Gute Banken, miese Banken
In der Bankwirtschaft kursieren seit Jahren die gleichen Parolen: Filialnetze lassen sich heute nicht mehr kostendenkend betreiben – deshalb müssen sie dramatisch geschrumpft werden. Da treffe es sich gut, dass Bankkunden auch gar keine Filialen mehr wollten und bräuchten: Die Virtualisierung der Banken stehe vor der Tür: „Online kommt!“ - und allen werde es besser gehen.
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Aber ist das wirklich so? Die sicheren Gewinner dieser andauernden Trendbeschwörung sind die Unternehmensberatungen und IT-Anbieter, die in regelmäßigen Zyklen einer Bank nach der anderen die immer gleichen Konzepte verkaufen. Die Verlierer in diesem Spiel indes sind die großen Banken selbst. Denn: Digitale Technologie ist leicht zu kopieren – ebenso wie die Bankprodukte selbst. So baut man keine Wettbewerbsvorteile auf. Man verspielt sie. Die bedingungslose Virtualisierung führt direkt ins virtuelle Banknirvana. Mehr noch: Die Aushöhlung der Banken und ihres Kerngeschäfts ist bereits in vollem Gang. Indem Banken sich zunehmend über ihr vermeintlich innovatives Investmentbanking definieren, werden Kunden- und Kreditgeschäft zu Randbereichen degradiert, in denen Differenzierung oder Innovation ohnehin nicht möglich seien.
Der nüchterne Blick auf die Zahlen der letzten Jahre offenbart die fatalen Konsequenzen dieses Dogmas: Die Performance europäischer Universalbanken in der jüngeren Vergangenheit war alles andere als rosig, überwiegend sogar unterirdisch. Eine gigantische Wertvernichtung hat stattgefunden, verursacht durch Abwendung der Banken vom Kundengeschäft, durch nahezu unbändigen Risikoappetit und schamlose Selbstbereicherung der Managementkaste. Deutsche Großbanken wie Commerzbank und Deutsche Bank machen da keine Ausnahme – sie sind am untersten Ende der Skala oder im Mittelfeld dabei. Gerade die Commerzbank war einer der führenden Wertzerstörer in der Bankenkrise.
Dass Bankvorstände von ihren Aktionären dafür ausgebuht werden - wie bei der Aktionärsversammlung der Deutschen Bank in 2014 geschehen - ist folgerichtig: Wer bei anhaltender Wertvernichtung versucht, maßlose Boni und Gehälter zu zementieren, ohne dass interne Reform erkennbar wäre, der macht sich unmöglich. Der Vorstand der Deutschen Bank versucht bis heute weiter, Probleme mit denselben Mitteln zu lösen, die das Problem überhaupt erst erzeugt haben.
Das Gesamtbild passt einem seit den 80er Jahren anhaltenden Trend: Banken haben verlernt, ihr Kundengeschäft nachhaltig und profitabel zu betreiben. Es gibt eine kollektive Hilf- und Visionslosigkeit dahingehend, wie anständiges, wirtschaftliches Bankgeschäft heute aussehen könnte. Viele Bank-CEOs beißen sich behelfsmäßig an den von den Consultants eingeflüsterten Mythen fest. Etwa dem, dass „im Kundengeschäft kein Geld zu verdienen“ sei. Dass Filialen überflüssig werden. Dass die Kosten das Problem seien.
Die Realitüät der Bankenlandschaft sieht anders aus, als es die Trendverkäufer glauben machen wollen
Es lohnt sich, einen Blick auf den europäischen Ausnahmeperformer in der Bankenlandschaft zu werfen. Diejenige Bank, die in den letzten Jahren und in den Jahrzenten davor durchgängig mit überlegener Performance geglänzt hat - die schwedische Handelsbanken. Zeigt das Beispiel Handelsbanken eine Alternative zur der Abwärtsspirale auf, in der sich deutsche Banken heute gefangen sehen?
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Zunächst die Rahmendaten: Seit unglaublichen 43 Jahren ist sie die Bank mit dem besten Return on Equity und der besten Cost-Income-Ratio in Europa. 11.000 Mitarbeiter. Maßvoller Umgang mit Risiken im Boom wie in der Krise. Verzicht auf Bonussysteme, fixierte Wachstums-, Ertrags und Umsatzziele. Keine Produktrentabilitäts-Betrachtung in der Bank, kein Produktmanagement, keine Divisionen. Starkes organisches Wachstum u.a. im stagnierenden britischen Bankenmarkt. Stark expandierendes Filialnetz. Kein zentrales Risikomanagement. Minimale Kreditverluste bei um die 0,07% – so gering, dass einer meiner österreichischen Beratungs-Kunden einmal ausrief, diese Zahl sei „vollkommen unerreichbar!“
„Bei uns sind die Filialen die Bank. Digitale Technologie sind notwendig, aber kein Unterscheidungsmerkmal.“
Wie also wird das eigentlich Unmögliche möglich? Handelsbanken bietet eine Lektion in Sachen Nachhaltigkeit im Bankgeschäft. Aber auch dahingehend, wie Unternehmen in diesem Jahrhundert geführt werden können. Handelsbanken sagt von sich selbst: „Bei uns sind die Filialen die Bank“: Digitale Technologie sei „notwendig, aber kein Unterscheidungsmerkmal“. Lokale Präsenz mache den Unterschied – nur sie führt zu besseren Ergebnissen, mehr Geschäft und geringeren Risiken. Damit das funktionieren kann, verzichtet Handelsbanken seit 1971 auf Budgets und Jahresplanung, auf Zielvorgaben, strategische Planung, Forecasts, Ratingsysteme, Boni oder Anreizsysteme. Und kommt mit nur drei Hierarchieebenen aus. Man spricht bei Handelsbanken von „radikaler Dezentralisierung“ der Entscheidungen. Es gehe darum, den „bürokratischen Komplex“ im Zaum zu halten. Handelsbanken macht das seit 40 Jahren - und ist gerade deshalb erfolgreicher.
Das wirft die Frage auf: Sind die Filialkosten zu hoch – oder die Kosten zentraler Kontrolle? Sind Filialen und Kundenbetreuer überflüssig, weil die Kunden sie nicht brauchen? Oder haben die meisten deutschen Banken ihre Filialen und Betreuer so stark entmündigt, dass funktionierendes Bankgeschäft unmöglich wurde? Vielleicht müssen Banken das Filialgeschäft endlich neu erfinden. Das Beispiel Handelsbanken zeigt, dass Banken doch eine Seele haben können. Und dass es nötig ist, diese Seele wieder freizuschaufeln.
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Dieser Artikel erschien in ursprünglich in der Zeitschrift BankingNews des BankingClub. Im Vergleich zur ursprünglichen Version wurde er leicht modifiziert.
Niels Pfläging ist Business-Vordenker, Autor, Unternehmer und Berater. Sein fünftes Buch Komplexithoden: Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität, entstanden in Co-Autorenschaft mit Silke Hermann, ist einer der Wirtschaftsbuch-Bestseller des Jahres 2015. Zuvor schrieb er den Bestseller Organisation für Komplexität. Pfläging war fünf Jahre lang Direktor des Beyond Budgeting Round Table, BBRT, später gründete er die internationale Open-Source-Community BetaCodex Network. Gemeinsam mit Silke Hermann gründete Pfläging die Unternehmen Red42 und den Lerntechnologie-Anbieter qomenius. Gelegentlich berät Niels Pfläging Banken und Finanzdienstleister und hält Vorträge für Banken.
Unabhängig beschäftigt als Berater, Coach, Trainer
8 JahreInteressanter Gedanke, dass sich Filialgeschäft vielleicht doch lohnen könnte. Kundennähe, Vertrauen aufbauen/zurückgewinnen, persönliche Beurteilung statt durch Algorithmen... Nur scheint mir der Vergleich von Filialen von Banken für den Massenmarkt, bei denen quasi jeder ein Konto eröffnen kann, mit einer Exklusivbank wie Handelsbanken, die erst ab 1 Mio. Vermögen die Tür einer ihrer nur 5 Filialen in Deutschland öffnet, nicht ganz fair. Wenn Banken punkten wollen, um mehr Geschäfte mit anderen zu machen, als mit denen, die ohnehin schon an ihrem Tropf hängen, dann müssen sie sich bestimmt etwas einfallen lassen. Vor allem, so scheint mir, jedoch für die interne Organisation. Ob dann am Ende mehr oder weniger Filialen herauskommen, sei dahingestellt. Viel beschworen ist die Innovation im Außen: Wie kann das nächste bessere Produkt aussehen? Was ist aber mit der Innovation, der Erneuerung innen? Solange da die Zeichen auf "besser alles so lassen, wie es ist" stehen, habe ich wenig Hoffnung für die Mainstream-Banken und damit auch den Bankkunden. Aber vielleicht muss es auch keine Hoffnung für die Banken geben. Es gibt kein Recht und keine Pflicht, dass sie überleben. Alles hat seine Zeit. Nun bricht vielleicht eine neue an.
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8 JahrePrinzipiell stimme ich Ihnen zu, gebe aber zu bedenken, viele Niederlassungen hat die Bank nun auch wieder nicht, fünf Niederlassungen in ganz Deutschland und dazu ein sehr exklusives Klientel, eine Alternative ist Handelsbanken für Otto-Normalverdiener leider nicht. Und die Kosten von fünf Filialen kann man nicht vergleichen mit 1800 (Deutsche Bank Dtl.) Bin schon seit Jahren unglücklich über das Bankensystem (hübsch, die Autokorrektur hat "Bandensystem" vorgeschlagen :-), aber es gibt, selbst wenn man ein Stück über dem Normalverdienst liegt kaum Alternativen. Auch wenn ich, theoretisch jedenfalls, nach allem was ich über die Handelsbanken gelesen habe" die Unternehmenskultur der Handelsbanken sehr schätze, ließe sich einwenden, wenn man sich von vorn herein nur auf der Ebene der sehr großen Fische tummelt, fallen einige Herausforderungen die andere Banken haben nicht existent. Natürlich kann man hier wiederum einwenden, zur richtigen Zeit, das richtige Konzept und die richtige Kultur. Denn das Klientel, das Handelsbanken bedient, hätten doch alle gern oder?
Geschäftsführer KICK OFF Management Consulting GmbH
8 JahreDie größeren österreichischen Banken agieren alle nach dem Prinzip der maximalen Spekulation. Inklusive dem politischen Interdependenzen ergeben sich veritable Probleme. Mir ist aus eigener Anschauung überhaupt nur die Oberbank als Unternehmen bekannt, dass vorwiegend nach kaufmännischen Prinzipien geführt wird und trotz oder gerade wegen des Ausbaues des Filialnetzes sehr erfolgreich ist.