Europa: die letzte Rettung fürs Web?
So wie der Wilde Westen direkt in die Zeit des „Gilded Age“, des Blattgold-Zeitalters der ausufernden Monopole und des ungezügelten Gier-Kapitalismus mündete, folgte am Ende des 19. Jahrhunderts eine radikale Gegenbewegung, die zu einer neuen Welle von sozialem Aktivismus und politischer Reform führte. Die „Progressive Era“, deren Ziel die Eindämmung der schlimmsten Auswüchse und Missstände der Industrialisierung, Urbanisierung und weitverbreiteter Regierungskorruption war, war das amerikanische Gegenstück zum Aufstieg der Sozialdemokratie in vielen europäischen Ländern. In den folgenden 30 Jahren wurden verkrustete politische Strukturen umgekrempelt, Monopole zerschlagen oder zumindest eingedämmt und weitreichende Sozialreformen wie Arbeitsschutzbestimmungen, Gesetze gegen Kinderarbeit und das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Es war die Ära der „Trust Busters“, angefangen mit Theodore Roosevelt, der die Aufteilung von Standard Oil betrieb, bis Woodrow Wilson, die Arbeitszeit von Frauen auf acht Stunden begrenzen ließ und sich für Gewerkschaften und Genossenschaften stark machte. Das progressive Zeitalter mündete schließlich unter Franklin Delano Roosevelt und nach dem katastrophalen Börsenkrach von 2919 in den New Deal – eine Serie von wichtigen sozialen und wirtschaftlichen Reformen, die zum Ende der Wirtschaftskrise – 1932 war etwa ein Viertel aller Amerikaner arbeitslos – und zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes führten.
A New Data Deal
In seinem Buch Kapitalismus inklusive fordert Uwe Jean Heuser, Wirtschaftsressortchef der Hamburger Wochenzeitschrift Die Zeit, einen „New Data Deal“. Daten seien mittlerweile für die großen Internet-Anbieter der Treibstoff ihrer Geschäftsmodelle. Während Google, Amazon, Facebook, Apple und andere ihre Börsenkurse durch die geschickte Auswertung und Manipulation von Verhalten- und Transaktionsdaten immer weiter in die Höhe schrauben, gehen die eigentlichen Produzenten dieser Daten, nämlich die Nutzer, leer aus. Wo bleibt die Gegenleistung? Seine Kernfrage lautet deshalb: „Wie kommen wir zu einem neuen, fairen und vor allem inklusiven Daten-Deal?
Denn das Geschäft, das uns die Internet-Reisen heute anbieten, ist alles andere als fair. „Um an Leistungen zu kommen, müssen wir unsere Daten zu den Bedingungen hergeben, die Anbieter standardmäßig festlegen“, stellt Heuser richtig fest. Der Einzelne habe aber keine Möglichkeit, im Einzelfall zu bestimmen, ob der Mehrwert das Opfer unserer Daten wert ist, und er hat vor allem keine Möglichkeit, das Angebot abzulehnen – außer er verzichtet ganz auf die angebotene Information oder Dienstleistung. Uwe Jean Heuser fordert im ersten Schritt mehr Transparenz: Verbraucher müssten darüber aufgeklärt werden, welche Risiken sie eingehen und welche Vorteile sie davon haben. Nur dann könne der informierte Mensch eine vernunftgesteuerte Entscheidung treffen. Voraussetzung für diese Transparenz ist das Recht auf Zugang zu unseren Daten. Es reiche aber nicht, einen Auszug unserer abgegriffenen Rohdaten herunterladen zu können, wie es beispielsweise Facebook heute erlaubt. Das sei lediglich ein Zertifikat über das bei uns geförderte Rohöl: Wir müssten dagegen erkennen können, was die Daten-Raffinerien damit gemacht haben, und wir sollten die Möglichkeit haben, der Verwendung der Ergebnisse Grenzen zu setzen. Um unsere Persönlichkeitsrechte zu wahren, sollten wir zum Beispiel sehen können, auf welchen Fotos wir mit wem zu erkennen sind – und wer unseren Namen auf einem Foto lesen kann, sofern der Computer ihn markiert hat.
Endlich ernst machen mit der Transparenz
Genau in diese Richtung geht ein Vorstoß der neuen Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD), die offene Schnittstellen im Social Web fordert. Solche APIs (Application Programming Interfaces) würden es ermöglichen, Daten zwischen Programmen und Plattformen auszutauschen. Sie würden es dem Verbraucher auch leichter machen, seine sieben Datensachen zu packen und umzuziehen, beispielsweise von WhatsApp zu Snapchat oder Slack. Offene Schnittstellen würden das digitale Leben also enorm erleichtern.
Genau dagegen werden sich Facebook & Co. erbittert wehren – aber nicht nur die. Auskunfteien wie die Schufa, Creditreform oder Arvato Infoscore haben kein Interesse an allzu großer Transparenz, weil es ihr Geschäftsmodell in Gefahr bringen würde. Wenn es Frau Barley also wirklich ernst meint mit der Offenheit, wird sie sich auf einen langen, harten Kampf an vielen Fronten gefasst machen müssen.
Andreas Weigand, der lange als oberster Datenwissenschaftler bei Amazon gearbeitet hat, fordert in seinem 2017 erschienen Buch Data for the People mehrere „Grundrechte für Daten“:
· Inspektionsrecht: also ein Recht auf Einblick in die Datenrendite sowie in das Verhältnis des Nutzens für die Plattform zum Nutzen für den Anwender.
· Datenergänzung: Die Möglichkeit, Fehlinformationen über die eigene Person oder das eigene Unternehmen im Internet durch korrigierende Informationen zu ergänzen.
· Datenanonymisierung: Der Nutzer eines Dienstes sollte entscheiden können, ob er einen stark auf seine Person zugeschnittenen, individualisierten Service nutzen möchte und deshalb bereit ist, viele persönlichen Daten freizugeben, oder ob er weniger Daten verraten will – und dafür einen schlechteren Service in Kauf nimmt. „Insgesamt sollen diese Rechte die Machtbalance wieder in Richtung Anwender verschieben“, sagt Weigand.
· Datenmitnahme: Gemeint ist das Recht einer Person, ihre personenbezogenen Daten bei einem Anbieterwechsel mitzunehmen – übrigens etwas, das in der im Mai 2018 in Kraft getretenen Europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bereits vorgesehen, aber längst noch nicht (und vor allem nicht von den amerikanischen Anbietern) umgesetzt worden ist.
Womit wir zum Schluss wohl beim größten Problem bzgl. der Regulierung des Internets angelangt sind, der Geografie! In Dingen wie Datenschutz und Privatsphäre, aber auch ganz allgemein in der Einstellung zur Rolle des Staats im Internet klafft mehr als nur der Atlantik zwischen Europa und den Vereinigten Staaten – ganz zu schweigen von autoritären Regimen wie China, Russland oder Saudi Arabien. Kaum vorstellbar, dass es hier zu einer internationalen Einigung kommt. Alles, worauf wir hoffen können, ist, dass sich wenigstens die liberalen Demokratien auf gemeinsame Spielregeln einigen und diese auch wirkungsvoll durchsetzen und überwachen können. Ein frommer Wunsch?
Wie Europa Silicon Valley an die Leine nimmt
Es gibt Hoffnungsschimmer. In einem Dossier für die Washington Post behaupteten die Autoren Tony Romm, Craig Timberg und Michael Birnbaum im Mai 2018: „Europe, nicht die USA, sind heute die mächtigsten Regulatoren des Silicon Valley.“ Ein Eindruck, der sich immer mehr zu verdichten scheint:
· Im Juli 2018 verhängte die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die bislang höchste Geldstrafe aller Zeiten gegen Google: 4,3 Milliarden Euro! Der Grund: Illegale Beschränkungen bei der Nutzung des mobilen Betriebssystems Android, mit der Google versucht habe, seinen marktbeherrschende Stellung zu zementieren.
· Nur wenigen Wochen zuvor hatte britische Regierung die höchste mögliche Strafe von 500.000 Pfund gegen Facebook ausgesprochen, weil sie es als erweisen ansah, dass Mark Zuckerbergs Firma die Daten seiner Nutzer nicht ausreichend schützt und so zugelassen hat, dass die Marktforscher von Cambridge Analytica die Informationen von 87 Millionen Facebook-User abgezogen und dazu verwendet hat, Wählerprofile zu erstellen, die sie an das Wahlkampfteam von Donald Trump verkauft haben.
· Bereits ein Jahr früher brummte die EU-Kommission Facebook eine Geldstrafe von 110 Millionen Euro auf, weil sie die Daten von Facebook-Nutzern mit denen ihres Tochterunternehmens WhatsApp verknüpft und diese Tatsache verschwiegen hatten.
· Ebenfalls 2017 war Google an der Reihe: Eine Rekordstrafe von 2,42 Milliarden Euro musste der Such-Gigant an die EU zahlen, weil er seine Marktmacht als Suchmaschinenbetreiber missbraucht hat, um eigene Anzeigen besser zu platzieren.
· Wenige Monate später verhängte die EU-Kommission gegen Amazon eine Steuernachzahlung in Höhe von 250 Millionen Euro wegen illegaler Vergünstigungen in Luxemburg.
· Ebenfalls im Herbst 2017 verdonnerte die EU-Kommission das Mitgliedsland Irland dazu, 13 Milliarden Euro aufzutreiben, die Apple aufgrund von unfairen Steuervergünstigungen verbucht hatte. Irland hat sich allerdings bislang quergestellt und ist vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen.
Und nicht nur die GAFA müssen die Macht der Europäer – mit 510 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von 17 Billionen Dollar immerhin die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt – von nun an fürchten. So musste der Mitfahrdienst Uber in Deutschland und Frankreich jeweils Geldstrafen von 800.000 Euro bezahlen. Und von Berlin bis Barcelona und Mallorca haben Behörden dem Wohnungsvermittler AirBnB einen Riegel vorgeschoben, indem sie Appartmentbesitzern mit hohen Geldstrafen drohen, wenn sie dabei erwischt werden, ohnehin knappen Wohnraum kurzzeitig an Touristen zu vermieten.
Doch es ist vor allem der Schutz der Privatsphäre, bei der Europa inzwischen den Amerikanern zeigt, wo die Harke hängt. Im Mai 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass Personen unter bestimmten Bedingungen das Recht auf Tilgung von Links in Suchmaschinen zusteht. Dieses „Recht auf Vergessenwerden“ betrifft vor allem alte Zeitungsartikel, die nicht mehr aktuell oder relevant sind, die aber einen Menschen unter Umständen jahrzehntelang durchs Leben verfolgen können. Dieses Lösch-Recht wurde auch in die im Mai 2018 in Kraft getretene Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aufgenommen und ist somit Teil des europäischen Rechts. Web-User müssen außerdem ausdrücklich der Speicherung und Verarbeitung ihrer persönlichen Daten zustimmen („Opt-In-Prinzip“). In den USA gilt hingegen das „Opt-Out-Prinzip“: Daten dürfen gespeichert werden, solange der Betroffene es dem Unternehmen nicht ausdrücklich verbietet.
Ein Wiener, der GAFA das Fürchten lehrt
Der Österreicher Max Schrems aus Salzburg ist jenseits des großen Teichs bekannter als hierzulande, und sein Name gilt in den Chefetagen von Google und Konsorten als Schimpfwort. Der promovierte Jurist überzieht amerikanische Konzerne seit Jahren mit Klagen – meist mit großem Erfolg. So kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2015 das zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ausgehandelte Safe Harbor Agreement, das es europäischen Unternehmen und den europäischen Tochtergesellschaften amerikanischer Firmen erlaubte, personenbezogene Daten in die Vereinigten Staaten zu übermitteln. Schrems hatte in seiner Klageschrift nachgewiesen, dass neun der größten Internetkonzerne und Dienste der USA (u.a. Microsofts Tochterfirma Skype, Google, YouTube, Facebook, Yahoo, Apple, AOL) dem amerikanischen Geheimdienst NSA ungehinderten Zugang zu ihren Servern erlauben – von wegen „sicherer Hafen“. Das EuGH erklärte das Abkommen am 6. Oktober 2015 für ungültig und rechtswidrig. 2014 versuchte Schrems, in Wien eine Sammelklage gegen Facebook einzubringen, der sich schließlich mehr als 25.000 Kläger anschlossen. Die Klage wurde allerdings von EuGH aus formaljuristischen Gründen nicht zugelassen. 2016 erhielt Schrems von der amerikanischen Organisation Electronic Frontier Foundation den begehrten Pioneer Award, der seit 1992 an Menschen vergeben wird, die sich besonders um die digitalen Menschenrechte verdient gemacht haben. Ende 2017 gründete Schrems den gemeinnützigen Datenschutz-Verein noyb (none of your business). Noyb versteht sich als europäisches Zentrum für Digitale Rechte und will Tech-Firmen zwingen, sich an europäische Datenschutznormen zu halten. Dazu sammelt der Verein Geld, um Sammelklagen gegen den Missbrauch von persönlichen Daten zu finanzieren.
Die DSGVO wird die Online-Welt nachhaltig verändern, das ist klar. „Das Ironische ist, dass viele Amerikaner durch diese ausländische Gesetzesinitiative besser in ihrer Privatsphäre geschützt sein werden, als durch amerikanisches Recht“, sagte Rohit Chopra, der dem Führungsgremium der Federal Trade Commission (FTC) angehört, der obersten Wettbewerbsbehörde der USA. Mehrere US-Verbraucherschutzverbände haben in Europa Klagen gegen amerikanische Internetkonzerne angekündigt. „Der Kampf um Privatheit in den Vereinigten Staaten muss in Europa ausgefochten werden“, sagt Jeff Chester, der Chef des Center for Digital Democracy in Washington.
Wird Europa also die Standards setzen, an denen sich der Rest der Welt in Sachen Datenschutz und Privatsphäre orientieren wird? Ailidh Callander von der britischen Organisation Privacy International ist davon überzeugt. Entscheidend dafür sei, dass die großen US-Konzerne zwar in Europa Niederlassungen betreiben (und in Brüssel Heerscharen von Lobbyisten beschäftigen), dass ihnen aber trotzdem das politische Gewicht fehlt, das sie bislang in Amerika vor den schlimmsten Strafen schützt – zumal die gegenwärtige US-Regierung im Ruf steht, eher weniger als mehr Regulierung betreiben zu wollen. „Europa ist die Vorschau auf das, was in den Vereinigten Staaten kommen wird“, sagt der demokratische Senator Edward J. Markey. „Jeder Tag, der vergeht, bringt mehr und mehr Menschen zu der Erkenntnis, dass ihre Privatheit bedroht ist. Der Politik wird langfristig nichts anderes übrigbleiben, als dem öffentlichen Druck nachzugeben und die großen Internet-Firmen an die Leine zu nehmen.“
Einrichtungs Berater bei Ein Groß Konzern
6 Jahre„Das glaubt mir keiner! Wurden Sie, Sie als Frau, schon einmal in einem Bus zusammengeschlagen? Sind Sie, als Frau, in der Bahn, schon mal in eine Messerstecherei geraten? Wurden Sie, als Frau, schon mal in einem Lokal beschossen? Können Sie noch immer nicht glauben. Ich habe einen Roman über eine Studentin im Jemen geschrieben. Die sich für die Frauenrechte in ihrem Land stark macht und kämpft. Aber jetzt, hatte sich der Islam für mich entschieden! Genau, so war es mit mir! Innerhalb von 6 Monaten musste ich diese bösen Erfahrungen machen, in Hamburg, am Winterhuder-Marktplatz. Das reicht mir, als Schriftsteller, jetzt hau ich ab, aus Hamburg, in Richtung Süden, nach Datca, in der Türkei, direkt zum Islam. Denn der hatte es in Hamburg immer auf mich abgesehen! Und das, wegen meinem neusten Roman: <<< HORA Der Bestseller Autor >>> Zu lesen als E-Book im Buchhandel!“
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6 JahreTypo fehler 1919 statt 2919 -- wie DSGVO die online welt nachhaltig verändert hat ist mir nicht klar .. außer viel Arbeit, vielen Zustimmungsmails und dass Anwälte und Sicherheitsfirmen volle Auftragsbücher bekommen haben ist doch erst mal nix passiert - dem verbraucher hats nix gebracht ..
Unsere Gedanken / gehen als Freunde / auseinander (Ernst Jandl)
6 JahreTransparenz ist ein ehrenwertes Ziel, aber die meisten Nutzer*innen werden den Aufwand nicht betreiben und die Zeit dafür aufbringen wollen. Wir in Europa sollten grundsätzlicher vorgehen und Personal Tracking ganz verbieten, bis auf wenige eng begrenzte Ausnahmen mit entsprechend abgestimmten Begrenzungen des Speichern und der Löschung. Alternative Software-Ansätze wie Cliqz werden das mit der Möglichkeit für Werbetreibende verbinden. Persönlich sollten wir uns dem Tracking weitgehend entziehen, z. B. mit alternativen Suchmaschinen wie Qwant oder Startpage, mit Webbrowsern wie Cliqz oder Firefox mit Ad-Blockern usw. Wir sollten uns persönlich und politisch gegen die Vermüllung des Webs mit Werbung ebenso wehren wie gegen die Vermüllung der Städte und Landschaften mit Werbung. Auch hier heben sich bisher die meisten europäischen Länder positiv von den USA ab. Warum sollen wir unsere kostbaren Aufmerksamkeitsressourcen uns zumüllen lassen, um dann dafür auch noch Produkte zu kaufen, die durch Werbung überteuert sind und die wir oft nicht wirklich brauchen?