Hast du schon einen Avatar-Freund?
Über 3D bei virtuellen Messen und Besucherrundgängen
Über 20 Jahre ist es nun her, dass Linden Lab in San Francisco Second Life entwickelte. Anfang des neuen Jahrtausends ging die Parallelwelt dann an den Start und erfreute sich zu Beginn großer Beliebtheit. Zehntausende bewegten sich täglich als Avatare im Second Life, handelten miteinander, interagierten und redeten – auf ihre Art und Weise. Als Nutzer oder vielmehr Bewohner gestaltete man seinen eigenen Avatar und besiedelte seine Welt mit neuen Objekten. Kommuniziert haben die Bewohner in der Regel über Chats.
Warum ich das in der Vergangenheitsform erzähle? Second Life gibt es noch immer, aber die Nutzerzahlen gehen immer weiter zurück. Vielleicht haben wir einfach keine Zeit mehr zum Spielen und die echte Welt ringt uns aktuell zu viel Aufmerksamkeit ab? Oder liegt es daran, dass die Avatare irgendwie künstlich und steif wirken? Samsung hat sich mit Neon zum Ziel gesetzt, Avatare mit künstlicher Intelligenz menschlicher zu machen. Sie stellen sich vor, dass die Avatare künftig als Sprecher eines Unternehmens und einer Behörde oder gar als Freunde eingesetzt werden. Echt jetzt? Ich darf nicht mehr in badischer Gemütlichkeit nach meinem Formular bei echten Menschen in der Behörde von Abteilung zu Abteilung durchgestellt werden? Meine Freunde bastle ich mir dann nach all meinen Vorlieben, sie finden mich toll und widersprechen mir nicht mehr?
Die Renaissance der 3D-Welt bei Unternehmen
Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Es gibt mehr Gründe als bloßen Zeitmangel, warum Second Life mehr oder weniger gescheitert ist. Amüsanterweise erleben die Avatare und Parallelwelten gerade ihre große Renaissance in der Unternehmens- und Veranstaltungswelt. Jeder, der etwas auf sich hält, stattet seinen virtuellen Messestand oder seinen virtuellen Besucherrundgang mit Avataren aus. Interessant ist, dass auf den ersten Eindruck die Interaktion bei Null liegt. Ich habe einen toll gestalteten Messestand mit vielen eifrigen Avataren besucht. Dazu haben mir echte Vertriebsmitarbeitende im Chat ständig verzweifelt versucht, klarzumachen, dass sie da sind, mehrere Sprachen sprechen und allzu gerne mit mir reden würden. Wie es scheint, hat kaum einer auf sie reagiert. Die Hürde, mit Avataren zu sprechen, scheint sehr groß zu sein. Warum habe ich kein echtes Bild oder ein kleines Video von den Erics, Daniels und Sabines gesehen, die mit mir reden wollten? Vermutlich wäre ich dann eingestiegen.
Echter Shitstorm für künstliches Publikum
Bei den jährlichen beeindruckenden Schlosslichtfestspielen Karlsruhe war dieser Effekt gegenüber der Öffentlichkeit zu beobachten. Dieses Jahr fanden diese natürlich online statt, mit wunderbaren Film-Aufnahmen. Wirklich beeindruckend – selbst ohne die schöne Freiluftatmosphäre am Karlsruher Schloss. Damit irgendwas von der typischen Atmosphäre rüberkommt, haben die Veranstalter Avatare als Zuschauer integriert. Am ersten Abend dachten im Chat einige, das Spektakel finde doch statt und überlegten, ob sie nicht noch schnell zum Schloss sollten. Als dann irgendwann allen klar war, dass dies leblose Avatare waren, kippte die Stimmung. Die Leute regten sich auf, was das solle. Es wirke künstlich und verhöhne die echten Zuschauer im Netz.
Was sagt die Wissenschaft? Und was sagen die Nutzer?
Bei den einen ist die Intention, das, was fehlt, so realitätsnah wie möglich darzustellen. Die anderen finden Avatare einfach schick und verstehen es als die moderne Form, ihr Unternehmen auf einem virtuellen Messestand zeitgemäß zu präsentieren. Ich wollte wissen, warum sich so wenige durch Avatare animieren lassen, in die Interaktion zu gehen. Bei mir selbst weiß ich, dass es irgendwie unpersönlich wirkt, wenn ich nicht weiß, mit wem ich rede. Zudem geht man ja eh gerne auf Messestände nur mal zum Schauen und um sich zu informieren. Dass man irgendwann doch ins Gespräch verwickelt wird, liegt meist am erfahrenen Vertriebler, der oder die einen einfach nicht entkommen lässt. Meist wird es dann doch ganz interessant und unterhaltsam. Beim Avatar verspüre ich aber keinerlei Verbindlichkeit, mich auf irgendjemanden einzulassen. Den klicke ich mit einem Mausklick zur Seite und kümmere mich wieder um die Infos und Filme aus dem First Life, die meist integriert sind.
Wissenschaftliche Erkenntnisse gesucht
Bei solchen Fragen prüfe ich gerne, was denn das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) sagt. Die haben normalerweise sehr gute Erkenntnisse, warum einzelne Techniken funktionieren und was bei uns eben nicht wirkt. Leider Fehlanzeige. Das Institut entwickelt nämlich selbst 3D-Darstellungen und prophezeit diesen ein großes Zukunftspotenzial. Also bleibt es erstmal bei meinem Gefühl, dass die Leute im Unternehmensumfeld nicht wirklich bereit zu Interaktionen mit Avataren sind. Fühlt es sich einfach zu sehr nach Spielen an, dass wir das im beruflichen Umfeld nicht akzeptieren? Oder schaffen es künstliche Figuren grundsätzlich nicht, ein seriöses Gespräch einzuleiten. Wie gesagt, Zocken ist etwas anderes. Da wurde man vielleicht seit Beginn der gestalterischen Entwicklung an Kunst- und Fantasiewesen gewöhnt.
Kunden fragen: Hilft nicht immer, aber besser als reines Bauchgefühl
Ich beobachte das weiter und bin dabei, eine Umfrage vorzubereiten. Wenn es bislang keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, verifizieren wir ein Bauchgefühl erstmal gemeinsam. Denn günstig ist die Entwicklung von Avataren wirklich nicht. Ich bin kein Schwabe, aber doch Unternehmer. Meinen Kunden gegenüber und bei meinen eigenen Investitionen will ich immer genau wissen, was wirklich etwas bringt und tatsächlich Kommunikation fördert. Insbesondere bei virtuellen Besucherrundgängen stelle ich die Technologie stark in Frage. Ein Unternehmen besuche ich im realen Leben oder eben online ja gerade, um etwas von Kultur, Atmosphäre und Stimmung mitzubekommen. Wenn die echten Menschen durch Avatare ersetzt sind, kann ich mir gleich eine Werbebroschüre durchlesen. Das wirkt ähnlich wenig glaubwürdig oder authentisch. Aber wie gesagt, das ist nur ein Gefühl. Ohne Verifikation mit Daten und Fakten kommen wir so erstmal nicht weiter.