Kreuzungsschaden # 1

Manchmal kreuzen sich die Wege zweier Menschen, die sich aus scheinbar nichtigem Anlass fürchterlich verkrachen. Ein Grund dafür können alte Konflikte sein, die der eine mit sich herumschleppt unbewusst auf den anderen überträgt. So wie Harald Müller, der glaubt, in seinem Mitarbeiter Jörg Schulz seinen anstrengenden Sohn zu erkennen.

Das Training kommt unter denkbar ungünstigen Umständen zustande. Eine kleine Agentur aus dem Westen Deutschlands will ein zweitägiges Teamtraining machen und dafür nach Berlin kommen. Ein Kollege nimmt den Auftrag entgegen und denkt sich, Neugebauer macht das schon.

Neugebauer telefoniert im Vorfeld mit dem Chef und merkt: Das Teamtraining soll eingebunden werden in eine Wochenendsause. Und im Prinzip geht es auch nicht um das Team, sondern um einen einzelnen jüngeren Kollegen, den der Chef Harald Müller auf dem Kieker hat. Dieser Kollege, Jörg Schulz, gibt Müller Widerworte und bringt ihm zu wenig Leistung.

Nach dem Telefonat habe ich den Eindruck, dass ich vor allem dabei helfen soll, Argumente für eine Kündigung zu sammeln, und dass sich die Truppe ansonsten auf eine zünftige Kneipentour am Freitag- und am Samstagabend freut.

 Pünktlichkeit ist eine Zier

Am Samstagmorgen sitze ich pünktlich im Seminarraum, pünktlich und alleine. Die Truppe lässt auf sich warten.

 Eine Viertelstunde nach dem verabredeten Beginn trifft das erste Auto ein, mit dem Chef und drei Kollegen an Bord. Der Chef schimpft wie ein Rohrspatz darüber, dass der zweite Wagen mit dem Rest des Teams noch nicht da ist und übergeht dabei souverän die eigene Unpünktlichkeit.

Zehn Minuten später treffen die übrigen Teilnehmer ein (man hat noch tanken müssen), und wir können loslegen.

Das Training beginnt zäh, die Kollegen kommen mühsam ins Gespräch. Nach einiger Zeit stellt sich heraus: Es gibt weniger ein Team-Problem als ein Chef-Problem. Das Team beklagt, dass der Chef nicht verlässlich ansprechbar ist. Wenn er zwischen seinen vielen Außenterminen in die Agentur kommt, hat er zwar feste Termine mit den Mitarbeitern ausgemacht, hält die aber nicht ein. Er erscheint regelmäßig zu spät und erwartet dann mit größter Selbstverständlichkeit, dass die Kollegen für ihn auf der Stelle alles andere stehen und liegen lassen.

Harald Müller gefällt nicht, wie sich dieser Tag entwickelt.

Ein Prosit der Gemütlichkeit

Am Nachmittag des ersten Tages haben wir mehr Klarheit über die Probleme, aber noch keine rechte Lösungsidee. Die Truppe bricht frühzeitig auf. Man will sich ins Nachtleben stürzen und muss sich noch umziehen.

Am Sonntagmorgen können wir den ersten Trainingserfolg verbuchen: Die Mannschaft tritt pünktlich an. Der Chef wirkt müde, aber aufgeräumt; er hat eine deutliche Bierfahne. Nicht besonders hilfreich...

Egal, wir machen uns daran, Leitlinien für die interne Kommunikation zu erarbeiten. Die Begriffe Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit spielen dabei eine zentrale Rolle. Harald Müller gesteht zähneknirschend ein, dass diese Leitlinien nicht nur für die Mitarbeiter gelten, sondern für das gesamte Team, also auch für den Chef, also auch für ihn.

Und Jörg Schulz? Jörg Schulz war bis jetzt ein Teilnehmer unter vielen, unauffällig, aber konzentriert bei der Sache. Der Chef lässt zwar zwischendurch ein paar Spitzen los, aber die hält er allgemein und richtet sie nicht offen gegen Schulz. Aus meiner Sicht ist die Zeit noch nicht reif, die Sache auf den Punkt zu bringen.

In einer Pause nimmt mich die Sekretärin der Agentur beiseite, früher mit dem Chef verheiratet und heute von ihm geschieden. Sie sagt zu mir: "Sie merken ja, dass da zwischen meinem Ex-Mann und dem Jörg was nicht stimmt. Die beiden haben sich richtig miteinander verhakt. Und wissen Sie, was dahinter steckt? Harald behandelt den Jörg wie unseren Sohn. Der ist ihm in dem Alter auch immer zu langsam und zu träge gewesen, und bei dem hat er sich auch immer aufgeregt, wenn der ihm widersprochen hat."

Zwei Herzen gehen auf

 Bingo! Da hätten wir ja schon mal eine schlüssige Problembeschreibung. Bleibt nur noch die Frage, wie wir das Problem geschickt angehen und auflösen.

 Die Lösung ergibt sich am Nachmittag, als mich Müller und Schulz von sich aus ansprechen. Sie hätten da ein Problem miteinander, sagen sie, und fragen, ob wir ein Gespräch zu dritt führen können. Na klar, das können wir.

Zu Beginn dieses Gesprächs bitte ich beide, nacheinander zu sagen, was sie aneinander schätzen. Das geht überraschend gut, und schnell wird spürbar, dass sich die beiden im Grunde von Herzen zugetan sind.

Ohne dass ich mit meinem Vorwissen gezielt steuern muss, nimmt das Gespräch die richtige Richtung. "Weil ich dich so mag, bringe ich dir von meiner München-Reise extra einen Schal vom FC Bayern mit", sagt Schulz. "Und weil ich dich so mag, will ich dich unbedingt bei meinem 50. Geburtstag dabei haben", sagt Müller. Dann sagt er noch: "Du bist wie ein Sohn für mich." Und Schulz entgegnet: "Du bist wie ein Vater für mich."

Harald und Jörg nehmen sich gerührt in den Arm...

 Sie sind zufrieden, ich bin zufrieden

Am frühen Sonntagnachmittag bricht die Truppe auf in Richtung Heimat. Man hat noch einen längeren Weg vor sich. Die Teilnehmer sind erleichtert und zufrieden, dass der Konflikt zwischen Müller und Schulz gelöst ist. Unterschwellig haben sich die Spannungen auch auf das Team ausgewirkt und auf die Stimmung gedrückt.

Ich bleibe zurück mit dem Gefühl: An seiner Unzuverlässigkeit wird der Chef nichts ändern. Aber dafür haben sich Vater und Sohn neu gefunden. Das Team hat bessere Laune, und Jörg wird seinen Job behalten.

Ich finde, das ist eine ganze Menge für ein Party-Wochenende.

 

 

 

"Kreuzungsschaden" ist eine Reihe von Beispielen, bei denen die Kommunikation durch alte, meist unbewusste Konflikte erschwert wird. Die Beispiele sind echt, die Namen und persönliche Einzelheiten nicht. Mehr zum Thema auf neugebauer-macht-das.de

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