Gegenwarts-Utopie: die Kinder meines Partners glauben nicht an Sexismus
In Berlin ist der internationale Frauentag ein Feiertag. Mein Partner, der dort mit seinen Kindern lebt, nutzt den 8. März zum Anlass, um mit ihnen über den Hintergrund des Tages und über den historischen und aktuellen Kampf um Geschlechtergleichbehandlung zu reden. Letztes Jahr die Überraschung: seine Kinder glauben nicht an Sexismus.
Problem oder Segen?
Ich selbst bin seit Beginn meines Arbeitslebens in einer männerdominierten Branche tätig. Diskriminierung gegen mich und andere Frauen durch Vorgesetzte (nicht durch meine aktuellen Vorgesetzten), Kollegen und Kunden gehören hier leider zum traurigen Alltag. Und obwohl ich mit jedem Arbeitgeberwechsel auf eine progressivere Unternehmenskultur treffe, stoße ich auch immer wieder auf Grenzen in der Offenheit und Diversität.
Deswegen engagiere ich mich seit einigen Jahren für mehr Diversität in der MINT-Branche. Dabei führe ich immer wieder Gespräche darüber, wie Sexismus aussieht und wie man damit umgeht, wenn man ihm begegnet. Ich spreche mit Männern, damit sie sich selbst und vor allem auch anderen an die Nase fassen, um Sexismus einzudämmen und auszumerzen. Und ich spreche mit Frauen, damit sie Situationen bewusster erkennen und kontern. Wenn ich auf Geschlechterdiskriminierungs-Leugner stoße, dann sind es zumeist Männer, die "auch schon mal gemobbt wurden, weswegen Sexismus offensichtlich nicht existieren kann" - so oder so ähnlich sehen manche Diskussionen leider aus.
Mein Partner spricht eben mit seinen Kindern, was ich sehr befürworte. Und stieß letztes Jahr auf Ungläubigkeit bei dem Versuch, Sexismus zu erklären. Warum?
Die Zukunft ist hier
Der Grund, weshalb seine Kinder nicht an Sexismus glauben, liegt in der sehr progressiven Rollenteilung, die sie von ihren Eltern vorgelebt bekommen haben. Kinderbetreuung, Haushalt und Alltagsadministration wurden stets überwiegend gleichmäßig übernommen. Er hat mit zwei Kindern längere Elternzeit genommen. Die Mutter der Kinder ist eine absolute Powerfrau, die Glasdecken sieht und zerstört - ein Vorbild, wie man es jeder Tochter nur wünschen kann.
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Diese Kinder haben Sexismus zu Hause nie erlebt, denn ihre Kernfamilie lebt den Gleichberechtigungstraum vor. Das ist die Utopie, für die ich kämpfe: eine Generation, die Geschlechterdiskriminierung nicht versteht, weil sie sie nicht kennt.
Der Weg zur Utopie
Wenn ich Sexismus beobachte, tut es mir immer dann besonders weh, wenn ich weiß, dass die verursachende Person Kinder hat, die nach dem Vorbild ihrer Eltern aufwachsen. Daher kann ich nur sagen: Eltern, macht eure Kinder stark! Gebt euren Töchtern den Mut, offen zu ihrer Qualifikation zu stehen und zu führen, wenn sie führen wollen und können. Gebt euren Söhnen die Aufrichtigkeit, Ungerechtigkeit zu erkennen und zu adressieren. Lebt die Gleichberechtigung vor, die ihr euren Kindern in ihren späteren Vorgesetzten und Partner:innen wünscht.
Ich bin meinem Partner und der Kindesmutter unendlich dankbar, dass sie ihren Kindern mit so großartigem Vorbild vorangehen. Ihre Kinder sind Teil einer Generation, in der mein Engagement hoffentlich nicht mehr nötig ist.
Status Quo: Alltagssorgen
Dieses Jahr lief das Gespräch übrigens etwas anders: die älteren Kinder verstehen mittlerweile, dass erwachsene Frauen häufig auf unsichtbare Grenzen stoßen, die Männer seltener erfahren. Was seinen Sohn aber so richtig stört, ist die Ungleichbehandlung in der Schule - denn da müssen die Jungen im Sport für dieselbe Bewertung mehr Leistung erbringen als die Mädchen. Solange es für eine Diskussion der Gaußschen Glockenkurve noch etwas zu früh ist, bleiben wir aber erstmal beim einfacheren Thema der Emanzipation.
I was into data before it was big | Manager Visual Analytics & BI @Deloitte
1 JahrDas ist ein sehr schöner Beitrag, Heidi. Danke dafür. Als Vater von zwei Söhnen und einer Tochter und als Person, die sich viel mit dem Thema Gleichberechtigung auseinandersetzt, besteht mein Anspruch darin irgendwie mit gutem Beispiel voranzugehen. Gleichzeitig fußt meine Karriere darauf, dass wir ein klassisches Rollenbild reproduzieren und das obwohl meine Frau alles hätte, um ihrerseits Karriere zu machen. Zwar arbeite ich jeher nur in Teilzeit und bin immer für die Familie da, aber den Löwenteil übernimmt dennoch meine Frau. Sie ist es, die mir stets den Rücken freihält, wenn mal wieder eine Deadline naht. Das ist ein Konzept mit welchem wir beide zufrieden sind aber es bleibt eine Herausforderung den Kindern zu zeigen, dass es so nicht sein muss. Hoffnung gibt mir, dass meine Kinder momentan gänzlich auf Rollen- und Geschlechterstereotype zu pfeifen scheinen. Die Lieblingsfarbe meines Ältesten ist Pink. Seine langen Haare stören ihn nur, wenn sie mal wieder ins Auge hängen. Mein mittleres Kind läuft seit Tagen mit seiner Puppe unter der Jacke (wie in einer Trage) durch die Gegend - und das nach eigener Aussage, weil Papa das auch macht.