Gedanken zu Nichts
Je länger ich über Nichts nachdenke, umso stärker setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Hoffnung auf eine Entwirrung von Nichts ausschliesslich in einer akribischen Sorgfalt der Analyse begründet liegen kann. Ohne Zweifel bedarf es zur Annäherung an Nichts einer neuen Denkweise.
Im Allgemeinen versteht man unter Nichts die Abwesenheit von Raum und Zeit. Zur Annäherung an Nichts vergegenwärtigen wir uns demzufolge was Nichts nicht ist - Raum und Zeit. Ein genaues Verständnis der Begrifflichkeiten ist für unsere Analyse unausweichlich.
Einschub: Heideggers Ausruf "Die Wissenschaft denkt nicht" kann ich in diesem Kontext nur zustimmen, denn die (Natur-)Wissenschaft rechnet zwar mit Raum und Zeit, versteht diese aber nicht.
Heidegger unterscheidet zwischen Sein, Seiendes (=Raum) und Zeit, die in folgender Beziehung zu einander stehen:
Seiende: alles was ist; durch Sein und Zeit bestimmt
Sein: durch Zeit bestimmt; nichts Seiendes
Zeit: durch Sein bestimmt; nichts Seiendes
Sein und Zeit bedingen sich folglich gegenseitig
Zur Veranschaulichung untersuchen wir den folgenden Satz:
"Das Auto ist grün"
Seiende:
Das Auto und das grün bilden das Seiende. Sie sind anwesend (folglich durch Sein bestimmt) und sie sind vergänglich (folglich durch Zeit bestimmt).
Sein:
Das "ist" (=Sein) bildet eine Verknüpfung zwischen beiden Seienden. Das Sein bedeutet Anwesenheit (von Auto und grün), da es sich um die Zeitform Gegenwart handelt und ist folglich durch die Zeit bestimmt. Aber ist das Sein etwas Seiendes? Hierfür müsste das Sein vorzufinden sein. Diese Bedingung ist nicht erfüllt (das "ist" ist nirgends vorzufinden), ist also nichts Seiendes. Das Sein ist also durch die Zeit bestimmt, selbst aber nicht in der Zeit.
Zeit:
Das Auto ist grün und irgendwann ist es nicht mehr Auto und nicht mehr grün. Folglich ist das Seiende durch die Zeit bestimmt. Ist aber die Zeit etwas Seiendes? Die Zeit vergeht und dadurch, dass sie vergeht, bleibt sie, ist also anwesend. Sie ist anwesend, also durch das Sein bestimmt, aber sie bleibt und ist folglich nichts Seiendes, da Seiendes vergeht. Das Seiende ist "alles, was ist". Da es ist, ist es anwesend, also gegenwärtig und somit durch Sein und Zeit bestimmt. Jedes Ding hat seine Zeit und ist irgendwann nicht mehr.
Das Seiende bildet in der Physik den Raum, den diese als eine "nicht fest eingegrenzte physikalische Ausdehnung" versteht. Das Seiende, also der Raum bildet die Notwendigkeit für das Vorhandensein von Logik. Wittgenstein spricht vom logischen Raum, der die Welt definiert und folglich auch definiert, was nicht Welt ist. In der Logik werden Elementarsätze gebildet, die den Wert Wahr/Falsch annehmen können. Es geht also um die Elemente.
Wir halten fest:
Nichts ist nichts Seiendes, also kein Raum und keine Zeit und folglich ohne Logik.
Umso bemerkenswerter erscheint mir daher unser kosmologisches Bild. Die Frage nach der (Un)/Endlichkeit des Weltalls wird folgendermassen beantwortet:
Was liegt hinter dem Weltall? Nichts
Ist das Weltall unendlich? Da es sich ins Nichts ausdehnt, hat das Weltall kein Ende, ist also unendlich.
Die Antworten auf diese Fragen werfen wiederum mehrere Fragen auf. Wenn sich das Weltall ins Nichts unendlich ausdehnt, was setzt dann Unendlichkeit voraus? Das Weltall dehnt sich unendlich in den Kategorien Raum und Zeit ins Nicht aus. Nichts weist aber diese Kategorien eben nicht auf.
Wir halten fest:
Unser kosmologisches Weltbild unterstellt eine unendliche Ausdehnung von Raum und Zeit wo vor kein Raum und keine Zeit vorhanden war.
Wir können folglich auch nicht von "das Nichts" sprechen, es zu einem Substantiv machen. Das Substantiv hat Substanz (=Raum und Zeit).
Da wir Nichts offensichtlich nicht mit unseren gängigen Denkkategorien greifen können, erscheint mir der zugänglichste Weg zu Nichts über die Negation zu sein. Dabei bedarf es einer exakten Sprache. Bereits die Zuordnung von Verben zum Nichts ist nur bedingt möglich.
Aussagen wie "Nichts ist" oder "Nichts hat" implizieren wiederum Anwesenheit, also Zeit und Raum und sind daher abzulehnen. Um eine implizite (und unbeabsichtigte) Zuweisung von "Etwas" zum Nichts auszuschliessen, verwenden wir die Form "X charakterisiert (nicht) Nichts" - eine wie auch immer geartete Charakterisierung.
Es gilt:
Zeit charakterisiert nicht Nichts.
Raum charakterisiert nicht Nichts.
Sein charakterisiert nicht Nichts.
Logik charakterisiert nicht Nichts.
Hieraus folgt:
Unendlichkeit in Form von Zeit, Raum, Sein, Logik charakterisieren nicht Nichts.
Da Unendlichkeit in diesen genannten Kategorien nicht Nichts charakterisiert, stellt sich die Frage nach der Grundlage unseres kosmologischen Weltbildes eines unendlichen Weltraums, denn dieses unterstellt eine Anmassung von Wissen von Nichts, welches wir nicht besitzen und vermutlich auch nicht besitzen können. In der Tat kommen wir bei einer Umkehrung der Analyse zum selben Ergebnis. Unendlichkeit in den genannten Kategorien charakterisieren nicht Nichts, folglich charakterisiert auch Endlichkeit nicht Nichts.
Wir halten fest:
Weder Unendlichkeit noch Endlichkeit von Raum, Sein, Logik charakterisieren Nichts.
Nichts ist Nicht-Welt und folglich kann eine Ausdehnung ins Nichts nicht gedacht werden. Der Ausruf der Ausdehnung unterstellt bereits Wissen, welches wir nicht besitzen. Ist es eine Ausdehnung? Eine Füllung von Nichts mit Raum und Zeit? Eine Verdrängung von Nichts durch Raum und Zeit? Ich erkenne keinen methodischen Ansatz um diese Frage auch nur näherungsweise zu beantworten. Es gilt Wittgenstein: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen".
Es sei angemerkt:
In dieser allgemeinen Form schreiben wir Nichts mit einem grossen N und implizieren ein - wie auch immer geartetes - Substantiv. Wir können nichts auch mit kleinem n schreiben und verstehen es so indirekt als ein Pronomen. Ein Pronomen ist ein Fürwort. Wie lautet das "Gegenwort", das "Antinomen", zu Nichts? Alles?
Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass unsere Sprache Nichts bereits ummantelt und womöglich kein adressatengerechtes Instrumentarium zur Annäherung an Nichts bildet. Es gilt Wittgenstein: "Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Denkens".
Die Annäherung an Nichts wird zum einen durch unsere Sprache/Denken limitiert, zum anderen durch unsere Sinnesorgane (Sehen, Riechen, Schmecken, Fühlen, Hören). Gedachtes Nichts steht stets im Kontext zu den empirischen Erkenntnissen der 5 Sinnesorgane. Ein "Etwas" im Nichts ausserhalb der Eindrücke der 5 Sinnesorgane ist nicht auszuschliessen und kann niemals empfunden werden.
Fazit:
• Nichts An Sich kann nicht gedacht werden.
• Es lässt sich dagegen –teilweise - per Negation festhalten was Nichts nicht charakterisiert (Raum, Zeit, Sein).
• Unser kosmologisches Bild "verknüpft" auf unzulässiger Weise Raum und Zeit mit Nichts und ist folglich abzulehnen.
• Wir verstehen Nichts stets in unseren Denk-(Sprach-) und empirischen Erkenntniskategorien ("messbar") und grenzen es folglich ein. Über andere Denkkategorien und empirische Methoden oder gar einer vollkommen anderen Kategorie über Nichts ist keine Aussage machbar.