Erfahrungen mit ePaper

Erfahrungen mit ePaper

"Beten gegen Corona hilft" - klar, so gut wie gegen schlecht gemachte ePaper. Seit einigen Wochen habe ich wieder eine deutschsprachige Tageszeitung, den Münchner Merkur, abonniert - bzw. die Regionalausgabe Fürstenfeldbrucker Tagblatt. Das ist der Mantel des Merkur mit einem ausführlichen Regionalteil. Als e-Paper. Was das Beten damit zu tun hat, dazu später. 

Das letzte (Print-)Tageszeitungsabo hatte ich vor über 25 Jahren gekündigt: Grund waren immer weniger lokale Nachrichten und noch weniger Meldungen zur regionalen, klein- und mittelständigen Industrie, die mich aber in einer Tageszeitung vor allem interessieren. Über das sonstige Geschehen in der Welt und der Wirtschaft konnte ich mich bereits damals online schneller und umfassender informieren.

Die Gründe für den erneuten Abo-Versuch waren vielfältig, aber der Ausschlaggebende war diesmal: Sich nach dem Frühsport bei einer Tasse Kaffee in Ruhe über das Geschehen in der Welt, der Wirtschaft und der Region zu informieren ist einfach ein guter Start in den Arbeitstag. 

Als weiterer Grund kommt hinzu, dass das regionale Geschehen sich kaum so geballt und journalistisch gut aufbereitet im Internet wiederfindet wie beim Merkur. Lange Zeit habe ich mir die Informationen vor allem auf Facebook zusammengelesen, wo sich viele regionale Gruppen gebildet haben. Doch diese Infoquelle ist mir inzwischen zu anstrengend: wenige Nachrichtenperlen über viele Gruppen verteilt, aber dafür ständig dieselben Themen, laufend diesselben Fragen, und immer dieselben Facebookianer, die zwar oft keine Ahnung vom Thema und den Fakten haben, aber jede Menge Meinung und viel Zeit für Kommentare. Wobei das allgemein ein zunehmendes Problem in FB ist. 

Aber das ist ein anderes Thema, zurück zum Merkur-Abo: Ein weiterer Grund war, dass ich inzwischen sehr gute Erfahrungen mit dem Nutzen digitaler Magazine auf dem Tablet gemacht habe. Sie bieten mir deutlich mehr "Lese"-Erlebnis als eine Print-Ausgabe: So habe ich beispielsweise schon länger die Apps von NYT und Guardian abonniert oder genieße seit Jahren regelmäßig die kostenlose ePaper-App des Bikemagazin Gran Fondo. Alle drei sind gut umgesetzte Online-Magazine, die mit einem durchdachten Content-Konzept, einem für Online entwickelten Layout, durch Verlinkungen auf weiterführende Informationen, Bilderstrecken und 3D-Bilder, Videos und vieles mehr schon allein dadurch Lesevergnügen vermitteln. Und wenn dann die Inhalte auch noch interessant sind... 

Zum Gran Fondo Magazin noch eine Bemerkung: Das ist vor vier Jahren kostenlos online gestartet, zwar anzeigenfinanziert aber mit wirklich guten Inhalten, was mich dazu gebracht hat, mein bezahltes Abo eines Wettbewerbers zu kündigen. Die Inhalte waren nicht besser, aber die App deutlich schlechter. Aber dazu ein andermal mehr.

Was also sollte bei einem ePaper wie dem Merkur von der online-erfahrenen Ippen-Gruppe bei einem Abo schiefgehen, auch wenn der Preis von 30,99€ /Monat für das digitale ePaper (gegenüber 44,40€ für die gedruckte Papier-Ausgabe, eingeworfen im Briefkasten) ein stolzer ist?

Dafür steckt dann ja sicher etliches an Funktionen drin, so meine Erwartung. Denn ePaper entwickeln sich für Print-Verlage zu einem immer wichtigeren Einkommenskanal, vor allem bei den Tageszeitungen: So hatte etwa der britische Guardian mit stark sinkenden Abo-Zahlen im Print zu kämpfen, war von einst über 360.000 (2003) auf gerade noch etwas mehr als 130.000 (2019) abgerutscht, bis ihm mit einem gut gemachten Online-Auftritt inklusive sehr guter App seit 2018 der Turn-Aroung gelang: die App ist frei lesbar, aber sogenannte Unterstützer zahlen freiwillig einen monatlichen Beitrag ab 2€. Inzwischen sollen es bereits mehr als eine Million Supporter sein, 55 Prozent der Einnahmen des Guardian kamen 2020 aus dem Digitalen Bereich.

Auch in Deutschland stieg die Auflage von Digital-Ausgaben laut IVW: Bei Tageszeitungen im ersten Quartal 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 13,84 Prozent, bei Wochenzeitungen sogar um 24,82 Prozent. Insgesamt wurde jede achte Zeitung im Jahr 2020 als E-Paper verkauft.  

Aus Sicht der Zeitungsverlage sind ePaper aus zweierlei Gründen die bessere Alternative als eine aufwändige News-Site: ein journalistisches Online-Produkt kann ohne Online-Journalisten produziert werden, allein auf der Basis einer technischen Transformation aus dem Print. Die Daten direkt werden aus dem Produktionsprozess der klassischen Druckzeitung weiterverarbeitet und die dazu erforderlichen Arbeitsschritte sind entweder voll automatisiert oder können mit geringem personellen Aufwand umgesetzt werden. Gerade in der derzeit schwierigen finanziellen Lage der Tageszeitungen sind vor allem diese beiden Kostenaspekte ganz zentrale Argumente für manche Verlage für ein ePaper. 

Was aber sollte bei dem Abo eines ePapers aus dem Haus mit der größten News-Plattform Deutschlands, der Ippen-Gruppe, schiefgehen? Kurz zusammengefasst: Für Nutzer wie mich, die den Inhalt mit digitalen Funktionen und Ergänzungen zu einem “Mehr-als-nur-Lesen-Vergnügen” verbinden wollen - fast alles. 

Ausführlicher: Die ersten Ausgaben des Merkur besorgten mir ein Flash-Back ins letzte Jahrtausend. Zwar halte ich keine Print-Ausgabe mehr in Händen, sondern ein e-Paper auf dem Tablet - aber wenn ich mir die Umsetzung der Merkur ePaper-App anschaue, nehme ich jede Kritik an unserer Fachverlagsbranche zurück. Dieses e-Paper ist im Prinzip die gedruckte Seite, aber mit schlechteren Funktionen und schlechterer Übersicht. In der Zeitung sehe ich z.B. eine Bilderstrecke eines Artikels auf einen Blick. In der App wird immer nur das erste Bild (teilweise in unterirdischer Auflösung) angezeigt, die anderen muss ich dann erst mit mehreren Klicks öffnen - und dann fehlt bei den Folgebildern die Bildunterschrift. Ich habe bis heute nicht raus, wie ich an die ran komme.  

Und von einem Beitrag, der auf der Titelseite angerissen ist, direkt auf die entsprechende Seite zu wechseln, geht nicht. Erst muss man aus der Detailansicht mühsam auf die Gesamtansicht zurück, von dort bis zu der Seite blättern, dann in den Artikel wieder reinklicken...diese und zig weitere Handhabungs-Bugs machen das Lesen der Merkur ePaper-App teilweise wirklich mühsam.  

Unterhaltsam sind dafür allerdings manchmal die Leserbriefe: die Schreiber entstammen offenbar teilweise völlig anderen Kreisen als denen, in denen ich mich IRL oder online normalerweise bewege. Der Aufmacher-Leserbrief einer der letzten Ausgaben trug z.B. den Titel: "Beten gegen Corona hilft". Ich hatte dann einen Postillion-ähnlichen Beitrag erwartet, und es hat fast den halben Text  gebraucht, bis ich realisierte, dass er nicht als Satire gedacht war...

Doch diesen oder andere Beiträge direkt zu bewerten oder zu kommentieren geht auch nicht - nur per eMail oder Snailmail. Da steht dann eine Meinung, von der Redaktion freigegeben, unreflektiert in Druckertinte gestanzt. Das war für mich tatsächlich sehr ungewohnt.

Dass das durchaus anders geht, beweist der Verlag selbst mit seinem Online-Auftritt Merkur - und der entsprechenden App. Das ist nicht dieselbe wie die ePaper-App, denn beim Merkur leistet man sich den Luxus von zwei verschiedenen Apps mit unterschiedlichen Inhalten. 

Die Zeitung gehört, wie gesagt, zur Ippen-Gruppe, und die Zentralredaktion von Ippen betreibt mit rund 170 Mio. Visits die größte Plattform für regionale Nachrichten in Deutschland und die drittgrößte Nachrichten-Plattform eines deutschen Medienunternehmens. Die Zentralredaktion versorgt mehr als fünfzig regionale Portale des bundesweit ersten und größten Redaktionsnetzwerks rund um die Uhr mit News. Und bildet auch die Grundlage der Merkur-App. Diese App ist - im Gegensatz zum ePaper - kostenlos, wird mit aktuellen Meldungen laufend gefüttert, auch aus der Region, aber der Lokalnachrichten-Teil ist in der ePaper-App deutlich stärker. Doch Aufbau und Funktionen der Online-App sind im Gegensatz zur ePaper-App guter Standard. Zudem bietet erstere eine zumindest akzeptable Kommentarfunktion über Disqus. 

Warum der Verlag statt zwei nicht nur eine App anbietet, bei der dann bestimmte Inhalte hinter einer Bezahl- bzw. Abo-Schranke liegen, bleibt sein Geheimnis.

Doch ich will nicht verhehlen: Die meisten Nutzer der Merkur-ePaper-App haben offenbar andere Vorstellungen an eine solche als ich: Die Bewertung der App ist mit 4,6 ausgesprochen gut. Allerdings vermute ich stark, dass 95 Prozent der Nutzer a) älteren Jahrgangs sind und b) alle aus der Print-Ecke kommen. Sie finden die App zum Beispiel "einfach super. Zeitung muss man bei Abwesenheit nicht abbestellen...". Andere vergeben 5 Sterne, da "man die Zeitung mitnehmen kann wo immer man auch ist". Und viele Nutzer finden es schon eine Bestbewertung wert, dass "man die Zeitung von morgen schon am Abend vorher lesen kann".

Ich halte es für absolut unwahrscheinlich, dass eine App mit diesen Qualitäten auch die Zielgruppe der jüngeren Generationen so begeistern würde.


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