Lieferkettengesetz in den Kaffeeanbau
Alle Menschen müssen und sollen von ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt so bestreiten können, dass ein menschenwürdiges und nachhaltiges Leben möglich wird. Das, was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, scheint in der realen Welt nicht zu funktionieren. Daher braucht man rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Beteiligten in Wirtschaftsleben dazu zwingen, Mindeststandards in der Produktionsketten einzuhalten. Die Initiative „Lieferkettengesetz“ versucht genau das zu erreichen. Das Gesetz steht kurz davor, von der Bundesregierung beschlossen zu werden. Aber welche Wirkung (positive, negative oder keine) würde ein LKG in Kaffeeanbaugebieten entfalten, wo der informelle Sektor dominiert?
Die Formalität einer Volkswirtschaft setzt rechtlichen Rahmenbedingungen voraus, bei den sich allen Teilnehmer in wirtschaftlichen Kreislauf unterziehen müssen. Je nach Rechtsform müssen die Firmen ein Regelwerkt an Gesetze einhalten, die ihnen nicht nur den Status legalen und formellen Wirtschaftsakteure verleiht, sondern auch vor Willkür anderen Wirtschatsteilnehmer schützt. Der formelle Sektor einer Volkswirtschaft bezahlt Steuer, Mitarbeiter und Angestellten unterliegen eine gewisse Soziale Sicherheit (auch wenn das Niveau nicht dem nordeuropäischen entspricht). Keine Frage: Hier gibt es auch prekäre Arbeitsverhältnisse. In der Kaffeeproduktion findet man auch solchen formellen Firmen, sie bilden großen Plantagen agroindustriellen Produktion (in Form von AG oder GmbH) Genossenschaften und auch kleinen Familienbetriebe.
Parallel zu diesem Universum koexistiert eine andere Welt, den informellen Sektor. Die Informalität ist in vielen Ländern des globalen Südens ein „modus vivendi“, sie ist nicht neu, sondern besteht schon seit Jahrzehnten. Die Menschen, die in informellen Sektor tätig sind, leben von dem, was sie von Tag zu Tag verdienen; in informellen Wirtschaftseinheiten, die nicht bei der Steuerverwaltung registriert sind und einem breiten Spektrum informeller Arbeit umfassen . So gesehen, ist der informelle Sektor ein soziales Sicherheitsventil, das Güter, Dienstleistungen und Beschäftigung hervorbringt. Sie unterliegen keine rechtlichen Vorschriften, keine geregelten Arbeitsverhältnisse, kein soziale Sicherungssystem, keine Möglichkeit zu irgendeiner Form von Organisation. Der Sektor agiert außerhalb des geltenden Rechtsystems. Die Arbeitsbedingungen sind sehr prekär, die Produktivität sehr gering, die Qualifikationen der Arbeiter sind ebenfalls mangelhaft, Sicherheits- und Hygienevorschriften sind inexistent. Der informelle Sektor macht in Afrika (nach ILO Angaben) ca 90% der Volkswirtschaft, in Mexiko 60%, in Peru 75%, in Honduras um die 80%.
In der Wertschöpfungskette von Kaffeeanbau -und -Produktion agieren verschiedene Unternehmen, die unabhängig von ihrer Geschäftszweck, handels- arbeitsrechtlichen Vorschriften und einen Rechtssystem unterliegen wie Genossenschaften, GmbH oder teilweise auch AG, Einzelunternehmen oder Klein / Groß-Familienbetriebe. Sie bilden den formellen Sektor in Kaffeeanbau und er ist klein. Die Mehrheit dieser Schöpfungskette bilden die Kleinkaffeeproduzenten und sie sind überwiegend informell. Sie haben nicht klar definierten Eigentumsverhältnis auf das Land, das sie bewirtschaften. Einige haben Nutzungsrechte, andere besitzen Belege über das Eigentumsverhältnis, diese werden aber nirgendwo registriert. Ihre Produktionseinheit ist auch nicht bei irgendeiner Behörde als Gewerbe eingetragen, sie sind als Wirtschaftseinheit nicht erfasst, bezahlen keine Steuer, sind nicht kreditwürdig und haben keinen Zugang zu einem Sozialsicherungssystem. Die Produktivität in diesen Bereich ist niedrig, das Qualifikationsniveau ist auch gering.
Als letztes Glied in der Wertschöpfungskette sind die Arbeiter oder Tagelöhner in Kaffeeanbau. Nach Informationen der Gewerkschafschule aus Kolumbien (Escuela Nacional Sindical) haben die Tagelöhner oder Peones keine formellen Arbeitsverhältnisse, sie verkaufen ihrer Arbeitskraft an den Meistbietenden Kaffeebauern durch mündliche und informelle Verträge, teilweise auch an Farmer oder Coyotes, die sie weiter ausleihen. Sie stellen ihre Arbeit tageweise, auf Tagesbasis oder im Akkord. In der Regel liegen ihre Löhne nicht über den gesetzlichen Mindestlohn und nur selten werden ihnen die gesetzlichen geltenden arbeitsrechtlichen Vorschriften gewährt. Diese Peones, die ihrer Arbeitskraft informell anbieten, arbeiten für Kaffeebauern, die auch in der Informalität agieren. Die Einhaltung von Mindestkriterien sowie das LKG anstrebt, ist unter diesen Umständen sehr unwahrscheinlich, wenn sie überhaupt wahrgenommen werden.
Das LKG versucht deutsche Firmen in die Pflicht zu nehmen darauf zu achten, dass es entlang der Lieferkette Sozial und Umweltstandard eingehalten werden. Für die Einhaltung eines Lieferkettengesetz ist die Formalität wichtig. Ein LKG wird eine formelle Firma zwingen ihren wirtschaftlichen Kreislauf zu schließen, in dem sie striktere Vorschriften einführen, arbeitsrechtliche Regelungen umsetzen oder Umweltstandard als Grundlage ihrer Produktion festlegen. Die Kontrolle ist auch einfacher. Formellen Firmen in den Kaffeeanbau haben einen besseren Ausgangspunkt für die Erfüllung eines LKG als alle anderen. Für eine Kaffeegenossenschaft oder ähnliche Zusammenschlüsse ist die Situation kompliziert, obwohl sie formelle Firmen sind. Eine Genossenschaft ist formell eingetragen und verpflichtet die Gesetzliche Regelung zu befolgen. Allerdings gelten diese für die eigene Belegschaft. Zwischen einem Kaffeebauer und einer Genossenschaft bestehen keine Arbeitsverhältnisse, sondern Assoziativität-Verhältnis. D.h. die Bauern – Zulieferer sind organisiert aber frei in ihren Entscheidungen, zum Beispiel formell zu werden. Die Genossenschaften können die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften für die eigenen Betriebe garantieren. Sie können aber nicht gewährleisten, dass ihre Mitglieder („Zulieferer“) die Erfüllung von Anforderung eines LKG genügen. Um eine Kontrollfunktion in diese Richtung zu übernehmen, sind die Genossenschaften nicht ausgestattet und auch nicht konzipiert. Dafür müssen die Mitglieder formell werden, die Formalität ist für den Kaffeebauern wirtschaftlich nicht attraktiv. Der Importeur wird die Lieferkette vorziehen, bei der die Einhaltung des LKG möglich ist, um strafrechtliche Probleme zu entgehen. Das können die Mehrheit der Genossenschaften leider nicht und die Mehrheit der Kleinproduzenten auch nicht.
Ein LKG wird positive Effekte auf den formellen Sektor haben bzw. Lücken in diesem Sektor schließen, davon bin ich überzeugt. Allerdings wird dadurch die Hürde für den Zugang zur Formalität erhöht. Für die informellen Kaffeebauern wird die Formalität immer schwieriger, teuer, unattraktiv, bürokratischer. Und damit könnte das LKG sein Ziel verfehlen bzw. einige wenige favorisieren, Konzentrationsprozesse einleiten und die breite Masse außen vor lassen.