ISO 9001:2015 4.2 Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien 
– Anforderungen und Feststellungen

ISO 9001:2015 4.2 Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien – Anforderungen und Feststellungen

DNV hat in Deutschland im Jahr 2020 eine Vielzahl von Audits zur Erzielung und Aufrechterhaltung von Zertifizierungen nach ISO 9001:2015 durchgeführt und ausgewertet. Dabei wurde festgestellt, dass Abweichungen, Beobachtungen, Verbesserungspotentiale zum Normenkapitel 4.2 am häufigsten festgestellt wurden.

Dies überrascht bei einer oberflächigen Betrachtung, da es im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems herausfordernde und komplexere Normenkapitel gibt und zum anderen da die Anforderungen zu interessierten Parteien keine neuen Anforderungen mehr darstellen. Was steckt dahinter? Was sind die Gründe hierfür?

Normenforderung der ISO 9001:2015 4.2 Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen interessierter Parteien.

 Die ISO 9001:2015 unterstützt Unternehmen ihre Fähigkeit darzulegen, fortwährend qualitativhochwertige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die die Anforderungen der Kunden und die jeweils relevanten gesetzlichen und behördlichen Forderungen erfüllen. Insgesamt hat das Qualitätsmanagement die Verbesserung der Kundenzufriedenheit im Fokus.

Um das zu erreichen ist ein erster Schritt die interessierten Parteien und deren jeweiligen relevanten Anforderungen zu bestimmen und zu bewerten ob das nicht beachten der Anforderungen das Ziel zufriedene Kunden zu haben gefährden kann.

ISO Standards definieren interessierte Parteien/ Anspruchsgruppen als Personen oder Organisationen, die durch eine Entscheidung oder Tätigkeit einer Organisation beeinflusst (betroffen) sein können, sich davon beeinflusst fühlen können oder die Entscheidungen oder Tätigkeiten einer Organisation beeinflussen können.

Typische interessierte Parteien sind für die ISO 9001:2015 u.a. Kunden (je nach Komplexität sollten hier unterschiedliche Kunden unterschieden werden, da sie unterschiedliche Anforderungen haben können), Konsumenten, Regulierungsbehörden, Eigentümer, Mitarbeiter, Mitbewerber, Lieferanten, Kontraktoren, Banken, Wettbewerber.

Die Organisation muss entscheiden, ob eine bestimmte Anforderung einer relevanten interessierten Partei für ihr Qualitätsmanagementsystem relevant ist.

Für die relevanten interessierten Parteien und deren relevanten Anforderungen gilt es nun Informationen auszuwerten und diese zu überwachen und zu überprüfen.

Die identifizierten Anforderungen müssen nun bei der Definition des Anwendungsbereichs des Systems und bei der Planung des Systems (inkl. Bewertung von Risiken und Chancen) berücksichtigt werden.

Einfach ausgedrückt, die Erwartungen und Erfordernisse u.a. der Kunden (potenzieller Kunden), der Konsumenten, regulative Anforderungen, müssen systematisch identifiziert werden.

Das Unternehmen muss entscheiden ob und wie diesen Anforderungen entsprochen wird. Diese dienen dann als Grundlage für Art und Umfang der qualitätslenkenden Aktivitäten einer Organisation. Es handelt sich um einen wiederkehrenden Prozess, da das Umfeld der Organisation dynamisch ist.

Auswertung von Auditfeststellungen

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Tabelle 1: Top 5 Themen ISO 9001:2015 im Jahr 2020 in Deutschland.

(Analysiert wurden alle Audits nach ISO 9001 im Jahr 2020 durchgeführt durch die deutsche DNV Unit (>5000 Feststellungen, >1000 Audits, Feststellungstypen: Abweichungen, Beobachtungen, Verbesserungspotential). Dabei lagen alle Top 5 Feststellungen in ihrer Häufigkeit im Bereich zwischen 16.5% - 13,6% (% der Unternehmen mit Feststellungen im Normenkapitel).

Eine zusätzliche manuelle Auswertung von ca. 500 Feststellungen zum Kapitel 4.2 der Norm wurde durchgeführt. Anhand des konkreten Feststellungstext wurde die jeweiligen Feststellungen in eine der 5 nachfolgenden Kategorien eingruppiert.

Die Kategorie „Identifikation“ wurde gewählt, wenn Verbesserungspotentiale bei der Identifikation der Interessensgruppen und/ oder deren relevanten Anforderungen festgestellt wurden. D.H. relevante Anforderungen nicht oder nur unzureichend identifiziert oder die Identifikation nicht nachvollziehbar war.

„Bewertung“ als Kategorie bedeutet das die Bewertung identifizierter Anforderungen Verbesserungspotentiale beinhaltet. Z.B. Kriterien sind unklar, Bewertungen wurden unzureichend oder nicht durchgeführt, die für die Bewertung notwendigen Prozesse haben Verbesserungspotential.

„Planung des Systems“ beinhaltet Feststellungen an der Schnittstelle zur Festlegung des Anwendungsbereichs (4.2) und/ oder der wirksamen Umsetzung der bewerteten Anforderungen in das Qualitätsmanagementsystem (6.1).

Die Kategorie „überwachen und überprüfen“ bezieht sich auf Feststellungen zur Aktualisierung, Überwachungs- und Überprüfungsmaßnahmen in Bezug auf die zu erfüllenden Anforderungen.

Die Kategorie „sonstige“ beinhaltet Feststellungen, die nicht eindeutig ohne weitere Hintergrundinformationen in eine der anderen Kategorien eingestuft werden können.

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Tabelle 2: % Verteilung der Feststellungen je Kategorie

Betrachtet man die Auswertung ist festzustellen das außer der prozentual höheren Anzahl an Feststellungen für die Kategorie Identifikation die anderen Kategorien fast gleichmäßig vertreten sind.

Auffällig ist das viele der Feststellungen im Jahr 2020 sich mit dem geänderten Umfeld durch die COVID-19 Pandemie, den oft geänderten Arbeitsprozessen, wie auch der Arbeit im Home Office und der daraus ergebenden geänderten Anforderungen insbesondere der Mitarbeiter als Interessengruppe beschäftigen. Bedingt durch die Rolle und den Erfahrungsschatz eines externen Auditors sind weiterhin wiederkehrend Feststellungen zu zusätzlichen Interessensgruppen und deren Anforderungen, hier oft in Verbindung mit rechtlichen Anforderungen, erkennbar.

Ggf. erklärt sich hierdurch bereits teilweise, dass die höchste Anzahl an Feststellungen in der Kategorie Identifikation ist. 

Weiterhin sind viele Feststellungen in Bezug auf Umgebungsbedingungen (siehe Rang 4: 7.3 Infrastruktur) / Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter und auch hier teilweise mit Bezug auf rechtliche Anforderungen identifizierbar. Da der Datensatz einen gewissen Anteil von integrierten Audits enthält sind hier Nebeneffekte aus anderen Managementsystemstandards festzustellen (Um diesen Effekt zu minimieren wurde im Zweifelsfall eine Einstufung in die Kategorie sonstige durchgeführt).

Die Feststellungen sind ansonsten neben Feststellungen zu den Prozessen und deren Umsetzung breit gestreut. Ein gewisser Mangel an Dynamik und Anpassung der Stakeholderanalysen ist bei vielen Feststellungen nachvollziehbar. Die ISO 9001:2015 fordert ausdrücklich, dass die Analyse aktuell zu halten ist.

Verschiedene Feststellungen weisen auf ein unzureichendes Verständnis der Bedeutung der Stakeholder Analyse für die Gestaltung eines wirksamen Qualitätsmanagementsystems hin. Wenn diese Normenforderung nur bearbeitet wird, um die Zertifizierung zu bestehen, dann stellt sich auch die Frage, ob am Ende die Kunden zufrieden sind.  

Auch können diese Feststellungen ein Indikator für eine unzureichende Verbindung mit dem Geschäftsprozessen und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens sein.  Deutlich wird, dass Schulungs- und Informationsbedarf im Hinblick auf die Verknüpfung von Managementsystemen und Geschäftsprozessen besteht. Dieser Bedarf besteht, aus Sicht des Autors, für die Fachebene der Managementsysteme aber auch für viele Führungskräfte.

Zusammenfassung

Zusammenfassend betrachtet, verdeutlicht die Auswertung, dass das Normenkapitel 4.2 seine Tücken nicht unbedingt in der Komplexität der Anforderungen hat sondern in der bewussten Auseinandersetzung mit interessierten Parteien und ihren Erwartungen und Erfordernissen. . 

Die komplexen und dynamischen Rahmenbedingungen in denen unternehmen heutzutage tätig sind erfordern gut entwickelte, reife und dynamische Prozesse für ein Wirksames Qualitätsmanagementsystem. Grundansatz ist dabei, dass die Erfordernisse und Erwartungen der interessierten Parteien ermittelt und analysiert worden sind und -basierend auf den gewonnen Erkenntnissen- in die Geschäftsprozesse eingebunden sind.

Nur so kann sichergestellt werden, dass ein Qualitätsmanagementsystem seine volle Wirksamkeit für seinen eigentlichen Zweck; fortwährend qualitativhochwertige Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die die Anforderungen der Kunden und der jeweils relevanten gesetzlichen und behördlichen Forderungen erfüllen und eine Verbesserung der Kundenzufriedenheit zu erreichen; entwickelt.

Die Förderung und Entwicklung des Bewusstsein der Bedeutsamkeit dieser Normforderung für ein wirksames Qualitätsmanagementsystem ist aus Sicht des Autors durch Aufklärungsarbeit und Trainings notwendig.

Emma Rogers

Senior Learning & Development Consultant at Easygenerator I LSE Alumni

5 Monate

Dirk, thanks for sharing!

Helmut Lansbergen

Free Lance Assessor and SIFA/ RSPP ( ITA- CH from 02/25 ), Referent- Formatore Auditor ISO 9001 45001 14001 28000. COC -/ sustainability audits of all kind -SA 8000- Resp. Steel. Referent OHS at Swiss Railways.

3 Jahre

Auch 4.1 Themen mit darangehaengt 6.1 Risikobewertung und 6.2 Ziele (Messbar, realistisch usw) sind Dauerrenner

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