Es lebe das Mittelmaß!
Das „Pampers-System“ greift offenbar mehr und mehr um sich: die Klettergerüste auf Spielplätzen werden immer niedriger und der Boden darunter immer weicher, die Schulnoten in der Grundschule sind zum Teil schon abgeschafft, Rechtschreibfehler in Klassenarbeiten werden nicht mehr angestrichen, die Bundesjugendspiele sollen keine Wettkämpfe mehr sein und jetzt fallen in den Ligen der Fußball-Junioren auch noch die Ergebnisse und Tabellen weg.
Die Begründungen für all das sind ebenso simpel wie konstruiert: Kindern und Jugendlichen soll der „Leistungsdruck“ genommen und der „Spaß“ an Schule, Sport und Spiel zurückgegeben werden. Außerdem soll das „Gleiche“ betont und nicht die „Ungleichheit“ gefördert werden. Und vor allem, Kinder und Jugendliche sollen auf ihrem Weg ins Leben umfassend vor psychischen und physischen Schäden bewahrt werden.
Die Frage ist, wohin genau im Leben dieser Weg führt, auf dem keine Steine mehr liegen und dessen Leitplanken mit Schaumstoff verkleidet sind. Der Trainer sagt nach dem Verpassen des Finals, es sei eine gute Leistung seines Schützlings gewesen. Dass sie meilenweit von der persönlichen Bestleistung entfernt lag, erwähnt er nicht. Man will ja nicht demotivieren.
Der Sportunterricht an Schulen wird vernachlässigt und gehört zu den Fächern mit den meisten Ausfallstunden. Aber die Klagen darüber halten sich in Grenzen. Die Kinder sollen ja nicht durch Misserfolge in ihrer Entwicklung zurückgeworfen werden. Außerdem kommt das Erreichen des letzten Platzes vor den Augen der Mitschüler fast schon einer Diskriminierung gleich. Gleichzeitig kann ein immer weiter steigender Teil der Grundschüler nicht schwimmen oder länger als 5 Sekunden auf einem Bein stehen.
Wenn aber die deutsche Nationalmannschaft in der Vorrunde kläglich scheitert, was durch eine andere Mentalität, mehr Leistung und höheren Einsatz zu verhindern gewesen wäre, ist das allgemeine Lamento groß.
Das Ergebnis dieser „Greenhouse Adolescence“ ist absehbar. Der Sport mit seinen Herausforderungen ist auch ein Spiegel der Gesellschaft, in dem wie unter einem Brennglas Mentalität, Einstellung, Fähigkeit, Willen und Opferbereitschaft der Menschen sichtbar werden. Bereits heute sind in weiten Bereichen der deutschen Gesellschaft - und keineswegs nur im Sport - Spitzenleistungen suspekt, Eliten verpönt und das Erreichte schon das Erreichbare.
Manchmal frage ich mich, wie unsere Generation, etwas despektierlich "Boomer" genannt, überhaupt überleben konnte angesichts der unzähligen Gefahren, für die wir nicht "gepampert" wurden und der Belastungen, die uns niemand von den schmalen Schultern genommen hat. Und die überwiegende Mehrheit ist auf geradezu wundersame Weise nicht unter diesem allgegenwärtigen Leistungsdruck zusammen gebrochen und zeigt keine PTBS-Symptome.
»Gar nichts« halte er davon, dass bei den G-, F- und E-Junioren Ergebnisse und Tabellen wegfallen werden, so FC-Trainer Steffen Baumgart. Und weiter, »Wir sind eine Generation, die nur noch den weichen und seichten Weg geht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Es ist doch nicht schlimm, wenn ein Kind verliert. Es muss doch lernen, mit Niederlagen umzugehen. Ich muss doch lernen, Spaß an dem Sport zu haben, nicht nur wenn ich zehn Tore schieße.«
Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann meinte gar, den Kindern werde das Leistungsprinzip austrainiert, »darunter wird der Spaß leiden«.
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Ich warte auf den Tag, an dem unsere Außenministerin, die ja mit ungebrochenem missionarischen Eifer in der Welt unterwegs ist (es sei denn, der fliegbare Untersatz spielt mal wieder nicht mit) in Lausanne den IOC-Präsidenten trifft und ihm ins Gewissen redet, das mit der Medaillen-Vergabe bei Olympia künftig doch sein zu lassen, weil es falsche Anreize setzt und die hehre Idee von „Teilnahme entscheidet“ in grober Weise missachtet.
Work-Life Balance schlägt Leistung, Teilnahme ist wichtiger als Ergebnis, das Mittelmaß wird zum Maßstab. Halt, nicht Maßstab, das klingt zu sehr nach Messen und Ungleichheit und das ist ebenso von Übel wie von Gestern. Also, besser: Das Mittelmaß wird das Erstrebenswerte.
Wohin wird dieser Weg uns führen?
Wie zu fast allen Dingen des Lebens hatte Goethe dazu seine Meinung:
(Das folgende Zitat wird, als Bestandteil der Literaturgeschichte, in seiner ursprünglichen Form wiedergegeben. Es enthält Passagen, die heute als diskriminierend betrachtet werden.)
"Geh, gehorche meinen Winken, nutze deine jungen Tage, lerne zeitig klüger sein: Auf des Glückes großer Waage steht die Zunge selten ein. Du musst steigen oder sinken, Du musst herrschen und gewinnen oder dienen und verlieren, leiden oder triumphieren, Amboss oder Hammer sein."
Zukunftsbringer | Networking Capital Expert | Startup Enthusiast | Corporate Influencer & Matchmaker | Impact and Sustainability Accelerator | Advisor, Trainer, Coach
1 JahrPrima Beitrag Steffen Körner. Sich dem Wettbewerb zu stellen ist nicht jedermanns Sache. Das liegt in der individuellen Persönlichkeitsausprägung begründet. Solche Dinge, wie persönlich gefühlte Ungerechtigkeit vergelten zu wollen, kämpfen, sich mit anderen messen, danach streben der Beste zu sein etc. liegt nicht immer in der intrinsischen Motivationsstruktur hoch ausgeprägt. Gemäß der Gauß'schen Normalverteilung haben die meisten Menschen unter uns eine ausgewogene Motivation diesbezüglich, was auch die Herstellung von Harmonie, Vermeidung von Konflikten und Streben nach Bequemlichkeit einschließt. Die im Beitrag aufgezeigten Tendenzen schließen demnach auf eine übermäßige Betonung der ausgleichenden Motive für die entsprechenden Entscheidungen. Damit wird jedoch ebenfalls nicht der Mehrheit der Bevölkerung Rechnung getragen. Ich persönlich sehe die Entwicklung ebenso kritisch, weil ja auch kein Kind zum Beispiel zum Sport gezwungen wird. Sollte es zumindest nicht. Und wenn die Erzielung von Bestleistungen eben nicht sein Ding ist, dann gibt es andere Trigger, die dann Spaß machen. Ob der jeweilige Mannachaftssport dann immer die richtige Wahl ist, sei dahin gestellt.