EuGH zur Differenzbesteuerung: Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb mindert die Bemessungsgrundlage nicht
1 Hintergrund
Widersprüche zwischen Unionsrecht und nationalem Recht sind im Bereich der Mehrwertsteuer keine Seltenheit. Dies zeigt sich auch in der deutschen Rechtssache Mensing. Über diese musste der EuGH gleich zweimal entscheiden. § 25a Abs. 2 UStG räumt einem Wiederverkäufer die Möglichkeit ein, zur Differenzbesteuerung zu optieren, wenn er Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten eingeführt hat, oder wenn Kunstgegenstände an ihn steuerpflichtig geliefert werden und nicht von einem Wiederverkäufer stammen. Während sich der EuGH in Mensing I mit der Frage befasste, ob die Differenzbesteuerung überhaupt Anwendung findet, wenn der Wiederverkäufer Gegenstände innergemeinschaftlich erwirbt und der Verkäufer im Abgangsland eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklärt, beschäftigte er sich in Mensing II mit der Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die Differenzbesteuerung in einem solchen Fall.
2 Sachverhalt
Der Kläger Harry Mensing ist ein in Deutschland ansässiger Kunsthändler. Im Jahr 2014 lieferten Künstler (Urheber) Kunstgegenstände aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet an den Kläger. Die Künstler behandelten die Lieferungen im Abgangsland als steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen. Der Kläger versteuerte in Deutschland einen innergemeinschaftlichen Erwerb zum ermäßigten Steuersatz. Er nahm keinen Vorsteuerabzug aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb vor. Der Kläger optierte ggü. dem Finanzamt (Beklagter) zur Differenzbesteuerung. Der Beklagte lehnte die Option mit einem Hinweis auf § 25a Abs. 7 Nr. 1 Buchst. a UStG ab. Danach findet die Differenzbesteuerung auf den Verkauf eines Gegenstands, den der Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erworben hat, keine Anwendung, wenn der Verkäufer im Abgangsland diese Lieferung als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hat. Eine solche Einschränkung enthält Art. 316 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL nicht. Deshalb berief sich der Kläger unmittelbar auf diese Regelung. In seiner Entscheidung Mensing I vom 29.11.2018 – C 264/17 – bestätigte der EuGH, dass der Kläger zur Differenzbesteuerung optieren durfte. Fraglich blieb, wie der Kläger die Bemessungsgrundlage beim Verkauf dieses Gegenstands zu bestimmen hat. Diese Frage wollte der BFH vom EuGH geklärt wissen.
3 Entscheidung des EuGH
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung Mensing II vom 13.07.2023 – C 180/22 – fest, dass die auf innergemeinschaftliche Erwerbe geschuldete Umsatzsteuer kein Bestandteil des Einkaufspreises ist. Sie mindert folglich nicht die Bemessungsgrundlage im Rahmen der Differenzbesteuerung (Art. 312, 315, 317 Abs. 1 MwStSystRL). Dies ergibt sich dem EuGH zufolge zunächst aus dem Wortlaut der Richtlinie. Bemessungsgrundlage sei die vom Wiederverkäufer erzielte Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis, abzüglich der Umsatzsteuer. Einkaufspreis sei die gesamte Gegenleistung, die der Lieferer vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer erhält oder erhalten soll. Nicht hierzu gehörten also Zahlungen des Wiederverkäufers an dritte Personen. Folglich sei die Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb, die der Wiederverkäufer an sein Finanzamt entrichtet, nicht Teil des Einkaufspreises. Auch die Regelung, dass sich die zu besteuernde Differenz „abzüglich der Umsatzsteuer“ berechne, ändere daran nichts, da hiermit lediglich der Steuerbetrag gemeint sei, den der Wiederverkäufer auf die Marge schuldet. Eine vom Wortlaut der Richtlinie abweichende Auslegung anhand des Zwecks und des Regelungszusammenhangs der Richtlinie lehnte der EuGH ab. Der klare und unmissverständliche Wortlaut der Regelungen habe demgegenüber Vorrang. Damit werden Gegenstände, die ein Wiederverkäufer innergemeinschaftlich erwirbt, schlechter behandelt als Gegenstände, die ein Wiederverkäufer im Inland oder aus dem Drittland erwirbt. Denn in diesen Fällen mindert die Umsatzsteuer beim Einkauf die Marge beim Verkauf. Diesen Unterschied nimmt der EuGH aufgrund des Wortlauts der Richtlinie jedoch so hin. Nur der Unionsgesetzgeber könne dies ändern.
4 Praxisfolgen
Wiederverkäufer, die in der Vergangenheit in solchen Fällen zur Differenzbesteuerung optiert haben, müssen dies bei der Berechnung der Umsatzsteuer auf den Verkauf entsprechend beachten. Das gilt jedenfalls für alle Umsätze bis zum 05.04.2022.
Die Entscheidungen Mensing I und II dürften aber auch für Umsätze ab dem 06.04.2022 bedeutsam bleiben. Art. 316 Abs. 1 MwStSystRL, dessen unmittelbare Anwendbarkeit der EuGH für das Streitjahr 2014 bejaht hatte, wurde zwischenzeitlich geändert. Mit Wirkung zum 06.04.2022 hat der Richtliniengeber die Regelung insoweit eingeschränkt, als die Option zur Differenzbesteuerung nur noch dann möglich sein soll, wenn beim Einkauf durch den Wiederverkäufer kein ermäßigter Steuersatz angewendet worden ist. Die Mitgliedstaaten müssen diese Änderung nun bis zum 01.01.2025 in ihr nationales Recht umsetzen. Dies ist in Deutschland bisher nicht geschehen.
Dennoch sollten sich Wiederverkäufer weiterhin, bis zum 31.12.2024, unmittelbar auf die Altfassung des Art. 316 Abs. 1 MwStSystRL berufen können. Diese Regelung wurde nicht aufgehoben, sondern lediglich geändert. Ein unmittelbares Berufen auf die neue Fassung der Richtlinie ist hingegen, solange die Umsetzungsfrist noch läuft, nicht möglich. Das deutsche Gesetz in seiner derzeitigen Fassung ist noch immer das Ergebnis einer fehlerhaften Richtlinienumsetzung durch den deutschen Gesetzgeber. Die Möglichkeit, sich unmittelbar auf die Richtlinie zu berufen, soll gerade eine Sanktion gegen den Mitgliedstaat sein, der EU-Recht nicht ordnungsgemäß umsetzt. Wiederverkäufer, die Kunstgegenstände zum ermäßigten Steuersatz innergemeinschaftlich erwerben, könnten davon also weiter profitieren.
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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 07.08.2023 | Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden | © KMLZ