Interview mit Anna Alex – Wie stellt man eine Organisation auf Wachstum ein?

Interview mit Anna Alex – Wie stellt man eine Organisation auf Wachstum ein?

Wenn Organisationen wachsen, entwickelt ihre Kultur langsam eine Eigendynamik, die sich nicht mehr so leicht überblicken lässt. Und was mal brauchbare Abläufe und Strukturen waren, fühlt sich irgendwann sperrig und eng an, wenn immer mehr Mitglieder diese nutzen – wie eine vollgestopfte Stadtautobahn. Was kann man da tun?

Darüber habe ich mit Anna Alex, Co-Founderin der Climate-Tech-Company Planetly gesprochen. Selbst gerade mitten in der Wachstumsphase hat Anna bei Metaplan Diskurse ihre Einsichten geteilt. Einige davon greife ich hier noch einmal auf, um sie zu diskutieren.

#1: Es ist besser, Organisationswerte diskursiv relevant zu halten als sie nur im Hintergrund wirken zu lassen.

Für Anna Alex steht fest: Mit den ersten Mitgliedern der Organisation, vor allem dem Gründungsteam, etabliert man die Richtung, in die sich die Unternehmenskultur entwickeln wird. Es ist demnach wichtig, einen gemeinsamen Ausgangspunkt zu definieren und diesen in der Entwicklung der Organisation, wenn neue Mitglieder kommen und neue Entscheidungen fallen, immer wieder aufzusuchen. Sei es beim Onboarding, als Orientierung bei Entscheidungen oder als Konfliktlösung – Werte müssen in der Diskussion brauchbar sein und bleiben.

#2: Man kann es zur Routine erheben, Strukturen auf Brauchbarkeit zu prüfen.

„Wir sind uns sicher, dass unsere Struktur nicht fehlerfrei ist. Wichtig ist nur, dass wir einander auf die Probleme hinweisen.“ Dafür ist eine Kultur nötig, in der die Organisationsmitglieder die Waage finden zwischen der Taktlosigkeit, die so ein Hinweis voraussetzt, und der Höflichkeit, keine Konflikte verursachen zu wollen. Für Planetly ist die Lösung, dass Feedback geben zum Alltag gehört. Strukturen prüfen wird zur Routine. „Für jedes Meeting, das wir haben, geben die Teilnehmenden am Ende ein Rating von 1-10 ab“, beschreibt Anna Alex. „So finden wir schnell raus, wenn sich jemand überflüssig vorkommt.“

Meine Einschätzung: Beides funktioniert – doch es kostet viel Energie.

Üblicherweise bleiben die Werte einer Organisation auf einer Ebene der Meta-Erzählung, die für LinkedIn und die Hauptversammlung herausgeholt wird, aber nicht im Alltag das Tun und Lassen anleitet. Wenn man Werte jedoch alltagsrelevant halten will, ist das Vorgehen von Planetly vermutlich ein Richtiges: Man darf Werte wie „Ownership“ nicht nur normativ in der Schwebe belassen, sondern muss immer wieder definieren, wie sie auf strategischer – und sogar operativer – Ebene die Handlungen beeinflussen. Dann erkennen auch die Mitarbeiter an, dass es sich nicht um eine leicht zu ignorierende Kampagne handelt und die Entscheidungen des Arbeitsalltages ganz anderen Maximen folgen. Ähnlich verhält es sich mit der Überprüfung von etablierten Strukturen. In einem exponentiell wachsenden Startup unterliegen auch diese einer ständigen Re-evaluation. Wenn man eine Kultur etabliert, in der tatsächlich Kritik an den Strukturen folgenlos möglich ist (das heißt, auch Kolleg*innen einem keine giftige Blicke zuwerfen, wenn ihr Meeting nur eine 3/10 bekommt) – dann kann man so wahrscheinlich ein recht gutes Monitoring entwickeln, wie die Strukturen der wachsenden Organisation standhalten.

Eine unser Lieblingsfragen bei Metaplan lautet: „Was handelt man sich ein?“ Das Hochhalten und Verteidigen der Organisationswerte in den Diskursen und das Wachhalten des prüfenden Blicks auf die eigene Struktur fordern beide den gleichen Preis: Es kostet viel Energie. Die noch junge Organisation erlaubt sich gar nicht erst den Luxus, irgendwann zu einem handlungsleitenden „Wir machen es so, wie wir es immer machen!“ zu kommen. So nervig diese Einstellung manchmal sein mag, sie gibt im Alltag Sicherheit. Weiterhin muss man in der Organisation vermutlich auch einige Meta-Diskussionen darüber führen, ob man zu viel über Werte und Struktur diskutiert, und dabei weniger ins Handeln kommt. Für ein Start-up kann dies tatsächlich funktionieren, denn man macht einfach beides: Viel Ausdiskutieren und viel Entscheiden. Dafür braucht es Mitarbeiter, die in die Organisation und ihre Ziele investiert sind.

Perspektive auf Nachhaltigkeit

Schließlich ging es auch darum: Wie kriegt man Fragen der Nachhaltigkeit in eine Organisation? Vor dem „Wie“ steht aus soziologischer Logik noch eine andere Frage: Wieso sollten sie überhaupt? Für Anna Alex gibt es darauf eine eindeutige Antwort:

#3 Die Signale aus der Umwelt von Organisationen zeigen, dass es Zeit wird.

Es ist für Organisationen nicht mehr zu ignorieren, dass ihre soziale Umwelt Einsatz für den Klimaschutz erwartet. Neue Mitglieder präferieren Organisationen, die eine Strategie vorweisen können. Und Investoren nehmen stärker in den Blick, ob Nachhaltigkeitsziele mitbedacht werden. Jetzt kommt es für Organisationen darauf an, diese glaubhaft darzustellen.

#4 Was man nicht beobachtet, kann man nicht gestalten.

Anders als bei Einnahmen, Ausgaben, oder der Reichweite des Marketing-Newsletters haben Organisationen für ihren CO2-Ausstoß meistens keine einfach zugänglichen Kennzahlen. Im ersten Schritt muss man diese erheben, um sie dann zu bearbeiten. Dann muss man sie sichtbar machen (und zwar nicht in Excel) und somit besprechbar werden lassen. Dass man mit tagesaktuellen Zahlen eine Entwicklung zeigen kann, erleichtert die Darstellung, dass man klimafreundlich handelt, enorm.

Meine Einschätzung: Ob Klimaschutz in Organisationen formalisiert wird, hängt von den Erwartungen an die Glaubwürdigkeit der Klimaschutzkonzepte ab.

Das Produkt von Planetly – eine Software, die Organisationen ermöglicht, ihren CO2-Ausstoß nachzuvollziehen, zu beobachten und einzugrenzen – ist beeindruckend. Ihr Einsatz setzt Interesse am CO2-Wert voraus. Für viele Organisationen spielt dieser Wert aus ihrer Eigenlogik heraus keine Rolle. Die Relevanz kommt erst über die Umwelt: Mitglieder, Bewerber, Geldgeber, Kunden. Doch die interessieren sich auch nicht zwingend für den CO2-Wert, sondern dafür, dass die Organisationen sich mit dem Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit beschäftigt hat. Die Erwartungen lässt sich auch erfüllen, wenn man den Vorstand beim Bäume pflanzen fotografiert – wenn man sich denn damit zufrieden stellen lässt.

Der CO2-Wert ist mächtiger als eine PR-Showeinlage, weil er besser überprüft werden kann. Doch sich als Organisation dieser ständigen Überprüfung zu unterwerfen, muss sich lohnen. Es muss einen Zweck haben, seine Glaubwürdigkeit in Zahlen abzubilden. Denn dadurch macht man sich auch angreifbar. Dass der Druck aus der Gesellschaft dazu wächst, ist hilfreich. Entscheidend wird es für Organisationen aber erst, wenn die Entwicklung ihres CO2-Werts in mittelbare Beziehung zum Unternehmenswert gebracht werden kann.

Zum Video

Wer diese Folge von Metaplan Diskurse nochmal anschauen möchte, hat hier Gelegenheit dazu:

Danke Anna für das Gespräch!

Lukas Fütterer

Organizational Consultant Metaplan. Founder MountainMinds. Host ESPACIO Ayampe.

3 Jahre

Weil wir es davon hatten Eva & Paulina … viel Spaß beim anschauen 🎥

Lukas Fütterer

Organizational Consultant Metaplan. Founder MountainMinds. Host ESPACIO Ayampe.

3 Jahre

Danke für die wertvollen Einblicke 🙏

Judith Muster

Partner at Metaplan // Department of Organizational and Administrative Sociology, University of Potsdam

3 Jahre

Klasse Dr. Wiebke Gronemeyer! Ich bin gespannt, wie ihr das Thema Wachstumsschmerzen weiter dreht...

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