Leadership 4.0
In den letzten Jahren krempelt ein neuer Typ von Unternehmen die Welt in einem nie dagewesenen Massstab um. Startups machen in wenigen Jahren Milliardenumsätze und lassen die „Old Economy“ wirklich ziemlich alt aussehen. Auch wenn wir nicht in einem schicken Startup arbeiten: Diese Veränderungen haben Auswirkungen auf alle Unternehmen. Die neuen Führungs- bzw. Unternehmens-Kulturen scheinen den alten etwas voraus zu haben. Wenn wir nicht aufpassen, so die Logik, dann kann es sein, dass neue Organisationen uns niedermachen- einfach deshalb, weil sie unglaublich viel effizienter sind.
Wie kriegen die das zu Stande? Betrachten wir das alles einfach mal als ein grosses Spiel, eine grosse Reality Show. Wir nehmen an einem interessanten und vor allem mega-lukrativen Spiel teil. Die Aufgabe besteht darin, ein Puzzle zusammenzubauen. Die Gewinnaussichten sind extrem hoch und sehr viel realistischer als im Lotto. Welches Puzzle wir abliefern, ist unserer Kreativität überlassen. Wir können aber auch viel Geld in den Sand setzen. Ob wir mit unserem Puzzles Geld verdienen, wird von einem Publikum bewertet, das zu Anfang nicht weiss, welche Puzzles im Rennen sind und wozu die Puzzles brauchbar sind. Das endgültige Bild entsteht erst im Lauf der Arbeit, aber es ist genügend Platz für viele Puzzles.
Diese Gegebenheiten locken natürlich viele Teams an, die teilweise mit ähnlichen, teilweise aber auch mit ganz anderen Geschäftsmodellen an den Start gehen. Um Fehlinvestitionen zu vermeiden, sollte man frühzeitig wissen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Es gibt die Möglichkeit, unsere Ideen laufend zu testen, womit wir erste Anhaltspunkte bekommen, ob der Jury das Puzzle gefallen wird; allerdings gibt es keinen wirklichen Vergleich zu den anderen Anbietern. Es kann durchaus sein, dass wir trotz positiver Bewertungen schon lange abgehängt sind. Entscheidend ist die fatale „Alles-oder-Nichts-Bedingung“, anders ausgedrückt: „The winner takes it all.“ Ein zweiter Sieger kommt mit deutlichen Abschlägen vielleicht auch noch ins Ziel, aber darunter gibt es fast nichts mehr. Da sie Spielfelder so lukrativ sind, spielen wir immer gegen den Rest der Welt. Geschwindigkeit ist überlebenswichtig.
Zur Fertigstellung unseres Puzzles brauchen wir viele Puzzlesteine. Wir müssen Mitspieler anheuern, die die jeweils benötigten Puzzlesteine („Chips“) mitbringen. Dabei gibt es Champions, die im Besitz von äusserst wertvollen „Blue Chips“ sind, für die es viel Nachfrage gibt. Wir stehen hinsichtlich der Talente in weltweiter Konkurrenz, weil die Chips in ganz unterschiedlichen Puzzles verwendet werden können.
Die Spieler kennen die Situation und die Gewinnmöglichkeiten. Sie wissen, dass sie in kurzer Zeit sehr reich werden, wenn das gemeinsame Puzzle gewinnt. Die beste Strategie für einen Spieler besteht ganz klar darin, die eigenen Chips an das Team zu verkaufen, das ihnen die besten Erfolgsaussichten bietet. Am liebsten einem „Unicorn“-Puzzle (das ganz schnell in den Milliardenbereich hineingeht). Champions können sich aussuchen, in welcher Mannschaft sie spielen wollen und sie werden fast jeden Tag mit märchenhaften Angeboten von Headhuntern umgarnt. Das macht die Sache etwas schwierig. Wenn wir mehrere Blue Chips in unser Team holen können, dann steigern wir damit auch unsere Attraktivität: Alle wollen was lernen, und lernen kann man am besten von den Champions.
Ein oft unterschätzter, aber entscheidender Punkt ist, dass der Gewinn aus unseren Geschäften durch eine Win-Win-Situation entsteht. Niemand wird betrogen, niemand wird über den Tisch gezogen. Der Gewinn ist einfach ein gerechtfertigter Anteil an den riesigen Effizienzsteigerungen, die vielen Menschen zugutekommen. Alle sind also davon überzeugt, die richtige Sache zu verfolgen. Das führt zu einem “Conquistadoren-Effekt“: Ein verschworenes Team macht sich auf, eine neue Welt zu erobern, unter vielen Abenteuern, extremen Mühen, aber den Blick immer fest auf Eldorado gerichtet. Der Stoff für eine ultrahohe Motivation der Mitspieler. Die früher sehr prominente Frage aus dem Führungstraining: „Wie kann ich meine Mitarbeiter motivieren?“ wirkt hoffnungslos antiquiert. Niemand muss hier motiviert werden.
Aber wie kann man in einer solchen Situation führen? Man ist geneigt, an Schwarm-Intelligenz zu glauben, an führungslose, selbstgesteuerte Teams. Aber viele gut gemeinten und ernsthaften Versuche haben gezeigt: Das funktioniert nicht. Führungskräfte werden nach wie vor gebraucht. Aber wie kann man die für Führung notwendige Autorität gewinnen? Die Champions können Führungskräfte jederzeit gegen die Wand fahren lassen, weil sie erstens ziemlich clever sind und zweitens in vielen Bereichen deutlich mehr können. Sowohl das Gesamtpuzzle wie auch die einzelnen Teilpuzzles sind so komplex, dass Führungskräfte nur noch sehr beschränkt durchblicken. Herrschaftswissen gibt es nicht mehr. Und „virtuelle Allwissenheit“ beschert uns Wissen zum Nulltarif aus dem Internet.
Um führen, um Einfluss ausüben zu können, brauchen wir Autorität. Die Grundbedingung für Autorität ist eigentlich ganz einfach und hat sich nicht geändert: Alles tun, um Erfolg zu garantieren. Aber wie macht man das in einer solchen Umgebung? Im Wesentlichen gibt es vier Prinzipien. Erstens: Den Champions dienen, damit sie weltmeisterliche Leistungen erbringen können. Erfolgreiche Fussballclubs haben die besten Ärzte, Trainer, Köche, Psychologen – alles Service-Personal für die Spieler. Alle Steine aus dem Weg räumen, jeden Tag höchste Einsatzfähigkeit sicherstellen. Immer das Ohr am Puls haben, immer erkennen, was sie brauchen. Zweites Prinzip: Erfolg entsteht im System. Die Aufgabe der Führungskraft: Bedürfnisse der Kunden genau erfassen, diese Bedürfnisse in Konstruktionen, diese wiederum in Arbeitsschritte übersetzen und die Schritte koordinieren. Die Führungskraft muss Komplexität handhabbar machen, Richtung geben, Ziele formulieren, optimale Abstimmung, optimales Teamwork sicherstellen. Dazu sind hohe Kompetenzen in beiden Grunddimensionen wichtig: Intelligentes technisches Wissen und jede Menge Sozialkompetenz. Prinzip drei: Kreativität entwickeln. Kreativität braucht eine sensible Balance zwischen Freiheit und Koordination, zwischen Ideen und Regeln. Das funktioniert nur in einer hoch entwickelten Teamkultur. Tolle Produkte sind nicht das Werk von Einzelnen, sondern entstehen aus den Beiträgen von vielen. Prinzip vier ist vielleicht das Wichtigste: Führungskräfte müssen Vision und Werte vorleben. Visionen gehen im zähen Tagesgeschäft oft verloren, der Weg ist weit, es gibt Rückschläge, die Dinge laufen nicht so wie geplant und es ist nie sicher, ob wir das Ziel erreichen werden. Der entscheidende Wesenszug von erfolgreichen Innovatoren ist deshalb, den Glauben an das Ziel hochzuhalten. Wenn der Anführer auch nur den leisesten Zweifel an Eldorado erkennen lassen, dann bricht die Meuterei los: Niemand will seine besten Jahre für ein Hirngespinst opfern. Wenn der Anführer nicht bereit ist, die Nacht durchzuarbeiten, um ein Problem zu lösen, dann werden es seine Leute auch nicht tun. Extreme Disziplin im Vorleben der Werte ist gefordert, das ist die Lektion von Hochleistungs-Teams.
In traditionellen Arbeitswelten verfügten die Mitspieler nur über wenige, eher geringwertige Puzzlesteine. Es gab deutlich mehr Anbieter als Interessenten. Die Anbieter waren gezwungen, ihre Steine zu fast jedem Preis zu verkaufen. Die Welt war relativ statisch und Wissen teuer. Alleine die Führungskräfte waren im Besitz des Wissens, wie Puzzlesteine bearbeitet werden und zusammengefügt werden mussten, und am besten funktionierte alles, wenn die Arbeit einem festgefügten Rhythmus folgte, von dem es keine Abweichung geben durfte. Ideen von Mitarbeitern waren da eher störend. Und bei grossem Machtgefälle zwischen Offizieren und Soldaten konnten sich Offiziere ein hohes Mass an Menschenverachtung leisten.
Schön, dass uns neue, frische Unternehmen herausfordern, es anders zu machen. Wir lernen gerade, dass es unglaubliche Möglichkeiten gibt, dass wir viel mehr können, als wir gedacht hatten und dass unglaublich viele spannende Möglichkeiten auf uns warten – wenn wir uns richtig organisieren.
Interim Manager , Logistic Expert, Projekt Manager, Business Consultant
6 JahreSuper Artikel zu deinem Kernthema, VG Elmar