Lesetipps anlässlich der Leipziger Buchmesse

Lesetipps anlässlich der Leipziger Buchmesse

VON RUDOLF MOTTINGER

Die beste Literatur in diesem Frühjahr

Am 17. März startet die diesjährige Leipziger Buchmesse. Grund genug, einen Blick auf die Neuerscheinungen in diesem Frühjahr zu werfen. Hier ein paar Empfehlungen:

Orhan Pamuk: „Diese Fremdheit in mir“ (Hanser). Kann man die falsche Frau heiraten und trotzdem die große Liebe finden? Mevlut ist Straßenverkäufer in Istanbul, als er sich Ende der 1960er Jahre auf der Hochzeit seines Cousins in die jüngere Schwester der Braut verliebt. Drei Jahre lang schreibt er ihr Liebesbriefe nach Anatolien. Doch dann schickt man ihm die ältere Schwester. Pflichtbewusst heiratet Mevlut Rayiha, und ausgerechnet ein Jugendfreund nimmt seine Angebetete zur Frau. Die beiden Familien leben drei Jahrzehnte in enger Verbundenheit, doch dann nimmt ihr Schicksal eine dramatische Wende. Istanbul aus der Sicht kleiner Leute.

Kamel Daoud: „Der Fall Meursault“ (Kiepenheuer & Witsch). Der alte Mann, der Nacht für Nacht in einer Bar in Oran seine Geschichte erzählt, ist der Bruder jenes Arabers, der 1942 von einem gewissen Meursault am Strand von Algier erschossen wurde – in einem der berühmtesten Romane des 20. Jahrhunderts. 70 Jahre später, mit all dem Ärger, der Angst und Frustration eines Lebens im Schatten dieses Todes, gibt der alte Mann seinem Bruder seinen Namen zurück. Der Araber aus Camus’ Roman „Der Fremde“ bekommt so eine Identität und eine Geschichte. Ein großer Roman darüber, wie die Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, und über die ungebrochene Kraft der Literatur, eine tiefere Erkenntnis, eine verborgene Wahrheit ans Licht zu bringen.

David Mitchell: „Die Knochenuhren“ (Rowohlt, erscheint am 11.3.). An einem verschlafenen Sommertag des Jahres 1984 begegnet die junge Holly Sykes einer alten Frau, die ihr im Tausch für „Asyl“ einen kleinen Gefallen tut. Jahrzehnte werden vergehen, bis Holly Sykes genau versteht, welche Bedeutung die alte Frau dadurch für ihre Existenz bekommen hat. Der Roman folgt den Wendungen von Holly Sykes‘ Leben von einer tristen Kindheit am Unterlauf der Themse bis zum hohen Alter an Irlands Atlantikküste, in einer Zeit, da Europa das Öl ausgeht. Ein Leben, das gar nicht so ungewöhnlich ist und doch punktiert durch seltsame Vorahnungen, Besuche von Leuten, die sich aus dem Nichts materialisieren, Zeitlöcher und andere kurze Aussetzer der Gesetze der Wirklichkeit.

Stewart O’Nan: „Westlich des Sunsets“ (Rowohlt, erscheint am 26.3.). Ein fesselnder Roman über die Traumfabrik Hollywood und die letzten drei Lebensjahre des berühmten amerikanischen Schriftstellers Francis Scott Fitzgerald („Der große Gatsby“). Als er einundvierzigjährig in Hollywood ankommt, scheint seine Alkoholsucht unbezähmbar, seine Frau Zelda lebt, mit einer offenbar unheilbaren bipolaren Störung, in einer psychiatrischen Klinik in Montgomery, das Verhältnis zu seiner Tochter Alabama ist schlecht. Eine universelle Geschichte über den Kampf des Künstlers um sein kreatives Potential, gegen die Nichtigkeit des Lebens und die Macht des Todes, aber auch über die persönliche Tragik eines Mannes, der alles hatte, Reichtum, Ruhm, Glück, alles verlor, und am Ende seines Lebens um seine persönliche Integrität kämpfen muss.

Warlam Schalamov: „Wischera“ (Matthes & Seitz). „Am 19. Februar 1929 wurde ich verhaftet. In diesem Tag und dieser Stunde sehe ich den Beginn meines gesellschaftlichen Lebens – die erste wahre Prüfung unter harten Bedingungen.“ Warlam Schalamow war noch keine 22 Jahre alt, entschlossen, sein Leben in den Dienst seiner politischen Ideale zu stellen, als er verhaftet wurde und im Butyrka-Gefängnis anderthalb Monate in einer Einzelzelle verbringen musste. Wischera sind die von Schalamow als „Antiroman“ bezeichneten Erinnerungen an seine erste Verhaftung und an das Zwangsarbeitslager am Fluss Wischera im Nordural, in dem er drei Jahre verbrachte.

Ali Smith: „Beides sein“ (Luchterhand, erscheint am 21.3.). In ihrem neuen Roman verbindet sie zwei Leben, die über 500 Jahre auseinanderliegen: Da ist die Geschichte von George, einem Mädchen von heute, das um seine ganz plötzlich verstorbene Mutter trauert. George hält ihre Erinnerungen fest, vor allem die Reise nach Italien, als sie mit ihrer Mutter und ihrem kleineren Bruder Henry den Palazzo Schifanoia in Ferrara besuchten, der mit Fresken ausgemalt ist. Der Künstler der schönsten Fresken in diesem „Palast gegen die Langeweile“ aus dem 15. Jahrhundert war Francescho del Cossa, dessen Werdegang zum Hofmaler bei Borsa d’Este alles andere als einfach war und dessen ungewöhnliche Geschichte auf verblüffende, höchst vergnügliche Weise auf die des Mädchens George trifft.

Joseph O’Neill: „Der Hund“ (Rowohlt, erscheint am 22.4.). 2007, kurz vor Beginn der internationalen Finanzkrise, begegnet ein New Yorker Anwalt, dem das Lebensglück gerade abhanden gekommen ist, einem alten Studienfreund. Spontan nimmt er dessen Angebot an, in Dubai das immense Familienvermögen eines libanesischen Clans zu verwalten. Er hofft auf einen Neuanfang in der modernsten Stadt der Welt. Doch bald dämmert ihm, dass er vielleicht eine Hölle gegen eine andere eingetauscht hat. O’Neill beschreibt die Demontage eines ganz normalen Zeitgenossen, der keineswegs zu gut ist für diese Welt, der für sein Glück kämpft und rackert und lügt und betrügt, aber trotzdem an ihr scheitert.

Irene Némirovsky: „Pariser Symphonie“ (Manesse, erscheint am 25.4.). Eine geheimnisvolle Prophezeiung schickt den jungen Russen Sascha auf die lebenslange Suche nach seiner großen Liebe. Aline steht vor der gleichen folgenschweren Entscheidung, die ihre Mutter Jahre zuvor zu treffen hatte. Hélène wird von den Geistern der Vergangenheit verfolgt – und tut alles, um sie abzuschütteln .Auf kleinstem Raum entwirft Némirovsky das präzise Porträt einer langen, in den Mühen des Alltags erstarrten Ehe, einer zerbrechlichen ersten Liebe oder einer tiefen Freundschaft, die das Leben prägt. Vielschichtig und unberechenbar sind die Charaktere, deren Sehnsüchte und Leidenschaften sie ausleuchtet ...

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http://www.mottingers-meinung.at/?p=17901

Wien, 29. 2. 2016

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