlich der Verursacher war. Dass die Künstliche Intelligenz den Menschen als Entscheidungsorgan aber irgendwann ersetzt, würde bedeuten, dass wir am besten Weg sind, uns als Menschen insgesamt abzuschaffen.
Herr Präsident Kanduth, danke für das Gespräch.