„Einer muss da sein es zu sagen“

Wahrheit, Mensch und Gewissen -       gemessen an göttlichem Maß
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„Einer muss da sein es zu sagen“ Wahrheit, Mensch und Gewissen - gemessen an göttlichem Maß

Ein Essay zur Seligsprechung im Limburger Dom am 15. 9. 2019

  Weshalb dränge ich eigentlich nach Klarheit und Wahrheit, aber weshalb fällt es mir selbst so schwer, klar und wahrhaftig in meinem Reden und Tun zu sein? Dabei ist die Wahrheit zu sagen einfacher als zu lügen. Wahrheit ist das, was wirklich ist. Lüge ist immer Konstruktion. Aus Krimis wissen wir, wie schwierig es ist, ein Alibi zu erfinden oder jemandem plausibel zu machen da gewesen zu sein, wo man nicht war. Auch in Zeiten in denen postfaktisch zum Wort des Jahres geworden ist, Demoskopen ihr Geschäft nicht mehr zu verstehen scheinen, weil jeder Wahlausgang selbst die Gewinner sprachlos macht und fake news politisch wirksam werden, hat die Wahrheit sagen, noch einmal einen neuen Klang bekommen. Schon aus Kardinalszeiten stammt von Papst Benedikt das Wort: „Der Kern der heutigen Krise ist der Verzicht auf Wahrheit.“ Mit Gott hat man auch einen objektiven Begriff von Wahrheit aufgegeben, meinte schon Nietzsche. Nach ihm wird der Mensch zum Eckensteher: Wahrheit als solche löst sich dann in unzähligen Perspektiven auf, je nach dem aus welcher Ecke heraus sie behauptet wird. Experten nehmen sich ihrer an und widersprechen sich. Wenn Wahrhaftigkeit und Authentizität fehlen, ist der Weg zur Lüge nicht mehr weit. Wahrheit kann man nicht sicher wissen, aber wahrhaftig und vernünftig bekennen. Nur so ist sie überzeugend.

   In der Zeit des Nationalsozialismus kam zu vorgenannten Erfordernissen noch der Mut hinzu, sie zu bekennen. Richard Henkes hatte diesen Mut. „Einer muss da sein, es zu sagen“, meinte er einmal. Was zu sagen?

·        Die Unmenschlichkeit dieses Regimes benennen.

·        Klartext reden, wenn alle nur den jeweiligen Mainstream bedienen,

·        schließlich auch die Kraftmeierei und den unsäglichen Führerkult der nationalsozialistischen Machtelite offen zu benennen.

Himmlers menschenverachtender Großmäuligkeit, die Gefängnisse seien voll mit dem Pöbel Europas, trat Richard Henkes in Taten der Nächstenliebe dienend entgegen: Himmlers Pöbel waren für ihn nach dem Bilde Gottes geschaffene Menschen, deren Not in den Gefängnissen Maßstab seines Handelns wurde. Richard Henkes war da in guter Gesellschaft: Schon Paulus hatte offenbar solche Machteliten vor Augen, wenn er schreibt:

   „Sie vertauschten die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen [...] darstellen.“ (Röm 1,23). Gegen diese Versuchung Maß an einem Menschen, im dritten Reich an einem „arischen Übermenschen“ zu nehmen, einem „Führer“, der nur ins Verderben „führen“ konnte und auch geführt hat, setzte schon Romano Guardini in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sein Christusbuch „Der Herr“ entgegen um subtil dem Führerkult der Nazis zu widersprechen. Es hat ihn nicht das Leben gekostet, sondern nur seinen Lehrstuhl in Berlin.

  Diese Versuchung Macht zu missbrauchen scheint zeitlos zu sein, Paulus fährt nämlich fort. „Sie vertauschten die Wahrheit Gottes mit der Lüge, sie beteten das Geschöpf an und verehrten es anstelle des Schöpfers“ (Röm. 1,25). Auch die Ikonographie stimmt nicht, das Kreuz - „der Galgen der Antike“ - ist durch Christus zum Zeichen des Heils geworden. Umgekehrt ist eine harmlose germanische Rune, das Hakenkreuz, zu einem grausamen Todessymbol geworden so sehr, dass seine Verwendung in unseren Tagen zum Straftatbestand geworden ist.

   In der Gegenwart ist es leicht und gefahrlos diese Vergleiche zu ziehen. Es ist in der Regel einfach für uns Spätgeborene, den „schönen Schein des dritten Reiches“ (Peter Reichel) zu entlarven, seine Theatralik und Heraldik zu durchschauen, die Lüge hinter der angeblichen Wahrheit zu erkennen. Pater Richard Henkes hatte diese „Gnade der späten Geburt“ nicht. Er stand in einem Heute, das für ihn noch nicht wie für uns, zu einem Gestern oder Vorgestern geworden ist. Auch ein Schauen rückwärts in die Geschichte hätte nichts genutzt, weil er inmitten eines Geschehens wirkte, das so monströs war, dass erst Nachgeborene aus historia docet (Geschichte lehrt) Lehren ziehen konnten.

 Richard Henkes schaute aufwärts.

   Jeder Mensch trägt einen „Ort“ in sich, an dem es sich aufwärts blicken lässt und danach auch in die Weite. Das ist das Gewissen. An diesem Ort wird Wahrheit geschaut und gegebenenfalls verinnerlicht und dann hoffentlich wahrhaftig, ohne wenn und aber auch getan. Für Paulus war der Zusammenhang von Erkennen und Tun klar: „Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit [...] mit der Vernunft wahrgenommen [...]. Daher sind sie unentschuldbar“ (Röm, 1, 19bf). Zu ergänzen ist, unentschuldbar wenn das Erkannte nicht getan wird.

   Für Richard Henkes war das Gewissen wie bei Paulus, nicht bloß der Gipfel der höchsten Meinungswelle, die durch die Gesellschaft, im NS–Staat das „Volk“, strömte und auf der damals wie heute gerne geritten wird. Das an Kirche und Evangelium gebildete Gewissen ist sein Richtmaß. Es ist eine Art Mittelstreifen auf der Straße des Lebens, die jeder nach allgemeinen Verkehrsregeln befahren sollte. Das können Boulevards sein, Autobahnen, Landstraßen, Feldwege und Sackgassen. Das Gewissen beachtet diese „Verkehrsregeln“ und  der Christ orientiert sie am Glauben der Kirche. Im Gewissen werden sie auf mein Leben angewendet und es wird geurteilt über das von mir zu tuende Gute und das von mir zu vermeidende Böse, in Handlungen für die ich die Verantwortung trage. Das Gewissen kann dabei sehr unbequem und unbedingt fordernd sein. Ganz gewiss sollte es nicht wie ein Nussknacker gebraucht werden, der allgemeinen Normen knackt, damit ich mit den Bröseln besser leben kann. Richard Henkes hat in allem Ernst gemacht, keine Ausflüchte, keine Milderungen gesucht, etwa von der Art: Ich bin ja selbst Gefangener und Opfer. Da wird Unmenschliches von mir verlangt. Da kann nur Gott noch etwas tun. Nein, er hat die unmenschlichen Herausforderungen angenommen.

    Ein Gebet aus Frankreich (1912) entspricht ganz seinem Denken und Handeln: Sein Gewissen nimmt Maß am Anspruch Gottes und daran hat er es auch zeitlebens gebildet.

 „Herr mach’ mich zu einem Werkzeug deines Friedens,

[...] dass ich die Wahrheit sage, wo Irrtum ist.

 Dieses Maß schließt ein weitläufiges Missverständnis über das Gewissen aus, Gewissen sei nämlich mit der persönlichen Meinung gleich zu setzen. Nein, im Gewissen stellt sich der Mensch dem Anspruch Gottes. Im KZ Dachau – und nicht nur da – konnte das bedeuten, dass die Not des Mitmenschen geradezu nötigte, Not zu lindern. Richard Henkes folgte diesem nötigenden Anspruch unbedingt, auch wenn er dadurch selbst in Not, ja in Lebensgefahr geriet. So lassen sich auch die Bitten verstehen, die im zweiten Teil des Gebetes formuliert werden:

 [...] „Herr lass mich trachten,

[...] nicht dass ich getröstet werde,

sondern, dass ich tröste [...]“

   Das Gebet endet nicht in der zeitlichen Horizontale, in der wir alle gefordert sind wie es auch der Anspruch Christi zeigt:

 „[...] Denn wer sich hingibt, der empfängt,

wer sich selbst vergisst, der findet;

wer verzeiht, dem wird verziehen“

 Und jetzt wird deutlich, dass die Zeit nur im KZ endet, aber nicht im Tod, sondern vom Leben durchbrochen wird:

 „und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.“

   Das klingt gut nach all dem Schrecken, den das „tausendjährige Reich“ in zwölf Jahren verbreitet hat. Richard Henkes hat sein Ende nicht erlebt, aber diesen guten Klang der Hoffnung, inmitten von mit Händen zu greifender Hoffnungslosigkeit, gelebt.

   Das Maß des Menschlichen war für ihn nicht das „Übermenschliche“, wie es in einer eigenwilligen Nietzsche Rezeption im NS-Staat hieß. Vielmehr wehrte er sich auch dagegen, das Menschliche, wenn es nicht dem „Maßstab des Übermenschlichen“ entsprach, als Untermenschliches zu behandeln.

  Das Maß des Menschlichen ist für Richard Henkes das Göttliche. Gott hat, als er uns geschaffen hat, an nichts Geringerem als an sich selbst Maß genommen. Das wusste schon das Alte Testament.

 „Nur wenig geringer als einen Gott hast du ihn [den Menschen] gemacht.“ (Ps 8, 6a)

 Buchtipp:

Zeitgerecht statt zeitgemäß. Spurensuche nach dem Geist der Zeit im Zeitgeist

Von Helmut Müller

Hardcover, 244 Seiten 2018 Bonifatius-Verlag ISBN 978-3-89710-790-8 14.90 EUR 

 

Markus Blick

Softwareentwickler bei TEDOM Service GmbH

5 Jahre

Erstmal danke für den Beitrag, er regt mich sehr zum Denken an. (und sprachlich  ein Highlight :-) ) Das aber was "Bekennen" in Bezug auf Wahrheit, bei Ihnen bedeuten soll , will sich mir partout nicht erschließen.  Wissen könne man sie ja wohl nicht, also logisch herleiten... halt bekennen. Aber dann hätte man halt was erlebt,(nicht nur mit dem Nachdenken, sondern im irgendwie umfassender) was man dann erklären und bezeugen kann (bekennen?) Geht es in diese Richtung? Herzlichen Gruß!

Rudolf Rohde

private coach bei Institut Dr. Winter

5 Jahre

Ich lese gern, was Helmut Müller zu kommentieren reizt.

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