Gut gestimmte Ein-Stimmigkeit
Was macht einen Verein zu einem Ver-Ein? Was sind dort unsere Beziehungen, wie werden wir dort «eins»? - Durch «ein-stimmen», könnte ich nach dem Besuch der «Offenen Probe» der Musikgesellschaft Wimmis Mitte September leichthin sagen: Alles beginnt mit dem Einstimmen.
Dirigent Luca Belz macht an der offenen Probe der MG Wimmis keine trockenen Technikübungen, etwa nach Stimmen oder Registern getrennt. Es beginnen stattdessen alle auf einem Ton, und alle hören aufeinander: Ein zuerst sensibles, dann machtvolles Unisono.
Aber die Atmosphäre ist leicht, fast heiter, ohne Druck. Eine Lust, miteinander, fast spielerisch etwas Schönes, Tänzerisches ins Werk zu setzen, ist gross und liegt spürbar in der Luft. Und als die Instrumente warmgespielt und alle Akteure auch innerlich angekommen sind, beginnt die eigentliche «Arbeit» an und mit der Musik: Holz- und Blechbläser und die Percussion.
Aber Arbeit ist das falsche Wort. Man wirkt ver-eint. Und dies, obwohl einige starke Einzelstimmen solistisch herausstechen, nicht nur durch rein technische Versiertheit, sondern durch hohe musikalische Ausdrucksfähigkeit. Das Ganze bleibt aber immer «ver-eint», man bleibt innerlich zusammen, Querelen sind praktisch nicht spürbar.
Dirigent Luca Belz überträgt den ihm eigenen Schwung auf das auch innerlich «versammelte» Orchester der MG Wimmis (BE).
Zu der «Offenen Probe» konnten Interessierte von überall her kommen. Und sie kamen – einige auf dem Velo! – aus bis zu 25 km Entfernung. Das ist in den Bergen, trotz der flachen Talsohlen, meist kein «Spaziergang».
Doch gerade diejenigen, die sich nach der Offenen Probe entscheiden haben, schliesslich eher nicht dabei zu bleiben, machen sichtbar, was – neben dem Eins-Sein – noch sehr wesentlich ist für eben diesen Verein: Es ist die Leichtigkeit in der Beherrschung der musikalischen Anforderungen. Denn damit alles wie beschrieben spielerisch sein kann (ein wichtiges Element), muss das Instrument beherrscht werden.
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Es ist also die Kombination der beiden Elemente, heiteres Miteinander und spielerische Beherrschung der musikalischen Grundlagen, die eines der grossen Geheimnisse dieser Wimmiser Musikgesellschaft ausmacht. Denn diese «Gesellschaft» ist musikalisch hervorragend in ihren Auftritten, die meist so heiter sind, wie man es als Grundstimmung des gesamten Vereins schon in den Proben spürt.
Ein sozialer Faktor kommt aber als Drittes dazu: Die Zeit muss da sein und eben dafür verwendet werden, um an diesem spielerisch-musikalischen, ernsthaft-heiteren Miteinander mitwirken zu können. So umspannt die MG Wimmis viele Generationen: die Jüngsten sind noch im Schulalter, einige Andere in der Ausbildung, wieder Andere schon weit in der Rente. Und es gibt sogar solche, die als ganze Familien am Vereinsleben teilnehmen. Wo das alles nicht geht, «geht es nicht» mit dem Verein.
Denn ein solcher Verein ist ein soziales Gebilde besonderer Art: Solch ein Zusammenwirken kann man nicht staatlich «verordnen», obwohl es eine Komponente des öffentlichen Lebens ist.
Man kann die eigentlichen Elemente dieses – im Falle des Musikvereins - freudigen Zusammen-Spiels auch nicht durch noch so viel Geld «herbei-wirtschaften», oder: Was man in einem privaten Musikverein erlebt und produziert, ist keine Arbeit.
Und eine Musikgesellschaft ist andererseits noch weit ausserhalb des eigentlichen familiären Zusammenhangs, sie ist kein existentieller Zusammenhang wie die Familie. Man kommt, man spielt und lacht zusammen, und dann geht man wieder – und vielleicht lässt man ein Stück seines Herzens noch im Vereinslokal.
Ein Verein ist privat organisiertes Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck. Hier entsteht soziales Leben wie aus dem Bilderbuch. Hier definiert man sich in einem Beziehungsgefüge der ganz besonderen Art. In-einem-Verein-Sein stellt eine besondere Form der sozialen Identität dar: So, wie man dort «sein» kann, kann man es sonst kaum irgendwo.
Es ist ein Stück desjenigen «wahren Lebens», von dem vor hundert Jahren Martin Buber einmal sagte: «Alles wahre Leben ist Begegnung».