Emergenz im Takt der Maschinen
Eine Gedankenspiel von Alexander Jungwirth
Emergenz - lateinisch emergere steht für „das Auftauchen“, „das Herauskommen“ oder „das Emporsteigen“. Kurz gefasst: Man braucht nicht mehr um mehr zu erreichen.
Emergenz in Unternehmen erkennt man am Entstehen neuer Eigenschaften oder Verhalten des Kollektivs aus dem Zusammenspiel seiner einzelnen Personen ohne direkter und permanenter Steuerung durch eine Obrigkeit. Diese neuen emergenten Eigenschaften lassen sich nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Personen zurückführen. Das richtungsweisende Lenken des Kollektivs, im Sinne der Unternehmensziele, lässt sich mit dem Wort Impuls gut beschreiben. Der Fokus liegt in Folge nur auf emergenten Verhalten, welches im Interesse des Unternehmens wirkt.
Ist dies möglich oder bereits vorhanden? Um dieser Frage näher zu kommen betrachte ich in Folge die Wirkung von Arbeitszeit auf Emergenz in Unternehmen.
Ein kurzer Blick in die Vergangenheit.
Da wir in der westlichen Welt unsere Heimat haben, beschränke ich mich auf die Vergangenheit von Europa.
Europa wurde in den letzten 2000 Jahren stark geprägt von monarchistischen und autokratischen Steuerungsmethoden. Erst nach Ende des 2. Weltkriegs, zumindest auf der „linken“ Seite des Eisernen Vorhangs, wurden und werden andere Methoden der Steuerung angewandt. Eine kurze Epoche im römischen Reich und die Zwischenkriegszeit wären hierbei die Regelbestätigung. Und die attische Demokratie (ca. 700 – 262 v. Chr.) im heutigen Griechenland sei hierbei auch zu erwähnen.
Da wir ein Teil des kollektiven Gedächtnisses Europas sind tragen wir die Informationen der monarchistischen und autokratischen Steuerungsmethoden, ob wir wollen oder nicht, in unserem Frontalkortex durch Fauna und Flora. Dieser Umstand begünstigte auch die notwendige Taktgebung der industrielle Revolution.
Die industrielle Revolution verändert alles
1771 wurde von Richard Arkwright in Cromford England die erste industrielle Anlage der westlichen Welt in Betrieb genommen. Diese wurde mit Wasserkraft betrieben. Die Energie des Wassers wurde durch ein Wasserrad über Riemen zu den Spinnmaschinen, sogenannte Waterframes, transportiert.
Manche Stimmen behaupten dies sei die Geburtsstunde, die Wiege der industriellen Revolution.
Das aktuelle Zwischenergebnis der industriellen Revolution sehen wir jeden Tag in unserer Umwelt.
Im Takt der Maschinen.
Durch diese Erfindung veränderte sich das Arbeitsleben der Bevölkerung in einem bis dahin unbekannten Ausmaß und mit einer Geschwindigkeit die sich heute noch erhöht. Auf eine diese Veränderung möchte ich nun genauer eingehen, nämlich die Arbeitszeit.
Bis zur Erfindung der industriellen Anlage richtete sich die arbeitende Gesellschaft nach dem Sonnenstand. Die damals schon erfundene Taschenuhr war nur der wohlhabenden Gesellschaft zugänglich und diese arbeitete bekanntlich eher wenig.
Die neuartige Spinnmaschine benötigte zum Antrieb keine Menschenkraft mehr. Doch es musste wer zum Arbeitsbeginn die Maschine aktivieren und es mussten Personen, während der gesamten Produktionsdauer, die Maschine überwachen und warten. Und dies funktionierte nur wenn jede Arbeiterin und jeder Arbeiter zum selben Zeitpunkt, im Takt der Maschinen, zum Arbeiten begann und aufhörte.
Die geregelte Arbeitszeit war erfunden oder besser gesagt erzwungen. Bis heute hat sich dieses Arbeitszeitmodell im Kern erhalten. Unsere Leistung wird zu einem großen Teil an der Quantität gemessen und entlohnt. Der Faktor Ergebnis ist zwar wichtig, wird auch gerne finanziell gesteuert, hat aber keinen Einfluss auf die gesetzlich vorgeschriebene Quantität der Arbeitszeit. Auch die gesellschaftspolitische Diskussionen über die Arbeitszeit finden mit wenigen Ausnahmen nur über die Quantität statt. Es klingt fast wie eine Hüllendiskussion über die Größe eines Überraschungsei und wir sind dann enttäuscht wenn der Inhalt nicht passt.
Trotz allem war und ist es nach wie vor wichtig auch diese Diskussion zu führen. Denn während der Hochblüte der industriellen Revolution arbeiteten die Menschen bis zu 90 Stunden in der Woche und das unter menschenunwürdigen Bedingungen. Auch heute noch wird in Schwellenländern ein Arbeitseinsatz zwischen 80 und 90 Stunden pro Woche gefordert. Die 40 Stunden Woche wurde hart erkämpft und ist keine Selbstverständlichkeit.
Reality Check
Grundsätzlich müssen wir uns an das Arbeitszeitgesetz und an die Kollektivverträge halten. Das sind Rahmenbedingungen die wir spontan nicht ändern können. Aber innerhalb dieses Rahmens gibt es doch eine Bewegungsfreiheit.
Da hätten wir zum einem ein Gleitzeitmodell ohne Kernzeit inklusive einer Homeoffice Option. Abgesehen von einer gewissen Außensteuerung durch Unternehmenstermine können wir die Zeit und den Ort frei wählen. Das klingt nach einer kräftigen Portion Freiheit. Und Freiheit, konkreter formuliert, die subjektiv gefühlte Autonomie ist ein entscheidender Faktor in Verbindung mit Emergenz.
Der Mensch kann seine Leistung und Qualitäten nicht so linear abrufen und ausspielen wie eine Maschine. Jeder von uns kennt diese Tage, ohne wirklich erkennbare Ergebnisse, trotz massiven Zeitaufwands. Und auf der anderen Seite gibt es Tage wo einfach alles gelingt und einem der Tag zu kurz erscheint. Und genau hier können sich Unternehmen an uns anpassen. Oder anders formuliert es gibt uns die Möglichkeit Mensch und keine Maschine zu sein. Wir können oder besser gesagt wir dürfen unsere Qualitäten dann ausspielen wenn wir am leistungsfähigsten sind. Dies könnte ebenfalls ein relevanter Faktor für die Entstehung emergenter Eigenschaften sein.
Fazit
Kann ein kluges Arbeitszeitmodel die Entstehung von emergenten Verhalten fördern?
Ich denke ja. Es ist ein kleiner und doch hilfreicher Baustein. Ein Art Nährboden, welcher bei passender Nutzung sich positiv auswirkt.
Outro
Was sind nun die anderen relevanten Bausteine die emergentes Verhalten in Unternehmen fördern?
Unabhängig von Arbeitszeit und dessen Modelle ist ein rationalisiertes Ich notwendig. Das bedeutet Geist und Körper sind in einem gesunden Zustand und haben gelernt effizient zu Arbeiten.
Ein methodisches Arbeiten, das von allen Beteiligten akzeptiert und angewendet wird, ist auch von Bedeutung.
Eine subjektiv gefühlte Autonomie ist ebenfalls ein entscheidender Faktor in Verbindung mit Emergenz. Hierbei geht es um den notwendigen Spielraum und die Eigenverantwortung darüber.
Und letztendlich geht es um den Sinn in und an der Arbeit. Das was ich tue ergibt im Unternehmenskontext einen Sinn. Die Wechselwirkungen meines Handelns sind mir bewusst. Ich bin mir im Klaren, das kollektives Handeln und Denken mehr ergibt als die Summe des singulären Handeln und Denken.
Individuelles Denken und Handeln, das sich über Methoden und Prinzipien in einem passenden Ökosystem verbinden lässt, bringt unter Umständen emergente Eigenschaften hervor.
Und genau das können wir in der komplexen IT-Welt von heute gut gebrauchen.