Umsatzsteuerinsolvenzrecht – Nachhaftung des Unternehmers für Umsatzsteuerverbindlichkeiten
Umsatzsteuer Newsletter 25 | 2023

Umsatzsteuerinsolvenzrecht – Nachhaftung des Unternehmers für Umsatzsteuerverbindlichkeiten

Das Finanzgericht Düsseldorf hat über eine weitere ungeklärte Frage an der Schnittstelle Umsatzsteuer und Insolvenzrecht entschieden (Urt. v. 13.07.2022, 4 K 1280/21 AO). Konkret geht es darum, inwiefern ein Steuerpflichtiger

  • nachinsolvenzlich für vom Insolvenzverwalter begründete Umsatzsteuerschulden haften muss, und ob
  • diese Nachhaftung ggf. auf das ehemals zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen beschränkt ist.

Das FG Düsseldorf entschied selbst zu Lasten des steuerpflichtigen Klägers. Es ließ jedoch die Revision seines Urteils zu. Abschließend wird also der 11. Senat des BFH darüber entscheiden (Az. XI R 23/22).

1    Zugrunde liegende Sachverhaltskonstellation

Über das Unternehmen des Klägers wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Der zuständige Insolvenzverwalter führte das Unternehmen während der Insolvenz fort. Dadurch löste er Umsatzsteuerforderungen des Finanzamts aus. Das beklagte Finanzamt setzte in der Zeit der Insolvenz begründete Umsatzsteuerforderungen als Masseverbindlichkeiten des insolventen Unternehmens fest. Der Insolvenzverwalter entrichtete diese Umsatzsteuerbeträge jedoch nicht ans Finanzamt. Nach acht Jahren beendete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren mit Beschluss über die Restschuldbefreiung. Es stellte das Insolvenzverfahren nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 211 InsO ein.

Das Finanzamt vollstreckte daraufhin die rückständigen Umsatzsteuerschulden des Unternehmens im Wege der sog. Nachhaftung. Der Unternehmer – Kläger in diesem Verfahren – ist der Ansicht, dass er nicht für diese Umsatzsteuerschulden haften muss. Denn schließlich sei die Umsatzsteuer durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters begründet worden.

2    Rechtsansicht des Finanzgerichts Düsseldorf

Nach Auffassung des FG Düsseldorf schuldet der Kläger die streitige Umsatzsteuer. Dabei sei unerheblich, dass die Umsatzsteuerschuld durch Handlungen des Insolvenzverwalters ausgelöst worden ist. Zwar verliere der Kläger mit Insolvenzeröffnung gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Unternehmen an den Insolvenzverwalter. Auch sei die Haftung des Insolvenzschuldners während des Verfahrens auf die Gegenstände der Insolvenzmasse beschränkt. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass er für alle Umsatzsteuerverbindlichkeiten seines Unternehmens nachinsolvenzlich voll einstehen muss. Die Nachhaftung des Unternehmers, des Klägers, beschränke sich nicht auf das ehemals zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des insolventen Unternehmens. Es bestehe insoweit gerade keine insolvenzrechtliche Haftungsbeschränkung. Entschieden sei dies bereits höchstrichterlich für Einkommensteuerschulden (vgl. BFH, Urt. v. 28.11.2017, Az. VII R 1/16). Das FG Düsseldorf wandte dem folgend die Leitsätze des BFH zu Einkommensteuerschulden analog auf Umsatzsteuerschulden an. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat das Finanzgericht die Revision zum BFH zugelassen.

3    Rechtliche Überlegungen und Auswirkungen auf die Praxis

Zu Recht stellt der Kläger die Frage in den Raum, ob die zu Einkommensteuerschulden ergangene Entscheidung des BFH auf Umsatzsteuerschulden übertragbar ist. Schließlich fehle es bei Einkommensteuerschulden an einem dem Insolvenzverwalter unmittelbar zurechenbaren Handlungsbeitrag. Anders sei das bei Umsatzsteuersteuerschulden, die unmittelbar durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet werden.

Sollte der BFH im Revisionsverfahren die Rechtsansicht des FG Düsseldorf bestätigen, würde das bedeuten, dass das vormals insolvente, nunmehr sanierte Unternehmen mit neuem, nicht zur ehemaligen Insolvenzmasse gehörendem Vermögen für Masseverbindlichkeiten des Finanzamts auch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens unbegrenzt einstehen muss. Das Insolvenzverfahren hätte also einen allzu faden Nachgeschmack für das gerade sanierte Unternehmen. Es müsste beim geschäftlichen Neuanfang sogleich eine ggf. massive finanzielle Hürde bewältigen. Rechtlich gesehen stellte eine derartige Auslegung eine Abkehr vom sog. Grundsatz der verfahrensimmanenten Haftungsbegrenzung zugunsten von Insolvenzsteuerschuldnern dar. Demnach beschränkt sich die Haftung des Insolvenzschuldners während des Insolvenzverfahrens grundsätzlich auf das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (vgl. BGH, Teilurteil v. 24.09.2009, Az. IX ZR 234/07). Das ist auch interessensgerecht. Denn der Insolvenzschuldner verliert spätestens mit Insolvenzeröffnung die Möglichkeit, sich selbst zu verwalten und über das noch vorhandene Vermögen zu verfügen. Das Schicksal des Insolvenzschuldners liegt in der Hand des Insolvenzverwalters. Dieser verwaltet und verfügt über die Insolvenzmasse. Für Erklärungs- und Entrichtungspflichten von Umsatzsteuerschulden haftet der Insolvenzverwalter auch nach §§ 69, 34 Abs. 3 AO als Vermögensverwalter. Dahingegen ist die steuerrechtliche Haftung der geschäftsführenden Organe für Umsatzsteuerverbindlichkeiten grundsätzlich bis zum Ende des Insolvenzverfahrens ausgesetzt.

Unternehmer, die von einer Umsatzsteuerforderung des Finanzamts betroffen sind, die während des Insolvenzverfahrens entstanden ist, sollten dagegen vorgehen. Ein Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur Entscheidung des BFH im anhängigen Verfahren (XI R 23/22) erscheint zweckmäßig. Ein Antrag auf Gewährung entsprechender AdV kann, unter Berücksichtigung des Risikos von 6% AdV-Zinsen, erwogen werden.


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Dr. Thomas Streit, LL.M. Eur.

Rechtsanwalt,

Fachanwalt für Steuerrecht


+49 (0) 89 217 50 12-75

thomas.streit@kmlz.de



Stand: 07.06.2023 | Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden | © KMLZ

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