Was gibt´s Neues? Ausgabe 39
Der Morgennebel verzieht sich langsam und es ist mit 4 Grad definitiv zu kalt auf der Terrasse. Den heutigen Newsletter schreibe ich Euch/Ihnen daher aus dem warmen Wohnzimmer.
Kalt und ungemütlich kann es auch sehr schnell bei der variablen Vergütung werden, wenn hier die aktuelle Rechtsprechung nicht beachtet wird - davon kündet unser erster Beitrag.
Im September haben tatsächlich das erste Mal über 5.000 Personen unseren Podcast "Arbeitsrecht für Arbeitgeber" gehört. Wir sind überwältigt und sehr dankbar. Nicht nur deswegen halten wir für die nächste Woche ein tolles Interview bereit. Dazu unten mehr.
Den Abschluss bildet ein weiterer Artikel über die Probezeit - hier treten immer wieder Fragen und Probleme auf.
Doch jetzt - ab geht die wilde Fahrt:
Wann dürfen Sie als Arbeitgeber davon ausgehen, dass Verhandlungen über eine Zielvereinbarung gescheitert sind? Wann ist eine Zielvorgabe zulässig?
Wir hatten Ihnen Anfang November 2023 ein aktuelles Urteil des LAG Hamburg vom 16.01.2023 (5 Sa 14/22) vorgestellt, in welchem die Parteien über Schadenersatzansprüche im Hinblick auf eine nicht gewährte Tantieme stritten.
Das Urteil gab wichtige Hinweise zur Vertragsgestaltung von Zielvereinbarungen und Zielvorgaben sowie zur Problematik der möglichen Anspruchskürzung bei Vorliegen eines Mitverschuldens und bei Arbeitsunfähigkeitszeiten.
Nunmehr liegt die Revisionsentscheidung des BAG vor (Urteil vom 03.07.2024, 10 AZR 171/23), die erneut wichtige Hinweise für die Personalpraxis enthält.
Ein kurzer Blick zurück: Was war passiert?
Der Kläger war bei der Beklagten als Development Director beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers mit Ablauf des 31. Dezember 2020.
Der Anstellungsvertrag enthielt folgende Regelung zur variablen Vergütung, wonach die Vertragsparteien jedes Jahr drei Kriterien von Zielen bzw. drei Ziele vereinbaren sollten.
Sofern es jedoch zu keiner Einigung der Parteien käme (=keine Zielvereinbarung zustande kommt), sollte der Arbeitgeber die drei Kriterien nach billigem Ermessen einseitig vorgeben können (=Zielvorgabe):
„4.2 [1] Der Mitarbeiter kann darüber hinaus eine erfolgsabhängige variable Vergütung (‚Tantieme‘) erzielen. [2] Die jährliche Tantieme beträgt maximal EUR 180.000,- brutto … [3] Die Festlegung einer Tantieme und deren Höhe hängen von dem Erreichen von Zielen ab, deren drei wesentliche Kriterien jedes Jahr, erstmals zum Ende der Probezeit, zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden. [4] Sollten die drei Kriterien nicht zwischen dem Mitarbeiter und der Gesellschaft vereinbart werden, werden diese seitens der Gesellschaft nach billigem Ermessen vorgegeben. (…)“
Der Kläger forderte die Beklagte am 25. Juni 2020 erfolglos auf, in Verhandlungen über eine Zielvereinbarung einzutreten. Eine Einigung der Parteien auf eine Zielvereinbarung kam in der Folgezeit nicht zustande, so dass die Beklagte am 26.08.2020 drei Ziele nach billigem Ermessen einseitig festsetzte. Schließlich kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis der Parteien unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Dezember 2020. Eine Tantieme zahlte die Beklagte nicht.
Mit seiner Klage macht der Kläger im Wege des Schadensersatzes einen Anspruch auf eine Tantieme in Höhe von € 97.000,00 brutto geltend. Die Vertragsklausel sei in Bezug auf die Möglichkeit der einseitigen Zielvorgabe im Falle des Nichtzustandekommens einer einvernehmlichen Zielvereinbarung unwirksam. Bei Vereinbarung realistischer Ziele hätte der Kläger die volle Tantieme erreicht, was die Beklagte jedoch schuldhaft vereitelt habe.
Das LAG Hamburg hat den Arbeitgeber zweitinstanzlich zu einer Zahlung in Höhe von € 82.607,14 brutto verurteilt.
Hiergegen wendete sich die Arbeitgeberseite mit ihrer Revision zum BAG.
Die Entscheidung des BAG
Die Revision der Arbeitgeberseite hatte vor dem BAG keinen Erfolg.
1. Das BAG hält die o.g. Vertragsklausel zwar – anders als die Vorinstanz für ausreichend transparent im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
2. Allerdings halte insbesondere Satz 4 der o.g. Regelung der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB nicht stand. Die Regelung benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen:
a) § 4.2 Satz 4 AV sei unangemessen benachteiligend und deshalb unwirksam, weil die Klausel es dem Verwender ermögliche, die vertraglich vereinbarte Rangfolge von Zielvereinbarung und Zielvorgabe zu unterlaufen.
b) § 4.2 Satz 4 AV ermögliche es dem Verwender, seinen Gestaltungsspielraum bei der Festlegung der Ziele zu Lasten des Vertragspartners zu erweitern. Er könnte die Verhandlungen über eine Zielvereinbarung grundlos verweigern oder abbrechen, um die erforderliche Konkretisierung und Gewichtung der zu erreichenden Ziele einseitig vorzunehmen. Im Ergebnis wäre dem Mitarbeiter die in § 4.2 AV vorrangig vorgesehene Möglichkeit genommen, zur Wahrung seiner Interessen auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen.
c) Hinzu komme, dass die vertragliche Konstruktion unangemessen iSv. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sei. Denn sie sei geeignet, den Arbeitnehmer von dem in § 4.2 AV vorrangig vereinbarten freien Aushandeln der Ziele abzuhalten. Der Arbeitnehmer laufe, wenn er in die Verhandlungen über eine Zielvereinbarung Zielvorstellungen einbringe, die von denen des Arbeitgebers abweichen, stets Gefahr, dass der Arbeitgeber Verhandlungen grundlos abbricht und die Ziele einseitig vorgibt. Dies erzeuge bereits im Vorfeld einen unangemessenen Druck, die Vorschläge des Arbeitgebers für eine Zielvereinbarung auch dann zu akzeptieren, wenn die eigenen Vorstellungen davon abweichen.
d) Die Unwirksamkeit von § 4.2 Satz 4 AV führt nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Wegfall der Bestimmung über die Zielvorgabe unter Aufrechterhaltung des Satzes 3. Dies hat zur Folge, dass allein die Grundsätze über die Durchführung und das Scheitern einer Zielvereinbarung anzuwenden sind.
3. Die Beklagte habe ihre Pflicht aus § 4.2 Satz 3 AV, mit dem Kläger Verhandlungen über eine Zielvereinbarung zu führen und eine solche abzuschließen, schuldhaft verletzt. Jedenfalls nach Ablauf der Zielperiode stehe dem Arbeitnehmer nach §§ 280 Abs. 3, 283 S. 1 BGB insofern ein Schadensersatzanspruch aus.
4. Hierbei hat das BAG die Ausführungen des LAG Hamburg, wonach vorliegend nach § 254 Abs. 1 BGB ein Mitverschuldensanteil des Klägers in Höhe von lediglich 10% als anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei, ausdrücklich gebilligt..
Das Wichtigste
Zielvereinbarungen und Zielvorgaben unterscheiden sich grundlegend. Bei Zielvereinbarungen sind nach der vertraglichen Regelung die Ziele, von deren Erfüllung die erfolgsabhängige variable Vergütung abhängt, von den Arbeitsvertragsparteien gemeinsam festzulegen. Hingegen werden Zielvorgaben allein von Ihnen als Arbeitgeber getroffen, wobei Ihnen ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht iSd. § 315 Abs. 1 BGB eingeräumt wird.
Haben Sie sich als Arbeitgeber vertraglich verpflichtet, mit dem Arbeitnehmer für eine Zielperiode Ziele zu vereinbaren, an deren Erreichen eine Tantieme- oder Bonuszahlung geknüpft ist, so erfüllen Sie diese Vertragspflicht regelmäßig nur, wenn Sie mit dem Arbeitnehmer Verhandlungen über den Abschluss einer Zielvereinbarung führen und es diesem ermöglichen, auf die Festlegung der Ziele Einfluss zu nehmen.
Die Möglichkeit der Einflussnahme ist nach der Rechtsprechung des BAG nur gegeben, wenn Sie als Arbeitgeber den Kerninhalt der von Ihnen vorgeschlagenen Zielvereinbarung ernsthaft zur Disposition stellen und dem Arbeitnehmer Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen einräumen. Dies setzt zumindest voraus, dass Sie sich deutlich und ernsthaft zu Änderungen eines ggf. von Ihnen unterbreiteten Vorschlags bereit erklären. Diese Bereitschaft schlägt sich in der Regel in Änderungen des von Ihnen formulierten Vorschlags nieder. Bleibt es nach gründlicher Erörterung bei Ihrem Vorschlag, kann aber auch dies als das Ergebnis von Verhandlungen gewertet werden.
Für weiterführende Hinweise zur Zielerreichung bei Arbeitsunfähigkeit und zum Mitverschulden des Arbeitnehmers am Nichtzustandekommen einer Zielvereinbarung empfehlen wir noch einmal abschließend unseren Artikel aus dem November 2023.
Praxistipps
Umsichtigen Arbeitgebern ist im Zusammenhang mit (jährlichen) Zielvereinbarungen stets zu raten, die diesbezüglichen Verhandlungen früh- bzw. rechtzeitig aufzunehmen.
Ebenfalls muss Arbeitgebern insofern dringend geraten werden, den Verlauf von Verhandlungen über Zielvereinbarungen sauber und vollständig zu dokumentieren.
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Ein Wechsel von einer (nicht zustande gekommenen) Zielvereinbarung zu einer einseitigen Zielvorgabe ist nach dem besprochenen Urteil weiterhin grundsätzlich möglich. Die Anforderungen an eine diesbezüglich wirksame Vertragsgestaltung sind jedoch (derart) hoch, dass vorsichtigen Arbeitgebern tendenziell geraten werden muss, auf vergleichbare Klauseln, die eine Kombination von Zielvereinbarung und Zielvorgabe vorsehen, vorsorglich zu verzichten.
Vorsichtige Arbeitgeber sollten insofern möglicherweise eher zu Regelungen, die (einseitige) Zielvorgaben vorsehen, tendieren.
Bei Fragen zum Thema „Tantiemen und variable Vergütung“ kommen Sie gerne auf uns zu.
Unser Podcast "Arbeitsrecht für Arbeitgeber"
Wir freuen uns extrem, dass sich Dr. Esko Horn, Präsident des Arbeitsgerichts Hamburg, erneut bereit erklärt hat uns ein Interview zu geben.
Morgen zum Frühstück oder auf dem Weg zur Arbeit ist die Folge schon "on air". Cannabis im Betrieb – ist Kiffen auf der Arbeit jetzt erlaubt?, ist unser hochaktuelles Thema.
Das Cannabisgesetz ist seit dem 01.04. in Kraft und Cannabis darf von Volljährigen nun legal konsumiert werden, bis zu 25g getrocknetes Cannabis darf man bei sich führen und auch der Anbau von Cannabis zum Eigenkonsum ist in bestimmten Grenzen erlaubt.
Es stellten sich hier jetzt viele Fragen, wie sich dieses neue Gesetz auf die Arbeit und das Arbeitsrecht auswirkt.
In Folge 44 unseres Podcasts wollen wir diese Fragen klären u.a., ob auch am Arbeitsplatz Cannabis konsumiert werden darf, ob Arbeitgeber eigene Regeln zum Konsum im Betrieb aufstellen sollten, wie Cannabiskonsum am Arbeitsplatz ggf. arbeitsrechtlich sanktioniert werden kann, ob ein Konsum in der Freizeit ein Kündigungsgrund sein kann und ob ein Drogentest am Arbeitsplatz möglich ist.
Freuen Sie sich auf ein tolles Interview, mit vielen Praxistipps. Wer nicht so lange warten will, findet unter
zum einen das erste Interview mit Herrn Dr. Horn (Folge 13) und noch 42 weitere Folgen mit anderen interessanten Themen. Hören Sie gerne rein!
Die Verlängerung der Probezeit - geht das und was sind die Folgen?
Die Zeit fliegt vorbei, das merkt man unter anderem auch bei der Probezeit. Gerade erst hat man das Bewerbungsgespräch geführt und dann den Arbeitsvertrag unterschrieben und schon muss man sich Gedanken machen, ob der Arbeitnehmer auch über die Probezeit hinaus beschäftigt werden soll. Immer wieder kommen deshalb Mandanten auf uns zu und fragen uns, ob es möglich ist die Probezeit zu verlängern.
Als typischer Jurist muss ich - bevor ich die Frage im einzelnen beantworte - erst einmal zwei Begriffe klären - die Probezeit und die Wartezeit.
Die Probezeit
Die Probezeit wird im Arbeitsvertrag vereinbart. Sie hat nur eine Rechtsfolge - die Kündigungsfrist verkürzt sich von der gesetzlichen Grundkündigungsfrist von 4 Wochen (zum 15. oder zum Monatsende - § 622 Abs. 1 BGB) auf 2 Wochen (zu jedem Termin - § 622 Abs. 3 BGB). Gibt es keine Regelung zur Probezeit im Arbeitsvertrag, gilt sie nicht.
Die Wartezeit
Die Wartezeit steht im Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Dort ist in § 1 Abs. 1 - mit meinen eigenen Worten - geregelt, dass Sie als Arbeitgeber in den ersten 6 Monaten des Arbeitsverhältnisses für eine fristgemäße Kündigung keinen Kündigungsgrund benötigen - die Kündigung ist also erheblich einfacher als nach Ablauf der Wartezeit. Die Wartezeit gilt, im Gegensatz zur Probezeit, immer, da sie im Gesetz steht.
Probezeit und Wartezeit
Und jetzt das Entscheidende - Probezeit und Wartezeit haben nichts mit einander zu tun. Auch wenn Sie im Arbeitsvertrag keine Probezeit vereinbart haben, gilt die Wartezeit nach dem KSchG. Auch wenn Sie nur eine dreimonatige Probezeit vereinbart haben, gilt in den Monaten 4, 5 und 6 die Wartezeit nach dem KSchG.
Die Antwort
Haben Sie im Vertrag eine Probezeit von 6 Monaten vereinbart, ist eine Verlängerung der Probezeit nicht möglich. Denkbar wäre ggf. die Verlängerung einer kürzeren Probezeit. Haben Sie also nur 3 Monate vereinbart und konnte die Erprobung während dieser Zeit nicht ausreichend stattfinden (z.B. der Arbeitnehmer war lange krank), so können Sie die Probezeit mir seiner Zustimmung auf insgesamt bis zu 6 Monate verlängern.
Gibt es noch eine Alternative?
Leider gibt es viele Fälle, in den nach 6 Monaten noch nicht klar ist, ob der Arbeitnehmer für die Arbeit für die er eingestellt wurde geeignet ist, was tun?
Die Rechtsprechung kann Ihnen hier weiterhelfen. Die Arbeitsgerichte habe es gebilligt, dass Sie während der Probezeit eine Kündigung mit einer längeren Kündigungsfrist aussprechen (wohl maximal 4 Monate), wenn Sie in die Kündigung reinschreiben, dass die Leistung derzeit noch nicht ausreichend ist, der Arbeitnehmer aber nach Ablauf der 4-monatigen Kündigungsfrist weiterbeschäftigt wird, wenn seine Leistung bis dahin stimmt (BAG, Urteil vom 7. 3. 2002 – 2 AZR 93/01). Auf diesem Wege kann die Probezeit faktisch um bis zu 4 Monate verlängert werden.
Steht das Thema der zu kurzen Probezeit schon vor Abschluss des Arbeitsvertrages im Raum, macht die Befristung des Arbeitsverhältnisses Sinn.
Bei der Vereinbarung einer Probezeit während einer Befristung müssen Sie allerdings auf § 15 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) achten:
„Wird für ein befristetes Arbeitsverhältnis eine Probezeit vereinbart, so muss diese im Verhältnis zu der erwarteten Dauer der Befristung und der Art der Tätigkeit stehen.“
Wenn Sie hierzu mehr wissen wollen, verweise ich auf meinen Artikel dazu
Euch/Ihnen allen ein schönes Wochenende!