Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Sustainable Finance wird die Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft verändern
View on Brussels, by Thomas P. Reiter

Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Sustainable Finance wird die Geschäftsmodelle der Finanzwirtschaft verändern

Von Thomas Philipp Reiter, Brüssel

Wer glaubt, dass die Berichterstattung zu den „Fridays for Future“-Demonstrationen und Auftritte von Greta Thunberg zum Beispiel vor der UNO in New York nicht auch in den Finanz- und Kapitalmärkten nachhaltigen Widerhall finden, wird bald eines Besseren belehrt werden. Die Klimadebatte und Nachhaltigkeitsdiskussion rückt auch in den Agenden der Finanzpolitiker immer weiter nach oben. So hält sie auch in Politik und Verwaltung im Umfeld der EU-Institutionen Einzug. Hier ist hier der Begriff „Sustainable Finance“ – also nachhaltiges Finanzwesen – inzwischen in aller Munde. Die soeben zu Ende gegangene Juncker-Kommission hat unter jenem Begriff einen eigenen Aktionsplan entwickelt und ihn damit in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Finanzdebatte etabliert. Unter „Sustainable Finance“ ist zunächst ganz praktisch die Verankerung ökologischer und sozialer Belange in den Kernbereichen der Finanzwirtschaft zu verstehen. Es gibt keinen Zweifel, dass dieses Vorhaben auch unter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen massiv vorangetrieben werden und in einer die öffentlichen Debatten bald intensiv beherrschenden Verordnung enden wird. Vielen Finanzinstituten ist bislang offenbar nicht bewusst, welche umwälzende und weitreichende Regulierung damit aus Brüssel und Straßburg auf sie zu rollt. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich nicht weitaus mehr Banken schon jetzt aktiv auf diese disruptive Neuerung innerhalb der EU einstellen. Unter dem Strich wird zukünftig jedes Finanzprodukt erheblich teurer als marktüblich, wenn es die neu zu entwickelnden Nachhaltigkeitskriterien nicht trifft. Kreditnehmer, die nach einer solchen Verordnung nicht nachhaltig genug sind, müssen Zinsaufschläge in Kauf nehmen.


EU-Aktionsplan „Financing Sustainable Growth“

Der Aktionsplan „Financing Sustainable Growth“ hat das Anfangsstadium verlassen: die EU-Kommission veranstaltete zwei High-Level-Konferenzen zu diesem Thema und hat jetzt eine technische Expertengruppe eingesetzt. Insbesondere in die Definitionsfindung könnten sich Finanzunternehmen und Verbände jetzt noch einbringen. Der Definitionsprozess basiert grundsätzlich auf den sogenannten „ESG-Kriterien“ (Environment, Social, Governance). Somit bezieht sich der Begriff der „Nachhaltigkeit“ nicht nur auf Energie- und Klimazielvorgaben, sondern auch auf soziale Aspekte und Governance-Kriterien. Eine durch die EU-Kommission gefundene Definition existiert noch zu keinem der drei Kriterien. Überdies müssten diese ohnehin vom Europäischen Parlament beschlossen werden. Auch hier wäre es für die Finanzwirtschaft dringend geboten, sich mit Fachexpertise in die parlamentarische Diskussion einzubringen. Immerhin ersetzen dann später alle gefundenen Begrifflichkeiten rund um die Nachhaltigkeit die jetzt vorhandenen.

Der Aktionsplan zielt darauf ab, Kapital nach politischen Maßgaben zu lenken, nämlich vermehrt in Richtung nachhaltige Investitionen. Dieses Ziel wurde auf den Weg gebracht, um die Klima- und Energieziele der EU bis 2030 zu verwirklichen, wofür dieses Kapital dringend benötigt wird. Erste Berechnungen deuten auf jährlich 180 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen hin, womit das heutige Volumen um ein Vielfaches überstiegen würde.


Zielvorgaben und Maßnahmen des Aktionsplans „Sustainable Finance“

1. Kapital in nachhaltige und integrative Investitionen lenken

Maßnahme 1: EU-Klassifikationssystem („EU-Taxonomie“) für nachhaltiges Handeln, eindeutige Definition der „Nachhaltigkeit“, maßgebliche Definition für alle Marktteilnehmer

Maßnahme 2: Normen und Labels für nachhaltige Finanzprodukte, EU-Normen und -Labels für nachhaltige Finanzprodukte als Entscheidungshilfe für Kleinanleger

Maßnahme 3: Förderung nachhaltiger Investitionen, gebündelte EU-Investitionsförderung in nachhaltige Projekte (EU-Investmentfonds mit Haushaltsgarantie)

Maßnahme 4: Nachhaltigkeit bei der Finanzberatung, neben den Anlagezielen und der Risikofreudigkeit der Anleger sollen zukünftig deren Präferenzen zur ESG-Nachhaltigkeit berücksichtigt werden

Maßnahme 5: Nachhaltigkeitsbenchmarks

2. Risikomanagement

Maßnahme 6: Nachhaltigkeit in Marktanalysen und Ratings. Die Methoden von Marktanalysten und Ratingagenturen für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Unternehmen sollen nachvollziehbarer und transparenter werden

Maßnahme 7: Nachhaltigkeitspflichten institutioneller Anleger und Vermögensverwalter

Maßnahme 8: Aufsichtsvorschriften für Banken, Versicherungen und Pensionsfonds, Klima- und umweltrelevante Risiken in den Aufsichtsvorschriften sollen zukünftig stärker berücksichtigt werden, ohne die risikobasierte Art der EU-Aufsicht zu gefährden

3. Transparentere und langfristigere Finanz- und Wirtschaftstätigkeit

Maßnahme 9: Offenlegung: Anleger und „Interessenträger“ sollen die „langfristige Wertschöpfung“ und „Exponierung gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken“ von Unternehmen leichter bewerten können

Maßnahme 10: Nachhaltige Unternehmensführung und kurzfristiges Denken am Kapitalmarkt: unangemessener, kurzfristiger Druck der Kapitalmärkte erschwert langfristig ausgerichtete Unternehmensstrategien, dadurch werden umweltrelevante und soziale Risiken für Unternehmen ignoriert


Sustainable Finance Klassifizierungsrahmen

Ein zukünftiger Sustainable Finance-Klassifizierungsrahmen ist die Grundlage für die Entwicklung von weiteren Standards. Damit die Tätigkeiten von Unternehmen als „ökologisch nachhaltig“ klassifiziert werden, müssen zukünftig vier von sechs Umweltzielen erfüllt werden. Dabei dürfen sie kein anderes Ziel „erheblich“ beeinträchtigen. Die Unternehmen müssen die „technischen Evaluierungskriterien“ dazu erfüllen und einen definierten Mindestschutz einhalten.

Die sechs Umweltziele:

1. Klimaschutz: Vermeiden oder Verringern von Treibhausgasemissionen oder Stärkung deren Abbaus. Stattdessen Erzeugung oder Nutzung erneuerbarer Energien, Investitionen in den Ausbau von Stromnetzen und von „sauberer Mobilität“.

2. Anpassung an den Klimawandel: Verringerung der negativen Auswirkungen des aktuellen oder künftig zu erwarteten Klimas und Verhinderung einer Steigerung oder Verlagerung der negativen Auswirkungen des Klimawandels

3. Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen

4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling: Effiziente Nutzung von Rohstoffen in der Produktion und Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Produkten

5. Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung

6. Schutz gesunder Ökosysteme: Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt, z.B. durch Naturschutz und nachhaltige Landbewirtschaftung


Sustainable Finance Strategie der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat einen „Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung“ ins Leben gerufen und dieser hat am 25. Februar 2019 folgenden Beschluss gefasst: „Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) werden gebeten, in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie eine Sustainable Finance-Strategie zu entwickeln. Damit soll Deutschland zu einem führenden Sustainable Finance-Standort weiterentwickelt, die Diskussions- und Umsetzungsprozesse auf nationaler, europäischer und globaler Ebene unterstützt und ein Beitrag für einen strukturierten, gebündelten Stakeholder-Dialog geleistet werden.“ Als erster Schritt zur Entwicklung und Umsetzung der Sustainable Finance-Strategie wurde ein Sustainable Finance-Beirat mit Beteiligung interessierter Ressorts, Teilnehmer/innen aus Finanzwirtschaft, Realwirtschaft, Zivilgesellschaft (z.B. der World Wildlife Fund) und Wissenschaft gegründet, der zurzeit an einem Eckpunktepapier arbeitet.

In diesem 14seitigen Dokument wird „Sustainable Finance“ wie folgt definiert:

Unter Sustainable Finance versteht der Beirat die Befähigung des gesamten Finanzsystems, die Transformation der Wirtschaft zu einer zukunftsfähigen Wertschöpfung im Rahmen der planetaren Grenzen und unter Achtung sozialer und menschenrechtlicher Standards zu realisieren. Dies umfasst die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken im Finanzsystem. Die Einbeziehung aller Akteure und Assetklassen bildet dabei die Grundlage der Arbeit des Beirats.“

Das Leitmotiv der deutschen Sustainable Finance Strategie ist „die effektive und effiziente Durchdringung aller Bereiche und Akteure des bestehenden Finanzsystems, um Transparenz herzustellen, Risiken zu identifizieren und zu managen und Finanzströme entsprechen strategisch zu steuern.“

Folgende deutsche Besonderheiten sollen in dieser Strategie Berücksichtigung finden:

·      Exportorientierung

·      Kombination aus Mittelstand und Kapitalgesellschaften

·      Teilintegrierte Wertschöpfungsketten von Grundstoffen/Halbzeug zur Veredelung

·      Rolle der Banken- und Kreditfinanzierung von Unternehmen und Gesellschaft

·      Spezifisches deutsches Bankensystem

·      Spezielle Altersvorsorgestrukturen

·      Sparneigung der Bevölkerung

Die Einbeziehung und Berücksichtigung aller Akteure und Assetklassen bilden die Grundlage der deutschen Sustainable Finance Strategie. Dementsprechend umfasst ihre Zielgruppe alle Akteursgruppen, Anlageklassen, Prozesse, alle Themen und Dimensionen. Eine sachgerechte Identifikation der Maßnahmen sei unabdingbar. Privatkunden seien dabei auch durch die Kommunikationskanäle des Finanzsystems zu adressieren, „um die Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft zur Sicherung der Lebensgrundlagen erfahrbar zu machen und systemische Verbindungen herzustellen.“ Vor dem Hintergrund der Zielgruppen sei Sustainable Finance auch als Kommunikationsaufgabe zu sehen.

Bund, Länder und Kommunen sollen als Finanzmarktakteure zentrales Element der Sustainable Finance-Strategie sein. Ihre Aufgabe ist es zukünftig, „das eigene Handeln sowie das verbundener Institutionen mit übergreifenden Politik- und Nachhaltigkeitszielen in Einklang zu bringen.“ Dazu gehören ein „klares Bekenntnis aller Akteure und Institutionen des öffentlichen Sektors in Deutschland, die in relevanter Größenordnung Finanzmarktgeschäfte betreiben oder Relevanz für den Finanzmarkt haben, zur Zielsetzung und zu ambitionierten Zielwerten der SF-Strategie“.

Der Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung definiert für sich sogar einen Bildungsauftrag, dem folgende These zugrunde liegt: „Der Wissensstand in der Bevölkerung über den Einfluss und das transformative Potenzial des Finanzsystems auf Umwelt und Gesellschaft ist niedrig. Die Sustainable Finance Strategie beinhaltet Vorschläge, um diesen Wissensstand zu Sustainable Finance zu erhöhen.“ Darüber hinaus sollen speziell für Privatkunden Strategien erarbeitet werden, um das Bewusstsein und die Nachfrage nach „nachhaltigen“ Finanzprodukten zu erhöhen.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020, mit der sich deutsche Medien und Politik bislang überraschend wenig befasst haben, soll für ein globales Gipfeltreffen genutzt werden, in dem die Sustainable Finance Strategie das zentrale Thema darstellt. Als Finanzinstitut sich erst zu diesem Zeitpunkt mit den Auswirkungen dieser Strategie auf das Tagesgeschäft zu befassen, dürfte deutlich zu spät sein.

Carsten Mumm, CFA

Kapitalerhalt, Vermögensaufbau und Risikomanagement gehen jeden an!

5 Jahre

Die Finanzindustrie sollte das Thema Sustainable Finance als Chance begreifen. Es kommt sowieso, das allgemeine Bewusstsein in Politik und Gesellschaft für Nachhaltigkeit & Co. steigt rasant. Die Institute, die sich rechtzeitig über ihre eigene nachhaltige Positionierung Gedanken gemacht und diese auch erkennbar implementiert haben, haben einen enormen zeitlichen Vorteil. Zudem bringt es eine völlig neue Dimension zur Bewertung von Finanzdienstleistern und deren Services ins Spiel, bspw. für Asset Manager. Jahrhundertelang ging es ausschließlich um das Verhältnis von Rendite, Risiko und Liquidität. Mit der Nachhaltigkeit kommt erstmals ein weiterer Aspekt hinzu, mit man sich vom Wettbewerb unterscheiden kann - wenn man‘s richtig macht...

Frederik Linthout

Family Office / Sailor

5 Jahre

Ein wichtiges und aktuelles Thema, bei dem aber die risikobasierte Eigenkapitalhinterlegung der Banken nicht mit politischen Zielen vermischt werden darf!

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