Innenstädte brauchen mehr lebendige Quartiere

Welche fatalen Folgen die Monostrukturen vieler Innenstadtquartiere haben, wird aktuell in zahlreichen Städten deutlich, meint Reiner Nittka, Vorstand des Projektentwicklers GBI.

Ein Umdenken ist erforderlich. Lärmvorschriften sind einzuhalten, müssen aber etwa für temporäre Unterbringungsmöglichkeiten auslegbar bleiben. Elemente wie Hamburger Fenster etwa können zusätzlich Schall absorbieren und eine Wohnnutzung auch entlang befahrener Straßen oder in der Nähe von Bahngleisen ermöglichen. . Denn was nützen alle diese Vorschriften, die für Menschen entwickelt wurden, wenn für diese Menschen kein neuer Wohnraum geschaffen werden kann? Die starre Trennung von Wohn- und Geschäftsgebieten muss tatsächlich enden. Dies fordert endlich auch Bundesbauministerin Hendricks mit den sog. Urbanen Zonen. Übrigens: Dieses Zusammenleben hieß schon vor über 100 Jahren „Berliner Mischung“. Hat auch den schönen Effekt, dass Wege vom Wohnen zur Arbeit kürzer und damit umweltschonender werden. Gefragt ist nun eine Tugend, für die wir Deutschen nicht unbedingt bekannt sind: Flexibilität. Dinge müssen schnell entschieden, verändert oder auch mal ausgesetzt werden. Müssen wir genau jetzt, die nächste Stufe der Energieeinspar-Verordnung EnEV umsetzen, als wäre um uns herum nichts geschehen? Was ist zudem der Sinn hoher Stellplatzquoten bei Immobilien, die auf Singlehaushalte zugeschnitten sind? Diese verzichten heutzutage zu einem großen Teil aufs eigene Auto. So verhindern Behörden de facto Mikrowohnungen, ein wichtiges Element notwendiger neuer Immobilienstrukturen. Auch wird bei Neubauten oft ein zusätzliches, teures Kellergeschoss notwendig, um – nicht benötigte – Parkplätze oder Abstellflächen nachzuweisen, was die Kosten weiter treibt. Erste Städte zeigen sich flexibel, wenn E-Zapfsäulen, Fahrradplätze oder ein ÖPNV-Anschluss vorhanden sind. Es gibt aber auch weiter kuriose Forderungen: ein Berliner Bezirk verlangt, pro Studentenapartment 2 m2 Spielplatz zu errichten. Kein Kind dürfte je ein derartiges Apartment bewohnen. So verschärfen Verwaltungen ein Missverhältnis: Nur für jeden zwölften Ein-Personen-Haushalt gibt es rechnerisch in der Hauptstadt eine Einzimmerwohnung. In anderen Großstädten sieht das ähnlich ungünstig aus.

Auch andere Immobilienakteure müssen flexibler werden.. So verhindert manche Bank den Nutzungsmix, weil sie Apartment- Mindestgrößen von 35 oder 40 qm fordern.

Institutionelle Investoren sollten Ihre Vorliebe für uniforme Portfolios ablegen, sich für größere Multi-Use Developments öffnen und darin die Chance für ein diversifiziertes Investment sehen – daneben fördert man so die nachhaltige Stadtentwicklung

Es ist immer ein Gesamtpaket - wenn der Wohnraum preisgünstig sein soll, dann darf die öffentliche Hand auch nicht meistbietend verkaufen wollen. Dazu gehört auch die Überprüfung von Standards und evt. auch die Aussetzung (nicht Abschaffung!) der neuen EnEV für einen begrenzten Zeitraum. Tatsächlich und faktisch findet dies derzeit in bestimmten Bereichen bereits statt. Man darf es nur nicht sagen ...

Marcus Nähser

Vorsitzender des Vorstands

8 Jahre

Planerisch hängen wir den städtischen Realitäten schon lange hinterher. Die Politik findet hier keinen Veränderungswillen, im gleichen Atemzug aber formuliert sie sehr wohl die Anforderung preisgünstigen Wohnraum zu schaffen.

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