Gegenwind für den „Tarifvertrag Pflege“

Die Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) und die Gewerkschaft ver.di haben sich auf einen Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege geeinigt. Dieser soll sich nach Allgemeinverbindlicherklärung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ab dem 01.08.2021 auf die gesamte Branche erstrecken. Ob es dazu kommt, ist offen.

Tarifvertrag unwirksam?

So hat der Arbeitgeberverband Pflege (AGVP) angekündigt, die Nichtigkeit des Tarifvertrags gerichtlich feststellen lassen zu wollen. Dies nach vorliegenden Informationen mit Unterstützung der Evangelischen Heimstiftung Baden-Württemberg. Pikant: Der AGVP verfolgt offenbar nicht lediglich das Ziel, die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags zu verhindern. Vielmehr setzt der Verband bereits beim Tarifvertrag selbst an und möchte diesen unabhängig von der Frage der Allgemeinverbindlichkeit beseitigt sehen. Das soll durch nichts weniger erreichen werden, als dadurch, die Tarifunfähigkeit von ver.di für den Bereich der Pflege feststellen zu lassen.

Insbesondere mit dem Kriterium der „sozialen Mächtigkeit“ prüft die Rechtsprechung, ob eine Gewerkschaft tariffähig ist. Sie muss ihrer Struktur nach ein gewisses Gewicht gegenüber ihrem sozialen Gegenspieler aufweisen. Sinn und Zweck dieses Kriteriums ist insbesondere, dass eine Gewerkschaft seitens des Arbeitgeberverbands als sozialem Gegenspieler ernst genommen werden soll. Nur dann können Tarifverträge ausgewogene Ergebnisse liefern.

Man darf den Ausgang mit Spannung erwarten. Denkbar ist, dass das mit dem Fall befasste Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu dem Ergebnis kommen wird: Der Organisationsgrad von ver.di ist in der Altenpflege zwar sehr schwach. Zu einer Art „branchenspezifischen Tarifunfähigkeit“, sofern es eine solche denn überhaupt gibt, führt das aber nicht. Der Organisationsgrad ist in der Altenpflege ohnehin extrem gering und ver.di kann zumindest auf einige Tarifabschlüsse in der Gesundheitsbranche und auch Haustariferträge in der Pflege verweisen. Aufgrund der Eilbedürftigkeit wird eine erstinstanzliche Entscheidung zur vorgenannten Frage der Tariffähigkeit der Gewerkschaft ver.di in der Pflege sicherlich bis August vorliegen.

Sollte das LAG Berlin-Brandenburg die Tariffähigkeit der Gewerkschaft ver.di für die Pflege bestätigen (wovon ich ausgehe), bleibt die Frage der Zulässigkeit der Allgemeinverbindlicherklärung zu prüfen. Sobald das Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung den Tarifvertrag auf dritte, nicht beteiligte Träger erstrecken wird, schlägt die Stunde des Verfassungsrechts. Da der Weg des Gesetzgebers gleich mehrere verfassungsrechtliche Angriffsflächen bietet, ist zu erwarten, dass sich das Bundesverfassungsgericht früher oder später mit der Materie befassen wird. Nach meiner Auffassung steht die von Minister Heil gewählte Konstruktion unter mehreren verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten auf sehr wackligen Füßen.

Oliver Radermacher

CEO - Geschäftsführer Pflege sektorenverbindend - Autor

3 Jahre

Ich bin gespannt wie der Vertrag im Detail aussehen wird. Viele Tarifverträge die heute angewandt werden sind sicherlich besser dotiert. Beispielsweise der AVR Caritas. Letztlich muss der allgemeinverbindliche Tarifvertrag dafür sorgen, das Gefälle bei den Löhnen in den verschiedenen Einrichtungen anzugleichen. Die großen Diskussionen, auch im TV, lassen aber noch ein langes zähes Ringen erwarten.

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