Energieversorgung im Wandel Stadtwerke: Mit strukturierter Beschaffung durch und mit dezentralen Investitionen aus der Krise
Bis zum Jahr 2045 muss Deutschland klimaneutral werden. Dazu verpflichtet uns das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Das ist auch der Anspruch der deutschen Kommunalwirtschaft. Um das Ziel Klimaneutralität bis 2045 erreichen zu können, ist ein massiver und schneller Ausbau der Infrastruktur notwendig. Das gilt sowohl für Anlagen als auch für Netze. Energie- und Wärmewende müssen vor Ort passieren. Deshalb kommt Stadtwerken und kommunalen Energieversorgern eine entscheidende Schlüsselposition zu.
Wind- und Sonnenenergie sind die wichtigsten erneuerbaren Energieträger. Bei einer Dunkelflaute müssen zusätzlich aber auch regelbare Anlagen kurzfristig einspringen. Diese werden künftig klimaneutral, insbesondere mit grünem Wasserstoff betrieben. Daneben benötigen wir viele Energiespeicher – zum Beispiel Batteriespeicher. All das sorgt für langfristige Versorgungssicherheit, erfordert aber auch hohe Investitionen. Investitionen, die verlässliche Rahmenbedingungen vonseiten der Politik benötigen. Vor uns liegen spannende und herausfordernde Jahre. In diesem Transformationsprozess geben Stadtwerke und kommunale Energieversorger ihr Bestes. Für den Klimaschutz. Für die Menschen. Für die Daseinsvorsorge vor Ort.
Hauptsächlich als Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine war das Jahr 2022 zeitweise von erheblichen Preisbewegungen an den Energiemärkten geprägt. Trotz zuletzt positiver Entwicklung an den Energiemärkten ist weiterhin Vorsicht geboten und Energiesparen angesagt. Für Entwarnung ist es im Frühjahr 2023 noch zu früh: Begünstigt durch ungewöhnlich milde Temperaturen, eine moderate internationale Nachfrage, sehr gut gefüllte Gasspeicher, geringe inländische Verbräuche und die fertiggestellten LNG-Terminals sind die Gaspreise im Großhandel zwar zuletzt gesunken. Aber: Die erfreuliche Entwicklung der Gas- und Strompreise ist eine Momentaufnahme und die Energiekrise damit noch nicht überwunden.
Beschaffungsstrategie schützt vor extremen Preisschwankungen
Vor allem im kurzfristen Stromgroßhandel - dem Spotmarkt - waren Anfang 2023 Preisrückgänge zu beobachten. Dass davon bei den Verbraucherpreisen vorerst nichts zu merken war, hat hauptsächlich mit der Beschaffungsstrategie der Stadtwerke zu tun. An deren oberster Stelle steht nicht der kurzfristige Profit, sondern die Versorgungssicherheit und Planbarkeit für Haushalte, Gewerbe und Industrie. Die Kurzfristmärkte spielen für die Beschaffung der Stadtwerke daher eine nachgeordnete Rolle, denn sie kaufen Energie stetig auf Termin für die Zukunft ein.
Konkret: Den künftig erwarteten Energiebedarf für ihre Kunden kaufen Energieversorger in vielen kleinen Teilmengen zu verschiedenen Zeitpunkten ein. Diese bewährte strukturierte Beschaffungsstrategie schützt die Energiekunden vor großen Preissprüngen - das heißt, sie federt Preisspitzen ab und streckt Preissteigerungen zeitlich.
Gerade in der Energiekrise 2022 hat sich die konservative Beschaffungsstrategie von Stadtwerken und kommunalen Energieversorgern bewährt. Wenn Stadtwerke stattdessen immer aktuell einkaufen würden, hätten Verbraucherinnen und Verbraucher im vergangenen Jahr ein Vielfaches der auf den Strom- und Gasrechnungen ausgewiesenen Preise bezahlen müssen. Die strukturierte Beschaffung war und ist damit weiterhin die wirksamste Preisbremse, die massiven Schaden von den Endverbrauchern abgehalten hat.
Hohe Sicherheitsleistungen bei unbeständigen Märkten
Weiterhin wirken sich starke und sprunghafte Preisbewegungen sowie eine große Unsicherheit auf den Energiemärkten auf die Preise aus. Nicht nur für Stadtwerke, sondern für alle Energieeinkäufer gilt: Je stärker die Marktbewegungen ausfallen, desto höher sind die geforderten Sicherheitsleistungen, die sie leisten müssen, um Gas und Strom zu kaufen.
Mit den Sicherheitsleistungen sichert die Börse die Vertragsparteien gegen mögliche Ausfallrisiken ab. Bei sinkenden Marktpreisen müssen an der Börse vor allem die Energiekäufer Sicherheiten stellen. Aber auch in der von Stadtwerken weit überwiegend betriebenen außerbörslichen Beschaffung fordern Verkäufer zunehmend Sicherheiten von den Stadtwerken.
Es klingt paradox, doch mit den sinkenden Preisen steigen die Ausfallrisiken für Verkäufer. Entsprechend müssen Stadtwerke und Energieversorger als Käufer von Gas, die mehrheitlich im außerbörslichen Handel aktiv sind, höhere Sicherheitsleistungen im Terminhandel hinterlegen. Das bindet Liquidität, was wiederum den Handel erschwert oder blockiert. Und diese Liquidität fehlt am Ende auch für notwendige Investitionen in die Energiewende.
Zuvor aber trocknet der Handel aus und das Modell der strukturierten Beschaffung ist zunehmend in Frage gestellt. Wären die Stadtwerke am Ende gezwungen, nur noch am Spotmarkt zu kaufen, müssten sie bei erneuten Preisanstiegen diese Kosten direkt an Ihre Kundinnen und Kunden weitergeben. Entweder hätten diese eklatante Preissteigerungen zu verkraften oder aber der Staat erhebliche Mittel bereitzustellen, um im Rahmen der bis April 2024 geltenden Preisbremsen die Preise auf die in den betreffenden Gesetzen vorgesehenen Höchstwerte zu begrenzen.
Schutzschirm für Stadtwerke
Deswegen appelliert der VKU an die Bundesregierung und Ampel-Koalition, vorsorglich einen Schutzschirm für Stadtwerke aufzuspannen: Dazu braucht es kein neues Geld. Es sollte das bestehende 100 Milliarden Euro Margining-Programm für den Börsenhandel zusammen mit seiner haushaltsrechtlichen Grundlage angepasst und um Phasen sinkender Preise, den außerbörslichen Terminhandel und Bürgschaften erweitert werden. Das zugrundeliegende Garantievolumen reicht dafür aus. Der Vorteil: Haushalt und Steuerzahler würden nicht zusätzlich belastet, dafür jedoch der Handel beruhigt. Das wiederum könnte einen preisdämpfenden Effekt haben, von dem auf lange Sicht auch Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft profitieren könnten.
Blick in die Zukunft
Langfristig ist mit einer Verdoppelung der Gas- und Stromtarife im Vergleich zum Preisniveau in der Zeit vor den Krisen zu rechnen. Zur besseren Einordnung dieser Einschätzung: Vor Sommer 2021 kostete Gas im Großhandelsmarkt im Durchschnitt etwa 20 Euro/MWh, Strom im Durchschnitt etwa 50 Euro/MWh. Aktuell liegen die Preise für Gas bei etwa 66 Euro/MWh und für Strom bei etwa 175 Euro/MWh (Stand: Mitte Januar 2023).
Die Preise fallen zwar seit Mitte Dezember, liegen aber immer noch deutlich über dem Niveau der Vorjahre. Nachdem sie im Sommer 2022 ungefähr bei Faktor 10 gegenüber den Vorkrisenjahren lagen, liegen sie im Moment immer noch bei etwa Faktor 3.
Energieangebot mit neuen Anlagen steigern
Die Preisentwicklung für Energie wird auch davon abhängen, wie sich der Krieg in der Ukraine und vor allem Struktur und Abhängigkeiten der deutschen Energieversorgung entwickeln. Deutschland wird zwar in absehbarer Zeit den Wegfall des russischen Gases kompensieren können. Der damit verbundene Umbau der Infrastruktur ist allerdings zeitintensiv und mit hohen Kosten verbunden. Andere Bezugsquellen gewinnen an Bedeutung. Grundlage für niedrige Energiepreise ist ein großes Energieangebot. Deshalb müssen die erneuerbaren Energien massiv und schnell ausgebaut werden. Zusätzlich brauchen wir weiterhin regelbare H2-ready-Transformationskraftwerke, die den Ausbau von erneuerbaren Energien flankieren und eine sichere Stromversorgung gewährleisten. Wir – genauer Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – müssen stärker ins Handeln kommen. Großer Nachholbedarf besteht im Ausbau von Anlagen und der für den Betrieb notwendigen Netz-Infrastruktur. In Sachen Energiespeicher und Stromnetze könnten wir längst viel weiter sein. Der Netzausbau ist das Rückgrat der Energiewende. Es wird zwar immer mehr Ökostrom produziert, trotzdem kommt er nicht in die Steckdose, weil die deutschen Netze oft überlastet sind. Der Großteil des Windstroms wird zwar in Norddeutschland erzeugt, die Energie wird aber in den großen Wirtschaftszentren im Süden und Westen der Republik benötigt. Deshalb sind neue Stromtrassen notwendig, die Windenergie aus dem Norden Deutschlands in den Süden bringen.
Die Klimakrise lässt nicht mit sich verhandeln. Weltweit sind die ersten gravierenden Folgen in zunehmender Anzahl beobachtbar: Hitzewellen, Waldbrände und Tropenstürme. Millionen Menschen sind von Rekorddürren betroffen. Die Wissenschaft ist sich einig, dass die Erderwärmung auch bei extremen Regenfällen ihre Hände im Spiel hat. Die längst überfällige Energiewende ist der wichtigste Beitrag zum Klimaschutz. Die Anstrengungen auf diesem Gebiet müssen weiter verstärkt werden.
Konkret erfordert das den Ausbau von erneuerbaren Energien, Stromleitungen und Energiespeichern sowie dezentralen Lösungen. Zeit bleibt kaum noch, denn die kritische Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius wird bereits 2030 erreicht – zehn Jahre früher noch als 2018 prognostiziert. Bereits 2019 war die CO2-Kozentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren. Die gute Nachricht: Laut einer Studie könnten Wind- und Solarkraft den weltweiten Energiebedarf decken.
Warnungen von Wissenschaftlern gibt es bereits seit Jahrzehnten. Zum Beispiel warnte in einem Tagesschau-Beitrag vom 17. März 1995 der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung vor einer Klimakatastrophe. Damals hieß es, dass die CO2-Emmission jährlich um ein Prozent verringert werden müsse, ansonsten wäre ein Gegensteuern in rund 25 Jahren nicht mehr möglich. Wir haben diesen entscheidenden Zeitpunkt jetzt erreicht.
Theoretisch kann bereits heute durch regenerative Energien der Energiebedarf gedeckt werden. Ein Beispiel: Um die ganze Welt mit Sonnenenergie beliefern zu können, bräuchte es rund 450.000 Quadratkilometer Landfläche für Solaranlagen – das sind gerade einmal 0,3 Prozent der gesamten globalen Landmasse. In Deutschland führen immer mehr Städte eine Solarpflicht für Neubauten ein und diskutieren über eine Erweiterung auf Bestandsgebäuden.
Bei der Windenergie muss sich das Ausbautempo in den kommenden Jahren verdreifachen, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Erforderlich ist ein Abbau bürokratischer Hemmnisse: Strenge Abstandsregeln wie in Bayern haben dazu geführt, dass kaum neue Windräder gebaut werden können. Es hat sich außerdem gezeigt, dass die Akzeptanz für Windräder vor Ort steigt, wenn Anwohner in deren Ausbau investieren können und an den Gewinnen beteiligt werden. Stauseen und Power-to-Gas-Anlagen können Batterien beim Speichern von Energie ergänzen.
Außerdem ist davon auszugehen, dass sich auch Aufbau, Zusammensetzung und Leitung bei Batterien weiterentwickeln werden. Bei den meisten Biogasanlagen wird das entstandene Gas in einem Bioheizkraftwerk zur Storm- und Wärmeerzeugung genutzt. Andere Biogasanlagen bereiten das gewonnene Gas zu Biomethan auf und speisen es ins Erdgasnetz ein.
Ob wir wollen oder nicht, die vom Menschen verursachte Klimakrise ist da und wird sich weiter verstärken. Alle Industrienationen, auch Länder wie China, Russland und die USA werden sich dem daraus resultierenden Anpassungsdruck nicht widersetzen können. Je eher die führenden Industrienationen auf regenerative Energien setzen, desto leichter wird die Transformation werden.
Welche Folgen hier unterlassener Klimaschutz hat, mussten 2021 die Menschen in den Hochwassergebieten Deutschlands hautnah erfahren. Wenn wir die Energiewende schnellstmöglich umsetzen und damit die Emission von Treibhausgasen stoppen wollen, geht es nicht um Klimaschutz – es geht um Menschenschutz. Deutschland hat eine Vorbildfunktion, weil es seit Beginn der industriellen Revolution mit zu den größten Verursachern von CO2 zählt, übrigens noch vor China.
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Blackout unwahrscheinlich
Deutschland zählt zu den größten Stromexporteuren und hat in den vergangenen Jahren den Spitzenplatz eingenommen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes hielten sich Erzeugung und Verbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2003 in etwa die Waage. Seitdem werde mehr Strom produziert als verbraucht. Das ändert sich gerade. Der Grund: Mit dem Umstieg auf Wind- und Sonnenstrom schwindet die von Wetterbedingungen unabhängige sichere Leistung im Stromsystem. Trotzdem besteht kein Grund zur Sorge. Ein Blackout ist nach aktuellem Stand heute nicht wahrscheinlicher als vor ein paar Jahren.
Aber, das deutsche Stromsystem steht aufgrund seiner laufenden Transformation unter Anpassungsdruck. Reserven früherer Jahre sind aufgebraucht, beziehungsweise nicht mehr vorhanden. Deutschland wird daher in Zukunft stärker als bisher auf Stromimporte angewiesen sein, um in Extremsituationen die Stromversorgung aufrecht halten zu können. Batteriespeicher können zur Flexibilisierung des Stromnetzes beitragen. Sie sind dezentral einsetzbar und können in Zeiten mit viel Wind oder Sonne Strom aufnehmen, den sie in Zeiten von Flaute und bedecktem Himmel in das Netz einspeisen. Batteriespeicher helfen Netzbetreibern die Netzfrequenz stabil zu halten.
Genehmigungsverfahren und Flächen
Das Bundeskabinett hat Anfang 2023 den von Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck vorgelegten Entwurf einer Formulierungshilfe zur Umsetzung der EU-Notfall-Verordnung (Verordnung EU 2022/2577) beschlossen. Diese erlaubt EU-Mitgliedsstaaten Ausnahmen von der Artenschutzprüfung und der Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung für Erneuerbare Energien, Speicher und Netze vorzunehmen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die EU-Notfall-Verordnung soll nun durch Änderungen im Windenergieflächenbedarfsgesetz, im Windenergie-auf-See-Gesetz und im Energiewirtschaftsgesetz in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, die Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren stark zu beschleunigen, um private wie staatliche Investitionen zur Transformation des Landes schnell, effizient und zielsicher umsetzen zu können. Mit der Umsetzung der EU-Notfallverordnung in nationales Recht stellt sie die von vielen erhofften und erwarteten Weichen für den beschleunigten Ausbau von Windenergieanlagen an Land und auf See sowie den Ausbau von Übertragungsnetzen und neuen Hochspannungsleitungen. Für ausgewiesene EE- und Netzgebiete, die bereits eine strategische Umweltprüfung (SUP) durchlaufen haben, entfällt im Genehmigungsverfahren die Pflicht der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und der artenschutzrechtlichen Prüfung.
Die Initiative von Bundesminister Habeck zur zügigen Umsetzung und der aktuelle Beschluss sind aus mehreren Gründen richtig und notwendig. Erstens kann er Genehmigungsverfahren in ausgewiesenen Gebieten zeitlich deutlich beschleunigen. Er trägt damit zum Erreichen der Klimaschutzziele bei. Zweitens kann er das Energieangebot steigern, was Grundlage für niedrige Energiepreise ist. Und drittens verringert dies auch die Abhängigkeit von Energieimporten und trägt zur Versorgungssicherheit bei. Dem Artenschutz soll durch Minderungs- und gegebenenfalls Ausgleichsmaßnahmen dennoch Rechnung getragen werden.
Für Bundesländer und die Genehmigungsbehörden soll es nun deutlich einfacher werden, den Windkraftausbau mit aller Kraft voranzutreiben und Anlagen zügig zu genehmigen. Dies sollte jedoch nicht nur für 18 Monate befristet ermöglicht werden, sondern dauerhaft im EU- sowie in nationalem Recht verankert werden. Zudem sollten Erleichterungen auch bei Netzverstärkungsmaßnahmen und auf Verteilnetzebene geschaffen werden.
Mehr Elektromobilität dank intelligentem Steuern und Spitzenglättung
Die Transformation und erhöhte Flexibilität ist auf einen zügigen Netzausbau zwingend angewiesen, ohne auf dem Weg dorthin den Anschluss an das Energienetz zu verzögern. So tritt zur Energiewende die Mobilitätswende hinzu. Elektromobilität ist auf dem Vormarsch. Intelligentes Lademanagement beim Aufladen von Elektrofahrzeugen soll daher den Ausbau der Elektromobilität in Deutschland deutlich beschleunigen. Durch das gesteuerte Laden können bis zu vier Mal mehr Elektrofahrzeuge kurzfristig in das bestehende Stromnetz integriert und zugleich das Stromnetz stabil gehalten werden. Die so genannte Spitzenglättung beschreibt hierbei einen Prozess, der es Stromnetzbetreibern erlaubt, den Stromverbrauch von Elektroautos beim Ladevorgang zu verringern und auf längere Zeiträume auszudehnen, damit das örtliche Stromnetz nicht überlastet wird.
Die kommunalen Energieversorger sprechen sich dafür aus, dass – bildlich beschrieben – der örtliche Netzbetreiber für temporäre Tempolimits im Stromnetz und damit einen besseren Verkehrsfluss sorgen darf, bevor es zu langen Staus oder Baustellen kommt. Klar ist, dass für die Verkehrswende und die vielen zusätzlichen Wallboxen das Stromnetz weiter massiv ausgebaut werden muss. Dabei betrachten sich die Netzbetreiber als Ermöglicher der Elektromobilität, nicht ganz ohne Eigeninteresse: Schließlich verdienen sie mit dem Netzausbau Geld.
Medienberichte, wonach nun auch einer der größten deutschen Automobilbauer ein globales Schnellladenetzwerk errichten will, sind positiv. Für ein engmaschiges Ladenetzwerk brauchen wir die Zusammenarbeit aller Beteiligten und vor allem in dünn besiedelten Gebieten noch erhebliche Investitionen. Bisher waren es überwiegend die Stadtwerke und kommunalen Unternehmen, die in diesen Gebieten Engagement gezeigt haben. Eine schnelle und erfolgreiche Verkehrswende könne nicht ausschließlich auf Rosinenpickerei aufgebaut werden, also der Errichtung von profitable Schnelllade-Hubs entlang von Autobahnen.
Wasserstoff von zentraler Bedeutung
Für das Erreichen der Klimaschutzziele und eine schnelle Energiewende ist auch Wasserstoff ein zentraler Baustein. Damit verbunden ist die Relevanz des Gasnetzes. Die EU-Kommission beabsichtig die eigentumsrechtliche Trennung des Wasserstoff- und Gasnetzes auf Verteilnetzebene. Das ist nicht nachvollziehbar, denn ein solches Vorhaben würde einen schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft behindern und wäre ein Bärendienst für das Gelingen der Energiewende in den Kommunen auf dem Weg zur Klimaneutralität.
Zusammen mit mehreren Spitzenverbänden hat sich der VKU zu einem Bündnis gegen die Pläne der EU-Kommission zusammengeschlossen und sich wiederholt an die Bundesregierung gewandt. Zu den Partnern zählen ebenso der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städtetag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU).
Die kommunalen Energieversorger bestärken die Bundesregierung, sich im EU-Energieministerrat dafür einzusetzen, dass der Rat der Position des Europäischen Parlaments folgt. Denn im Gegensatz zur EU-Kommission haben sich die EU-Abgeordneten des Industrie-, Forschungs- und Energieausschuss (ITRE) des Europäischen Parlaments parteiübergreifend u.a. dafür ausgesprochen, auch bei Wasserstoff die bewährte Unterscheidung zwischen Fernleitungsbetreibern und Verteilnetzbetreibern zu erhalten – analog zum jahrzehntelang bewährten Gassystem.
Außerdem haben sich die Abgeordneten des ITRE für die Möglichkeit des gemeinsamen Betriebs von Wasserstoff- und Gasnetzen ausgesprochen – ohne die unnötige bürokratische Hürde der Trennung in zwei Gesellschaften im Rahmen einer horizontalen Entflechtung. Wichtig ist auch ihr Plädoyer für die Anwendung der bei Gas- und Stromnetzen bewährten Entflechtungsregeln auf Wasserstoff entsprechend der jeweiligen Netzebene unter Beibehaltung der Möglichkeit des ITO-Modells (Independent Transmission System Operator) für Fernleitungsnetzbetreiber auch nach 2030.
Bestehendes Netz nutzen
Die unternehmerische Trennung zwischen Gas- und Wasserstoffnetzen würde es vielen Akteuren wie Stadtwerken fast unmöglich machen, zum Hochlauf einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft beizutragen. Dazu zählen eine dezentrale Wasserstoff-Produktion aufzunehmen – etwa um grünen Überschussstrom zu nutzen – vor allem aber auch die effiziente Verteilung, um Gewerbe- und Industriebetriebe in der Fläche zu versorgen, die für ihr Geschäfts auf diesen Energieträger angewiesen sind. Sowohl der heimisch produzierte als auch der importiere Wasserstoff könnte mit vergleichsweise geringen Anpassungen durch das bestehende Gasnetz transportiert und verteilt werden.
Die Transformation und Aufbau dieser Infrastruktur könnte auch wirtschaftlich aus einer Hand erfolgen. Dieses nicht zu nutzen, würde den Hochlauf von Wasserstoff von Beginn an einbremsen, nachfrageseitig einschränken und ihm damit von vornherein die für die Marktdurchdringung notwendige Nachfragemacht nehmen, die für den in- und ausländischen Ausbau erforderlicher Angebotskapazitäten notwendig ist – und z.B. bei potenziellen Produzenten im Nahen Osten auch erwartet wird. Zur Versorgung von Industrie und Gewerbe ist sowohl das Fernleitungsnetz als auch das weit verzweigte Verteilnetz erforderlich: Die Vorschläge der Kommission lassen völlig außer Acht, dass allein in Deutschland mehr als 99 Prozent der Industrie-, Gewerbe und Nicht-Haushaltskunden Gas über die Verteilnetze beziehen. Dazu gehören rund 1,8 Millionen mittelständische Unternehmen mit mehreren Millionen Arbeitsplätzen.
Die Ferngas- und Verteilnetzbetreiber verfügen über etablierte Prozesse und ausgewiesene Expertise, während der Bund bereits heute ausreichend Einfluss-, Steuerungs- und Schlichtungsmöglichkeiten besitzt, beispielsweise über die Genehmigung des Szenario-Rahmens für den Netzentwicklungsplan durch die Bundesnetzagentur. Eine schnelle, effiziente und sozial gerechte Dekarbonisierung der am Gasnetz angeschlossenen Kunden und Unternehmen sowie der Erhalt der Versorgungssicherheit hängen maßgeblich von einer kohärenten Transformation der Gasnetzinfrastruktur ab.
Definition von grünem Wasserstoff
Zwar hat die EU-Kommission nun erstmals Kriterien für die Definition von „grünem Wasserstoff“ per delegiertem Rechtsakt festgelegt und damit die Rahmenbedingungen für Investitionen in Wasserstoff deutlich verbessert. Jedoch lässt sie relevante, lokale Potentiale von Wasserstoff ungenutzt: So bleibt Wasserstoff, der bei der Abwasserentsorgung oder bei der Verbrennung von nicht-recycelbarem Abfall in Müllheizkraftwerken gewonnen wird, außen vor. Diese klimaneutralen Energiequellen auf kommunaler Ebene nicht zu nutzen, ist ein nicht nachvollziehbarer Fehler. Denn wir brauchen jedes verfügbare Gigawatt an klimaneutralem Wasserstoff.
Grundsätzlich richtig ist das Prinzip der sogenannten Additionalität: Wasserstoff soll möglichst aus Ökostrom-Überschüssen erzeugt werden und damit aus zusätzlich erbauten Erneuerbaren-Anlagen stammen. Damit trägt die EU-Kommission dem insgesamt steigenden Strombedarf durch die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors Rechnung.
Bei diesem Grundsatz beweist die EU-Kommission inzwischen das nötige Augenmaß für den Durchbruch von Wasserstoff in der Praxis. So schafft sie erstens Übergangsfristen für Elektrolyseure, die bereits stehen oder bis zum 1. Januar 2028 erbaut werden. Investitionen der Early-Mover werden so nicht nachträglich entwertet, die Erzeugungskapazitäten stehen weiter für die sichere Versorgung zur Verfügung. Zweitens schafft sie die Möglichkeit, dass erneuerbarer Strom auch als Wasserstoff genutzt werden darf, wenn er ansonsten abgeregelt werden müsste und nicht genutzt werden könnte. Das entlastet das Netz, reduziert den Redispatch-Bedarf und folgt dem vernünftigen Grundsatz: Gerade jetzt zählt jedes Gigawatt, das wir selbst erzeugen.
Fazit: Ebenso wie die Stadtwerke mit einer kundenorientierten und langfristigen Beschaffung die Krise abgemildert und für Endverbraucher tragfähig gestaltet haben, müssen sie nun in die Lage versetzt werden, die Energiewende als Marathon für den Klimaschutz durch örtliche und langfristig angelegte Investitionen zu meistern. Die Energiewende ist ein Mammutprojekt, aber zu bewältigen. Die kommenden Monate und Jahre bleiben daher für VKU-Mitgliedsunternehmen in allen Bereichen sehr arbeitsintensiv. Ob sie am Ende auch im Interesse unseres Landes erfolgreich sein werden, hängt sehr stark von den Rahmenbedingungen ab, die die Politik setzt. Hier gilt vor allem, dass Investitionssicherheit und Wettbewerb die Dekarbonisierung flankieren und ermöglich müssen.