Heute vor drei Jahren...

Heute vor drei Jahren...

Ein Kommentar, den ich mit schwer geplatztem Kragen heute vor drei Jahren beim VDT-Magazin eingereicht habe. Die Chefredaktion war damals weise genug, ihn abzulehnen. Gerade stolpere ich drüber und stelle verblüfft fest, wie gründlich ich die ganze Scheiße schon vergessen hatte.


24.5.2020

Da laufen sie wieder, die Hygienedemonstrant*innen mit den blitzblanken Hirnen. Der vegane Meinungskoch, der gescheiterte Journalist, und der rechtschaffene besorgte Bürger, der alles spitzkriegt, nur nicht, wer da noch so neben ihm marschiert. Und natürlich die Partei, von der man in der letzten Zeit, als zur Abwechslung mal echte Probleme zu bewältigen waren, so erfrischend wenig gehört hatte. Leute, deren Grundrechte gerade, schnüff, mit Füßen getreten werden.

Alle bringen zu diesen Demos ihre eigenen Glaubenssätze, Lieblingsdaten und -statistiken mit, und wirklich jeder darf mitmachen.

Aktuell meistdurchtriebene Dorfsau ist die These, die geringe Anzahl COVID-19-Toter bei uns zeige, dass die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen völlig überzogen gewesen seien.

Ein gesunder Mensch würde bei "wenigen Toten im internationalen Vergleich" zunächst mal die Korken knallen lassen und der Exekutive zum Erfolg gratulieren, um dann vielleicht kurz beim Prosecco zu erwähnen, dass man im Nachhinein sicherlich noch etwas optimieren kann. Vielleicht sogar, dass die Einschränkungen der Versammlungsfreiheit hier und da doch etwas grobschlächtig geraten waren. Bzw. schien das so, bevor Rudel von Deppen ohne Mundschutz speichelstark skandierend viel zu eng über die Marktplätze latschten.

Das Problem von post-hoc-Hypothesen kannst Du mit dem besorgten Bürger nur schwierig diskutieren. Es ist zwar keine Wissenschaft, aber hey, praktisch: wenn Du Deine These mit dem gleichen Datensatz begründest, der dich erst auf den Gedanken gebracht hat, dann hast Du immer recht. Wenn Du damit durch die Zwischenprüfung fällst, dann war wohl die Meinungsfreiheit eingeschränkt oder der Prüfer zu linksgrün.

Aber trotzdem muss man sie ernst nehmen, denn sonst werden sie zu Wutbürgern, und das ist die Elite dann selber in Schuld, schreibt der neue Fleischhauer-vom-Dienst im "Spiegel". Differenzierte Betrachtungen sind zwar ihre Sache nicht, aber wehe man behauptet, wer mit Nazis marschiere sei selbst einer. Da werden wir dann geradezu feinstofflich sensibel, da muss man sauber trennen, das kann man so nicht verallgemeinern.

Aber auch bei euch sollte sich mittlerweile rumgesprochen haben, dass man an der deutschen Geschichte nicht selektiv die Autobahnen gut finden kann, ihr wisst schon, diese blöden Zusammenhänge. Kann man das nicht irgendwann mal als bekannt voraussetzen?

Wenn in einem politischen Prozess ständig Störungen auftreten, die in keiner Relation zur Faktenbasis stehen, und das Spektrogramm zeigt kreischende Geräusche am rechten Rand, dann erkennt die Nachrichtentechnikerin (und wird es doch wohl mal sagen dürfen): das ist intellektuelle Unterabtastung. Eine Fehlfunktion. Die muss man reparieren, nicht diskutieren.

Damit will ich nicht sagen, wer so denkt sei doof. Für doof kann keiner was, und wenn doof zu einem Problem wird, haben das Bildungssystem, die Inklusion, die Medien und das soziale Miteinander versagt. Nein: wer so das Denken verweigert ist faul und möchte auf die billige Tour zu einer erleuchteten Minderheit gehören, für das schäbige Gefühl des Besserwissens und des Anderen-die-Schuld-gebens. Wenn der so Erleuchtete dann merkt, dass seine Absonderungen von allen außer den Miterleuchteten zutreffend als Blödsinn abgetan werden, ist er beleidigt und macht auf unterdrückt.

Wenn man ernstgenommen werden will, dann steht man nicht auf Marktplätzen zusammen mit Leuten, die einen gelben Stern tragen und denen dabei nichts auffällt. Punkt.

Mein Hut bleibt aus schlagfestem Kunststoff, das Alu ist für Traversen. Gemeinsam kriegen wir die Kulturwirtschaft wieder hin, und das bringt die Deppen hoffentlich auf andere Gedanken.


Jörn

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