Medienrelevanz: Was wir aus den Daten des Bundestages lernen können
Medien bestimmen zu großen Teilen die politische Debatte. Welche Relevanz wir einem Medium in dieser Debatte zuschreiben hängt von einer Reihe von Variablen ab: Auflage, Nutzerzahlen oder (wer quantitativer unterwegs ist) der Rang im Zitateranking. Wer in oder mit der Politik arbeitet, ordnet Berichterstattung häufig intuitiv ein. Bild ist halt irgendwie wichtiger als Tagesspiegel – oder?
Ein bislang wenig genutzter Indikator zur Messung der politischen Relevanz von Medien ist die Verwendung von medialen Referenzen durch „die Politik“ selbst. So verweisen Fraktionen im Bundestag in Kleinen Anfragen oder Anträgen regelmäßig auf Medienberichterstattung – etwa als Beleg für Thesen oder als Anlass einer Anfrage. Anders als Auflagen oder ein Zitateranking bilden sie nicht das öffentliche oder mediale Interesse ab, sondern die Berichterstattung, die tatsächlich zu politischem Handeln führt. Diese Medienreferenzen sind daher ein hilfreicher Indikator zur Beurteilung des politischen Einflusses einzelner Medien.
Diesen Indikator habe ich für die 19. Wahlperiode (2017 - 2021) ausgewertet. 11.580 Kleine Anfragen und 2.970 Anträge wurden im Bundestag gestellt, überwiegend von den Oppositionsfraktionen. Von diesen hatten 20 % (Kleine Anfragen) bzw. 3% (Anträge) mindestens einen Link in Text oder Fußnoten, der auf einen Artikel von einer von 135 identifizierten Nachrichtenwebseiten (z.B. spiegel.de) verweist.
Als Indikator sind diese Medienreferenzen natürlich nicht perfekt. Zum einen werden Kleine Anfragen und Anträge überwiegend von der Opposition gestellt, die in ihrer jeweiligen Zusammensetzung durchaus spezifische Themenpräferenzen hat. Zum anderen verweisen Politiker und politische Organisationen auch an anderen Orten auf Medienberichterstattung – nur sind diese nicht ohne weiteres umfassend auswertbar. Nichtsdestotrotz, für politisch-aktive Menschen sind Medienreferenzen als Indikator spannender als viele der klassischen Variablen von Medienrelevanz.
Top 10 referenzierte Medien
Die Liste der am häufigsten referenzierten Medien sieht merklich anders aus als die klassischen Medienrankings – auch wenn es Überschneidungen gibt. Die ersten drei Plätze gehen an spiegel.de, tagesschau.de und handelsblatt.com. Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied im Vergleich zum Zitateranking von Media Tenor. Während der Spiegel auch dort den ersten Platz einnimmt, kommt das Handelsblatt erst auf Platz 4, während die Tagesschau/ARD im 2020er Ranking gar nicht unter den ersten 20 Plätzen vorkommt. Umgekehrt sind Bild und Bild am Sonntag beide unter den Top 10 – im parlamentarischen Betrieb kommt bild.de erst auf Platz 28, hinter deutlich kleineren Organisationen wie netzpolitik.org (Platz 15).
Für das obige Ranking wurden die Top 10 der Bundestagsfraktionen (Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke, AfD) ausgewertet und dann zusammengezählt. Überraschend ist die hohe Homogenität über die Fraktionen hinweg. Die Top 8 werden von allen Fraktionen als Referenz genutzt, erst auf Platz 9 und 10 gibt es Differenzen, die vermutlich ideologischer oder thematischer Natur sind.
Als einziges Regionalmedium befindet sich der Tagesspiegel unter den Top 10. Vielleicht, weil er als Haupstatmedium einen sehr umfangreichen Politikteil hat und zudem Politikmonitoring als professionelle Dienstleistung anbietet. Dennoch: Wer politisch etwas bewegen möchte sollte überlegen, ob er besser in der Bild oder dem Tagesspiegel auftauchen möchte.
Medien vs Fraktionen
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Es gibt insgesamt eine erstaunliche Überschneidung bei der Quellenauswahl – auch wenn die Häufigkeit der Zitierung am Ende doch stark ideologisch/themenfokussiert geprägt ist. So hat die FDP als wirtschaftsliberale Partei das Handelsblatt häufiger als Quelle genutzt, als andere Fraktionen zusammen. Dennoch, von 135 identifizierten Medien wurden 81 % von mindestens 3 Fraktionen zitiert.
Interessanterweise ist die Überschneidung bei individuellen Artikeln deutlich geringer – auch wenn hier die automatisierte Auswertung teilweise zu unpräzise ist. Nur ein Artikel wird von 3 Fraktionen zitiert (der BR zur Schwarzarbeitskontrolle). 39 Artikel weitere von je 2 Fraktionen. Insgesamt werden weniger als 1 Prozent aller Artikel von mehr als einer Fraktion verwendet.
Fazit: Es kommt nicht unbedingt auf das Medium an – aber manche Medien decken die für eine Fraktion interessanten Themen deutlich besser ab.
Thematisches Ranking
Die Gesamtsicht auf die referenzierten Medien ist spannend. Für politische Praktiker stellt sich aber die Frage: Was heißt das für mein Politikfeld? Hier zeigen sich Differenzen, zu welchen Themen Zeitungen zitiert werden. Am Beispiel des Sachgebiets „Raumordnung, Bau und Wohnungswesen“ sieht man, dass sich die referenzierten Medien deutlich verschieben. Relevante Medien scheinen hier insbesondere die Süddeutsche und der Tagesspiegel zu sein.
Methodik
Die Daten für diese Auswertung wurden über die öffentliche Schnittstelle des Deutschen Bundestages abgerufen. Abgerufen wurden Kleine Anfragen oder Anträge, die in der 19. Wahlperiode veröffentlicht wurden. Die identifizierten Dokumente wurden automatisiert aus dem PDF-Format in einen maschinell auswertbaren Text transformiert. Dieser wurde mithilfe der Natural Language Processing-Bibliothek Spacy ausgewertet und Links und deren Domains identifiziert. Domains, die 5 mal oder häufiger referenziert wurden (486), wurden manuell klassifiziert (Medium, Verband, Institution, etc.).
Auch wenn mit dem Vorgehen eine überwiegend gute Datenqualität erreicht wird, gibt es einige Einschränkungen:
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