Es wird Zeit für die Zeit
Photo: Martin Widenka

Es wird Zeit für die Zeit

Jeden Monat ein neuerschienenes englischsprachiges Buch, dessen Lektüre sich für Berater & Coaches lohnt - kurz vorgestellt und kritisch reflektiert. Das ist die Idee meiner neuen Kolumne in der wirtschaft & weiterbildung. Weil sich die Lektüre aber für alle lohnt, die aktiv die Zukunft gestalten, gibt's die Kolumne auch hier!

In der März-Ausgabe: When (Daniel Pink, 2018).

Für Daniel Pink ist Zeit kein Konstrukt, das eine philosphische Betrachtung nahelegt, sondern in erster Linie eine Frage des richtigen Timings („Wann?“). Mit dieser Brille arbeitet er sich durch zahlreiche Studien zu drei Aspekten:

  • Auswirkungen von innerer Uhr und Biorhythmus auf die Leistungsfähigkeit von Individuen
  • Bedeutung und Charakteristika von Anfängen, Abschlüssen und der Zeit dazwischen
  • Synchronisation von Menschen in Gruppen zur Bewältigung von gemeinsamen Aufgaben

Fundgrube für Forschungserkenntnisse und Hacks

In jedem Fall eignet sich das Buch als Fundgrube für aktuelle Forschungserkenntnisse und für Tipps & Tricks (neudeutsch: Hacks) für Einzelne und in geringerem Maße für Teams. Das ausführliche Literaturverzeichnis macht es leicht, bei Bedarf und Interesse tiefer zu gehen.

Da Pink ein weitgehend lineares Verständnis von Zeit unterstellt, haben die von ihm vorgestellten Erkenntnisse überwiegend „Wenn-dann-Charakter“ – was einige seiner Empfehlungen arg trivial erscheinen lässt.

Hinter den Erwartungen zurück bleibt der dritte Teil, der außer einem spannenden Fallbeispiel wenig Neues zu bieten hat: Pink portraitiert die in Mumbai seit 125 Jahren tätigen „Dabbawalas“, die sich und ihre Arbeit ohne elektronische Unterstützung so synchronisieren, dass sie jeden Mittag pünktlich warmes Essen ausliefern.

Start with WHEN

Der mittlere Teil jedoch bietet insbesondere für Teamentwickler und Organisationsberater jede Menge Material. Viele der vorgestellten Erkenntnisse sind für diejenigen unter uns spannend, die sich mit der Orchestrierung von Veränderung beschäftigen. Als besonders fruchtbar könnte es sich erweisen, an dieser Stelle die kluge und viel zu wenig verbreitete Idee des „Situationspotentials“ ins Spiel zu bringen. Der Begriff stammt von dem französischen Philosophen Francois Jullien, der sich mit China und dessen Vorstellung von Wandel befasst hat. Demnach machen westliche Steuerungsphantasien, die dem Design der meisten Change-Projekte zugrunde liegen, ausgesprochen wenig Sinn: Zuerst wird eine Vision definiert, dann werden aufwändige Action Roadmaps entwickelt, die dann aufgrund des „Widerstands“ (gern genommen: das mittlere Management) nur schwer umsetzbar sind. Auf den Plan gerufene Berater diagnostizieren aktuell gerne „fehlenden Purpose“ und rufen dann zur kreativen Sinnsuche auf.

Schlechte Zeiten für Helden

Lässt man sich dagegen auf die fernöstliche Perspektive ein, ginge es darum, achtsam die momentane Situation zu beobachten und darin liegende Chancen zu erkennen, um dann günstige Gelegenheiten klug zu nutzen, so dass der erwünschte Zustand wahrscheinlicher wird. Nicht zuletzt geriete das richtige Timing in den Fokus der Aufmerksamkeit. Die Sache hat einen Haken: Eine solche Perspektive eignet sich wenig für die Inszenierung von weltverbessernden Heldentaten.

oder auch: "WuWei - Handeln durch nicht Handeln", bei uns im westlichen Kulturkreis fälschlicherweise oft als "Nichtstun" oder "passiv sein" übersetzt. Dabei geht es um den richtigen Moment, aus dem heraus sich das eigene Handeln "aus der eigenen Mitte" gut entfalten kann. Timing und Situationspotenzial eben ... ;-)

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