Fight-Or-Flee
published in RAMP Germany
1 BMW Z4 GT3
+ 1 M3 GT4
+ Rennstrecke von Valencia
= 1 RAMP Autor. Glücklich.
Sollte man denken.
Doch dann kam die Aerodynamik ins Spiel, und Helmut Werb’s Ego war angeknackst. Die Nebennieren hingegen funktionierten ganz ausgezeichnet.
Als an einem wundervollen Herbstmorgen in Los Angeles der Anruf aus München kam, ob ich Interesse hätte, auf der “Ricardo Tormo”-Rennstrecke in Valencia einen Z4 GT3 zu testen, BMW’s wohl erfolgreichsten Rennwagen der letzten Saisonen, unterdrückte ich geistesgegenwärtig den Impuls, den Mann von BMW Motorsport zu fragen, was er denn als Gegenleistung von mir verlange.
Meinen rechten Arm?
Gold? Juwelen? Mädels?
Meinen Erstgeborenen?
Stattdessen antwortete ich bewusst gelassen, ich wuerde meinen Terminkalender checken.
Neben dem rennfertigen Z4, fügte der freundliche junge Mann aus Bayern hinzu, gäbe es noch einen M3 GT4 für mich zu fahren, ja genau, jenen Rennwagen, der das 24-Stunden Rennen auf dem Nürburgring bestritten hatte.
Hmmm, schluckte ich, ich glaube, ich könnte es wohl einrichten.
Ausgezeichnet, sagte der BMW Mann, dann solle ich ins Flugzeug steigen, und hing auf.
Das war genau der Moment, an dem ich hinterm Schreibtisch ohnmächtig wurde.
So finde ich mich an einem herrlichen Wintermorgen in Valencia wieder, Spanien’s höchst verschuldeter Stadt, und frage mich (leise), was denn die Götter von mir einfordern würden für diesen Gefallen, diese meine ganz persönliche Hybris. Vor mir steht neben den oben angeführten BMW Z4 GT3 und dem M3 GT4 ein ganzes Team von Schubert Motorsport (die mit den beiden Fahrzeugen die letzte Rennsaison bestritten hatten), jener Glücksengel von BMW, der mir das Faust’sche Angebot gemacht hatte, und Dirk Adorf, ein gestandener Profi-Rennfahrer aus dem BMW Stall, der die Aufgabe hat, mir zu zeigen, wo’s lang geht.
Und wie.
Ich denke mir noch, ein Linguist wäre angebrachter anbetrachts des rennsportlichen Zahlen- und Buchstabensalats, aber bevor ich noch etwas sagen kann, lächelt Herr Adorf verschmitzt. Am besten sei es wohl, meint er, wenn wir gleich mit dem M3 anfangen, der sei als Einstimmung auf das Kommende wohl geeignet, weil die FIA GT4 Regeln es verlangen, die Fahrzeuge vergleichsweise seriennah zu belassen.
So sieht das Ding allerdings nicht aus.
Für Individuen, die nicht unbedingt fünf Tage die Woche auf der Rennstrecke rumorgeln, mag die Aussicht, zwei der Besten aus BMW Motorsport’s Stall ungeregelt über den Asphalt zu jagen, ein wenig entnervend sein. Immerhin stellen die beiden Fahrzeuge einen fiskalischen Gegenwert von fast einer halben Million Euro dar, und wer will sowas schon gerne ins Gelände setzen. Weshalb meine Nebennieren enorm Adrenalin produzieren bevor noch eine der Wagentüren überhaupt geöffnet ist, was wiederum jenen allerseits berüchtigten “fight-or-flee”-Reflex in mir auslöst. Um mir keine Blösse vor den versammelten Profi-Racern zu geben, entscheide ich mich jedoch erstmal für “fight”, und lasse mir die Hintertür des “flee” offen für den Fall, dass ich einen der beiden BMWs in die Leitplanken fahren sollte.
Wenn’s mir schlecht werde, solle ich ihm ein Zeichen geben, lächelt Dirk Adorf sein Lächeln, und macht sich bereit, mir den “Ricardo Tormo”-Kurs zu zeigen. Ich hätte in meiner oft unziemlichen Vergangenheit schon einige Rennwagen pilotiert und kenne mich aus, will ich ihn beruhigen, aber der Vollvisierhelm ist schon über mein Gesicht gestülpt, und die Jungs von Schubert Motorsport sind damit beschäftigt, mich in den 5-Punkte-Gurt zu fesseln, was wohl das oben angeführte Fliehen verhindern soll, in mir aber recht angenehme Erinnerungen aus meiner unziemlichen Vergangen auslöst.
Ich fasse mich kurz – der Dirk kann’s, nicht umsonst gilt er im BMW Motorsport Team als Nordschleifen-Spezialist. Er zeigt mir die spanische Ideallinie, die Bremspunkte und ist auch sonst nicht überaus zurückhaltend in seiner Fahrweise. Wie schon erwähnt, habe ich früher schon den einen oder anderen Rennwagen gefahren und bin auf ein Zahnfüllung-lockerndes, Augäpfel-erweichendes Hard Core Fahrgefühl vorbereitet. Doch der BMW M3 GT4 erweist sich als erstaunlich zivil. “Man könnte das einen Gentlemen-Racer nennen,” hatte meine BMW-Glücksfee während meiner Einschnallung bemerkt, und der Mann hat recht. Ich würde das Teil ungern nachmittags um Fünf die Leopoldstrasse hochfahren, geschweige denn über die Freeways von Los Angeles kutschieren, aber für ein vollwertigen und konkurrenzfähigen Rennwagen, einer, der am Nürburgring locker seine Klasse gewinnt, ist der M3 beinahe komfortabel. “In der GT4-Klasse,” schreit Dirk über den nicht unerheblichen Lärm im BMW, “ist eine Klimaanlage vorgeschrieben, damit die Innentemperatur die 32 Grad Celsius nicht überschreitet.” Sagt’s, schaltet zurück in den Zweiten, zeigt mir einen weiteren Bremspunkt, was mir – auf Grund des Sicherheitsgurtes – kurzfristig den Atem raubt, und fährt danach, in Rekordzeit wie es scheint, in die Boxengasse ein.
Und dann geht’s los.
Ich sitze hinterm Steuer, eingepackt in einen feuerfesten Rennkombi, inklusive feuerfester Unterwäsche, mit einem Helm auf dem Kopf, den HANS, das “head-and-neck-safety”-System, an den Rennsitz nagelt, und würge den Motor beim Anfahren in der Boxengasse ab.
Dreimal.
Der M3, seriennah oder nicht, ist eine Rakete.
Und will als solche behandelt werden.
Etwas über 1400 Kilo werden von mehr als 450 Pferden bewegt, geschaltet wird über ein manuelles Sechsgang-Getriebe und dann ist auch Schluss mit lustig, denn die Kupplung hat einen Millimeter Spiel. Aber kaum ist der M3 endlich am Rollen, zeigt es sich, was BMW mit vier Rädern und einem röhrenden Antrieb alles machen kann.
Die ersten zwei Runden kämpfe ich mich noch langsam vor, dann wird das mit dem “fight” immer lustiger, und ans Fliehen denke ich schon seit dem Ausgang der Boxengasse nicht mehr. Die Beschleunigung (offiziell von 0 auf 100 in 3,4 Sekunden) ist im wahrsten Sinn atemberaubend, und der M3 erlaubt Querbeschleunigungen, bei denen ich dankbar bin, dass der Rennsitz mit zwei “Ohren” ausgerüstet ist, die meinen Kopf einigermassen gerade halten. Das Einlenkverhalten eines “normalen” M3 ist schon nicht von schlechten Eltern, aber das deutlich leichtere Gewicht der GT4-Version und die gewaltigen Dunlops erlauben Power noch einen kleinen Tick vor dem Kurven-Apex. Das leichte Untersteuern laesst sich fast spielend durch präzises Gas in Uebersteuern verwandeln. Corner 2 nehme ich schon im Dritten, das ging bei Dirk ja auch. Und die zwei scharfen Rechts, 5 und 6, gehen ab meiner dritten Runde richtig flott. Nun muss man wissen, dass die Strecke in Valencia für die Motorradrennen der Moto GP gebaut wurde und alle Kurven hinten enger werden. Das bedeutet, dass bis tief in die Kurven hinein gebremst werden muss, eine Tatsache, die bei den Zuschauern sicherlich grosse Freude auslöst, denn “Ricardo Tormo” ist eine riesige Arena, in der die gesamte Rennstrecke von allen Sitzen aus eingesehen werden kann. Was wiederum bedeutet, dass das gesamte BMW Schubert Motorsport Team zusehen kann, wie ich nach dem Corner 9 zuviel Gas gebe und mich zweimal drehe.
“Fleeing” taucht plötzlich als denkbare Alternative wieder vor meinem geistigen Auge auf.
Nah!
Ich brauche einen schnelleren Wagen.
Der Z4 GT3 steht – warmgefahren von Dirk – schon für mich parat. Wir reden hier über das Arbeitsgerät von Leuten wie Claudia Hürtgen, Augusto Farfus, Tommy Milner und Edward Sandström, die im Frühjahr 2011 die 24-Stunden-Rennen von Dubai und Barcelona gewannen und in Spa den zweiten Platz belegten. Ich sitze in einem Rennwagen, den BMW Kunden für 315,000 Euro kaufen und damit erfolgreich eine Saison absolvieren können. Wobei zugegebenermassen der Begriff des Sitzens etwas toleranter auszulegen ist.
Festgeklemmt kommt der Sache näher.
Der Einsteigevorgang hätte Houdini Gliederschmerzen verursacht, und vom Prozess des Festschnallens habe ich schon ausführlich geredet.
Ein japanischer Kunde, so werde ich beruhigt, hätte ein Z4 GT3 mit Klimaanlage und High-Tech Stereo geordert, und vielleicht installiere er auch noch lila-farbene Schwellerbeleuchtung, also solle ich mich nicht so anstellen.
Nach der 15 minütigen Einweisung durch Schubert Teamchef Stefan Wendl, weiss ich, was die vielen Schalter am Lenkrad alles bewirken, und vergesse alles prompt gleich wieder.
“Die Kupplung brauchst du nur beim Anfahren,” sagt Stefan Wendl, “geschaltet wird sequenziell über die Schaltwippen.” Ich nehme es mir zu Herzen – ich bin weiser geworden – und würge den Motor nur einmal ab.
Und dann bricht infernalischer Lärm aus.
Mehr als 500 ungedämpfte PS aus dem 4,4 Liter Saugmotor brüllen in meinem Helm. Das Getriebe schreit wie unter Qual, jeder Schaltvorgang, begleitet von brachialem Klacken, reisst meinen Kopf erst nach vorn, dann brutal nach hinten.
Das ist ja sooo geil!
Eintausendzweihundertzehn Kilo (plus etwas Sprit und meinem Körpergewicht) sind kein Problem für die gewaltige Leistungsabgabe. Ich könne, so sagte mir Stefan Wendl, die volle Drehzahl von fast 8.500 Umdrehungen ausnützen, was zwei rote Warnleuchten hinterm Lenkrad flackern lässt. Dann jedoch wär’s soweit.
Ich nehme mir das zu Herzen, verspreche ich mir selber.
Der Z4 schiesst die kurze Gerade bis zur Kurve 2 hoch, ich solle fest in die Eisen steigen, war mir gesagt worden, und ich erinnere mich gerade noch rechtzeitig daran. Meine Augen fliegen gegen den Helm, und ich lenke ein.
Der Z4 klebt auf dem Asphalt.
Gas.
Die 2 nur halb.
Die 3 voll im Dritten.
Hart anbremsen.
Boa! 12 Sekunden ohne Atem zu nehmen!
Ich bin gerade mal einen Kilometer gefahren und stehe im Schweiss.
Dem Himmel sei Dank, dass ich Handschuhe (feuerfest) trage, das könnte kein Lenkrad aushalten. Wo der M3 mit Gas durch die Kurven gelenkt werden will, uebersetzt der Z4 den gewaltigen Kraftfluss vollkommen neutral und zieht nur bei extremen Limits mit dem Heck nach aussen.
Die 4 und die harte Rechts 5 nehme ich unter Duress.
Dann den Hügel hoch.
Vierter.
Voll gebremst.
Mein Herzschlag hat vor zwanzig Sekunden ausgesetzt.
Mein Rückgrat wurde gerade durch die Sitzschale gedrückt.
Nie wieder “flee”.
Volle Möhre “fight”!
Nach Corner 10 geht es wieder aufwärts, seeeeeehr laaange Links!
Drei.
Mein Hirn klebt rechts an der Rennschale.
Klack.
Das ist zu schnell, das schaffe ich nie!!!
Vier.
Klack.
Am Ende – mitten in der Kurve, mein Gott, wo war nur dieser blöde Anbremspunkt! – voll bremsen, und in den Zweiten – Klack. Klack. – um die 11 auf die Zielgerade zu schaffen, ohne in den Kies zu kommen. Das Heck kommt deutlich, leichtes Gegenlenken. Mein Puls ist auf 140.
Gefühlt.
Wie war das mit den Beta Blockern?
Zielgerade.
Vier.
Bis in die Roten.
Fünf.
Kurz Sechs.
Vollbremsung.
Meine Zahnfüllungen werde ich später von der Scheibe kratzen.
Im Dritten durch die 1.
Vollgas.
Aaarghh!
Take that, Dirk Adorf!
Nach sieben Runden werde ich eingewinkt zum ersten Recap.
“Das war extremely awesome!”, schreie ich aus dem Helm und fühle mich wie in einer Sauna.
In einer sehr glücklichen Sauna.
Adrenalinspiegel im roten Bereich.
Dirk ist pro Runde sieben Sekunden schneller.
What????
Der Z4 hätte für die Saison 2011 ein neues, ausgefeilteres Aerodynamik Paket bekommen, sagt Stefan Wendl. “Wir haben jetzt eine deutlich bessere Balance und Gewichtsverteilung. Wenn du denkst, du bist am Limit und fühlst, dass der Grip weg ist und du rausfliegst, warst du zu langsam.” Die Aerodynamik presse das Fahrzeug fester auf die Strecke und der Grip sei plötzlich wieder da.
Ganz einfach. “Der Z4 ist ein Fahrzeug, mit dem auch Privatfahrer vorne mitfahren können.”
Also nochmal raus.
Fight.
Ich mache die eine oder andere Sekunde gut, gebe aber zu, dass ich mich selbst nach zehn weiteren Runden einfach nicht traue, Stefan’s aerodynamisch unterstütztes System in der schnellen Links auszuprobieren.
315.000 Euro.
Flee.
Ich werde mir ein Fahrrad kaufen.
Okay, ein Rennrad.
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Helmut Werb