Meister des Wandels gesucht – Wer führend bleiben will, muss Technologie in sämtlichen Abteilungen verankern
„Das also ist bis auf Weiteres die neue Normalität“ – mit diesen Worten begann ich hier vor einem Jahr einen Text. Es ging unter anderem darum, dass Unternehmen in der Corona-Pandemie durch oberflächliche Digitalisierung gerade noch die Kurve kriegen wollen. Damit verbunden war der Appell, von der erzwungenen Digitalisierung rasch zum fein arrangierten Cloud-Einsatz zu kommen. Schon damals dürften viele Manager geahnt haben, dass es kein Zurück zur alten Normalität gibt. Corona war nur der besonders drastischer Beleg dafür, dass sich Unternehmen längst in einer VUCA-Welt behaupten müssen. In einem wirtschaftlichen Umfeld, das geprägt ist durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Unklarheit. Inzwischen sollte jedem klar sein, dass keine neue Normalität mehr lange Bestand hat. Die Welt verändert sich immer schneller und tiefgreifender, nicht zuletzt wegen der Digitalisierung. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür sind – bei manch berechtigter Detailkritik – die mit Hochdruck entwickelten Corona-Impfstoffe, bei der die Kombination moderner Technologien eine entscheidende Rolle spielte.
Jedes Unternehmen muss sich als Technologie-Unternehmen verstehen
Paul Daugherty, Chief Technology Officer von Accenture, postuierte vor acht Jahren: „Every Business is a Digital Business“. Wer nicht durch die Digitalisierung zerstört werden wolle, müsse selbst eine digitale Disruption auslösen. Inzwischen reicht Digitalisierung allein nicht mehr, sie dient eher als wirkungsvolles Mittel zum Zweck, um das nächste Ziel zu erreichen: „Every Business is a Technology Business“ – Unternehmen müssen Technologien besser verstehen sowie individueller kombinieren, um sich im Wettbewerb zu behaupten. Das zeigen die neuen mRNA-Impfstoffe gegen Corona, aber auch Aussagen von Industriekapitänen wie VW-Chef Herbert Diess. Er will den Autohersteller zum Tech-Konzern machen, der jede verfügbare Technologie nutzt, die weiterhilft. Zum Softwarehaus, das die Fahrzeugsteuerung sowie Connectivity selbst beherrscht. Zum Batterieproduzenten, der neue Materialien für emissionsfreie Mobilität erforscht. Zum Cloudbetreiber, über dessen Plattformen die Supply Chains seiner Zulieferer oder neue Mobilitätskonzepte und die damit verbundenen Datenökonomien organisiert werden. Diess hat verstanden: Führung in der Wirtschaft bedeutet künftig Technologieführerschaft.
In der Stunde der Wahrheit sind Meister des Wandels gefragt
Wie aber lässt sich das erreichen? Nicht ohne Grund lautet die Überschrift der Technology Vision 2021 von Accenture: „Vorreiter gesucht: Wie die Meister des Wandels den Moment für sich nutzen“. Gemeint damit ist die Organisation als Ganzes ebenso wie das Personal. Nur wenn alle im Unternehmen bereit sowie fähig sind, Chancen rasch zu erkennen und ergreifen, winkt eine glänzende Zukunft. Es gilt, die neue Normalität nicht abzuwarten, sondern als Vorreiter zu gestalten. Konventionen aufzubrechen und eine Zukunftsvision zu entwerfen, statt nur den Geschäftsbetrieb weiterzuführen. Fünf wichtige Trends dazu beleuchtet die Technology Vision 2021: Stabilere Basis – ein Neuer Digitaler Kern verbindet untrennbar Geschäfts- und Technologiestrategien; Gespiegelte Welt – intelligente Zwillinge und digital gespiegelte Real-Umgebungen unterstützen Unternehmen in vielfacher Hinsicht; Ich, der Technologe – auch ohne besondere Qualifizierung kann jeder leistungsstärkste Technologien einsetzen; Immer und überall – die Arbeitswelt verändert sich grundlegend; Vom Mir zum Wir – mit Multi-Party-Systemen (MPS) lassen sich hocheffizient Daten zwischen Einzelpersonen und Organisationen teilen.
Technologien flexibel und bedarfsorientiert in Stacks kombinieren
Die dringendste – und für technisch vermeintlich gut aufgestellte Unternehmen größte – Herausforderung dürfte die stabile Basis sein, der Neue Digitale Kern. Es geht nicht um die klassische deutsche Perfektion der Technikentwicklung. Sondern darum, alle sich anbietenden Technologien überall intelligent zu kombinieren. So flexible Baukastensystemen zu schaffen oder sich aus Systemen anderer zu bedienen. Die neue organisatorische, prozessuale sowie technische Unternehmens- und Produktarchitektur basiert auf diversen Technologie-Stacks. Dafür sind mehr technologische Entscheidungen zu treffen als je zuvor, von Cloud-Implementierungen über verschiedene KI-Modelle und eine breite Palette moderner Endgeräte bis zum Design der Hardware und Rechenleistung – jede Stack-Schicht erreicht neue Dimensionen. Im Autobau klappt die Modularisierung schon: Ist der Motor kaputt, wird nur er ausgetauscht. Das gilt es konsequent auf alle Produkte zu übertragen. Sie müssen kontinuierlich ferngewartet, per Funk-Softwareupdate aktualisiert, mit Mikroservices aufgewertet werden. Diese Kombination aus Technologien und Dienstleistungen ist schon in der Entwicklung anzulegen, damit Produkte im Einsatz weiter aufblühen können.
Verzahnung von Geschäfts- und Technologiestrategie auf stabiler Basis
Flexiblere, aufgewertete Produkte und Dienstleistungen sind das nach außen sichtbare Ergebnis dieser untrennbaren Verbindung von Geschäfts- und Technologiestrategie. Intern hinterlässt der Umbau aber noch tiefere Spuren und stellt hohe Anforderungen. Soll sich die neue Architektur an Technologie-Stacks ausrichten, ist das Problem der Legacy-IT zu lösen. Denn nur wer intern flexibel mit Daten sowie digitalen Lösungen arbeitet, kann Kunden seinen eine breite Palette anpassungsfähiger, langlebiger Angebote offerieren. Das ERP-Stack, etwa der Digital Core SAP/S4 HANA, wird zum Megathema. Per digitaler Entkoppelung sollte eine IT-Infrastruktur entstehen, in der sich die jeweils beste Lösung für eine Aufgabe nutzen lässt. Dort sind Daten und Applikationen nicht in Silos eingesperrt, kommunizieren ERP, CRM oder Produktionssteuerung reibungslos miteinander sowie mit weiteren Anwendungen. Dadurch entsteht die stabile Basis für verzahnbare, permanent anpassungsfähige Geschäfts- und Technologiestrategien, die natürlich auf alle Konzernbereiche und -töchter ausgeweitet werden muss. Dabei sorgt die eingebaute Modularität dafür, dass keine monolithischen Legacy-Systeme mehr entstehen.
Demokratisierung der Technologie gibt Mitarbeitern mehr Möglichkeiten
Dieser Umbau ist eine Herkulesaufgabe. Daher sollte sich der gesamte Vorstand mit der kompletten Bandbreite der Technologiethemen beschäftigen. Früher lag nach der Grundsatzentscheidung für ein ERP-System die Implementierung beim CFO. Jetzt prägt die Digitalisierung alle Strategie-, Produkt-, Service- und natürlich Technologiethemen – darum müssen sich alle Vorstandsmitglieder voll einbringen. Entscheidend für die praktische Umsetzung ist aber, dass die neue Philosophie im Tagesgeschäft gelebt wird und sich Bottom-up durchsetzt. Dies erleichtert der Megatrend Ich, der Technologe – quasi die Demokratisierung der Technologie. So komplex Technologie-Stacks auch werden können – viele einzelne Module sind leicht verständlich und von Laien anwendbar. Die Beschäftigten können darum selbstständig ihre Arbeit zu optimieren oder Probleme beheben, indem sie etwa kleine Roboter programmieren, die sie von eintönigen, fehleranfälligen Dateneingaben entlasten. Die IT-Abteilung kann sich auf große Projekte konzentrieren und das alltägliche Kleinklein jenen überlassen, die direkt davon betroffen sind. So werden die Mitarbeiter zu einem zentralen Bestandteil der digitalen Transformation.
IT Service Management Senior Manager bei Accenture
3 JahreModernes Service Management ist ein wichtiger Teil um den Wandel zu begleiten und in einem Unternehmen zu etablieren.