Luxus, Nische und die Folgen
Viele Insider sprechen mittlerweile vom Foto- als von einem Nischenmarkt. Ist das so? Und wenn ja, was heißt das? Lassen Sie uns gemeinsam auf die Uhr schauen, ein wenig kopfrechnen und schauen, was dabei herauskommt.
Blicken wir mal über den Tellerrand, nicht weit weg, in die Schweiz. Dort sammelt sich bekanntlich die weltweite Uhrenmanufaktur Elite, eine Branche, die nach zwischenzeitlichen existenziellen Tiefen eine gesunde Stabilität mit leichtem Wachstum aufweist. Sich aber ungewöhnlich bescheiden selbst als “Nischenmarkt” einstuft. Der globale Uhrenmarkt setzte in diesem Jahr umgerechnet knapp 60 Milliarden Euro um. 40 Prozent des Marktes werden den Luxusuhren zugeschrieben, also etwa 25 Milliarden Euro. Das behalten wir mal im Hinterkopf.
Der globale Fotokamera-Markt kommt in diesem Jahr auf knapp 8 Millionen Stück (CIPA), von denen etwas über 5 Millionen Stück “Interchangeables” sind, also Kameras, bei denen die Objektive gewechselt werden können. Diese Anzahl ist höherpreisig (Preis fast ohne Ausnahme vierstellig). Rechnen wir mit einem Durchschnittspreis dieser Kamera-Gattung von 1.500 Euro, so landen wir beim Umsatz bei etwa 7,5 Milliarden Euro – das ist weniger als ein Drittel im Vergleich zum Luxusuhren-Segment. Nach dieser Berechnung heißt das: Wenn die Luxusuhren schon als Nische gelten, so sind es Kameras erst recht.
Erstaunlich ist die eine oder andere Parallele beider “Luxus-Nischen”. Beispielsweise ihr eher schwacher Nutzen: Man braucht keine viele tausend Euro teure Uhr, um die Uhrzeit ablesen zu können; und man braucht keine viele tausend Euro teure Kamera, um hochwertige Fotos oder Videos zu machen. Der Wert der jeweiligen Güter kommt also nicht aus seiner Funktion, sondern aus dem Wert, der von Produktqualität (das Sachliche) und Marke (das Emotionale) auf den Besitzer übergeht – und ihn stolz macht.
Dass diese Logik bei Uhren gut funktioniert, hat der Markt bewiesen: Sechsstellige Summen für große Komplikationen sind keine Seltenheit. Es hat also eine hohe Faszination, Uhren zu kaufen und vor allem zu besitzen. Ich spreche dabei bewusst in der Mehrzahl, denn die Uhrenindustrie lebt von Sammlern, die auf der Suche nach ausgefallenen und limitierten Objekten der Begierde zwischenzeitlich zu fokussierten Jägern werden.
Das gilt in gleichem Maße (noch) nicht für den Kameramarkt. Ausnahme, Sie ahnen es, ist Leica, deren Modelle ziemlich häufig sofort nach dem Erwerb unbenutzt in Tresoren verschwinden. Das ist bei keiner anderen Kamera-Marke so, wenngleich die eine oder andere Analog-Ikone im Preis mächtig anzieht, wie Canon F1, Nikon F2 oder natürlich die Hasselblad-Würfel. Aber das ist alles noch kein echter Sammlermarkt. Könnte es aber werden. Nicht, weil analog so sexy ist, sondern weil Nicht-Digitales sexy ist. Vor allem bei jungen Verbrauchern.
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Ist das der neue Kern des Kamera-Marktes? Produktvorteil “nicht-digital”? Im Uhrenmarkt ist diese Transformation vollzogen: Smarte Alles-messen-Watches am Handgelenk im Alltag und beim Sport, elegante und teure mechanische Uhren bei besonderen Anlässen, im Business – oder im Tresor. Das geht sich aus, wie man in Österreich charmant sagen würde.
Aber was passiert denn dann mit all den vielen digitalen Kamera-Arbeitstieren, die in unseren Haushalten liegen und immer noch und immer weiter produziert werden? Können sie zu begehrenswerten Ikonen in einem prosperierenden Nischenmarkt werden? Nein zu sagen wäre an dieser Stelle einfach, denn exakt an diesem Punkt hinkt der Vergleich mit den Zeitmessern: Digitaluhren sind ultra-out, weil sie eben nur präzise die Zeit anzeigen, aber weder das Flair der mechanischen noch die Funktionsfülle der smarten Uhren besitzen. Das ist wie mit der CD zwischen analoger Schallplatte und Musik-Streaming, um noch einen sich ähnlich entwickelnden Markt zu bemühen. Aber zurück zu den Digitalkameras und deren Zukunft: Wie geht es weiter?
Szenario 1: Die Hersteller in Japan setzen nach wie vor primär auf technische Features als Kaufanreiz, auf die Prämisse “jedes Jahr ein neues Modell, das besser ist als das Modell davor und dieses alt aussehen lässt”, auf Cashback und sonstige Sales-Langweiler, die jegliche Begehrlichkeit im Keim ersticken. Wenn es so kommt, werden wir einen Kameramarkt nur noch so lange haben, wie es gelingt, einen genügenden (was auch immer das heißt) technischen Vorsprung vor dem Leistungsvermögen der Smartphones zu halten. Doch diese Lücke schließt sich immer mehr.
Oder Szenario 2: Die Hersteller aus dem fernen Osten pumpen ihre Marketinggelder (endlich) in die Aufladung ihrer Marken, in Design und alles, was Begehrlichkeit fördert und Sammler- wie Lifestyle-Herzen höher schlagen lässt. Beispielsweise die Aktivierung und Kommunikation der ja durchaus vorhandenen eigenen Historie, gefüllt mit unzähligen interessanten Geschichten und Produkten. Sie setzen auf Kooperationen mit anderen (Luxus- und Lifestyle-) Marken. Also auf Dinge, die Menschen faszinieren und Marken sympathisch machen. Kameramodelle einer bestimmten Marke müssen für etwas Positives stehen, etwas Einzigartiges – mit dem Käufer und Nutzer gerne sympathisieren. Geld investieren. Und mit denen sie sich gerne zeigen.
Last but not least könnte auch Szenario 3 Wirklichkeit werden: Chinesische, indische, amerikanische oder sonstige Investoren kaufen sich klangvolle, stillgelegte Markennamen wie Contax oder Minolta oder Yashica oder auch Minox, die eine Historie haben und eigentlich nur geweckt werden müssen. Zusammen mit einer Filmfabrik und heutigem Produktions-Know-how würde der “nicht-digitale Kameramarkt” eine profitable Größe erreichen. Das Pendant liefern gerade der Schallplatten- und Schallplattenspieler-Markt ebenso wie, mehrfach erwähnt, der Uhrenmarkt, dessen Entwicklung aber bereits deutlich weiter fortgeschritten ist.
Und nun? Zusammengefasst und schlussgefolgert: Ich glaube an Szenario 1, liebe Szenario 2 und hoffe auf Szenario 3.
Sehr schöner Artikel. Der einzige Hersteller der begriffen hat wie wichtig die Marke ist, ist Leica. Du hast es ja schon erwähnt sie sind bereits in der Luxusklasse und erst neulich ein analoges Modell wieder zum Leben erweckt. Die anderen Marken sind im Kern zu Profit getrieben und in den alten Verhaltensweisen gefangen. Werden somit wahrscheinlich Szenario 1 folgen und irgendwann ihr Geschäft einstellen.
Managing Director / Geschäftsführer bei Fotoprofi GmbH
1 JahrWir haben über dieses Thema, auch den Branchenvergleich, schon oft gesprochen Wolfgang. In diesem Branchenvergleich sieht man sehr schnell die Unterschiede in der Vermarktung. Einer der großen Schmuckhändler schickt mir jedes Jahr einen High-Glossy Katalog mit viel Begeisterung für die einzelnen Uhrenmarken, niemals dabei ein Cashback oder sonstiges Rabattangebot. Alle Fotohändler, da sind auch wir dabei, schmeissen mit solchen Angeboten um sich und unterbieten sich bei Idealo um kleine Euro-oder gar Centbeträge. Mein Wunsch wäre Szenario 2, aber nicht isoliert als Verhalten der Hersteller, sondern im Zusammenspiel mit leistungsfähigen Händlern. Szenario sehe ich eher als Ergänzung. Ich glaube schon sehr lange daran, dass der Kunde am Ende ein Kauferlebnis haben möchte und dass der Kauf nicht nur das Handling eines Produktes ist. Es gibt sehr viel zu tun, man muss es nur anpacken und sich trauen.
Digital können und machen wir nun schon seit über 20 Jahren
1 JahrIch glaube leider auch an Szenario 1.