Murphy: Der Föhn braucht Strom

Murphy: Der Föhn braucht Strom

Alles, was schiefgehen kann, wird garantiert schiefgehen

Der Föhn braucht Strom

Von Edward A. Murphy

Der Föhn frisst Strom. Und die Mengen sind nicht etwa klein. Sie sind gigantisch und bewegen sich im Mega-, ja Gigawattstundenbereich. Jeder halbwegs kahlköpfige Mensch fühlt sich da natürlich völlig unschuldig. Und auch jene mit intakter Frisur schütteln ungläubig den Kopf, selbst wenn derselbige mal wieder unglaublich schmerzt; weil es föhnt. Dieser Föhn ist gemeint, der warme Wind aus dem Süden, der die Schädel zum Dröhnen, die Gartenmöbel zum Fliegen und den Schnee in den Bergen zum Verschwinden bringt. Und genau da liegt auch das Problem des Stroms: im verschwindenden Schnee.

All das weisse Zeug, das da noch meterhoch in den Alpen herumliegt, ist gespeicherter Strom. Bis sie die Schweiz am Dreiländereck verlässt, wird jede Schneeflocke, die irgendwo auf der Alpennordseite zu Boden gegangen ist, durch 15 oder 20 Turbinen gewirbelt. Und weil in den Bergen im Moment besonders viele Schneeflocken liegen, haben die Stromhändler der Stromkonzerne präventiv ihre Stauseen geleert, damit dann auch alles Platz habe. Zudem gilt bei ihnen der Grundsatz: «Leere Seen machen hohe Preise», vor allem um die Zeit zwischen Mitte März und Mitte Mai, wenn die Schneeschmelze noch nicht eingesetzt hat, das Wasser knapp ist und man die Preise für jedes einzelne Kilowattstündchen in alpine Höhen treiben kann.

Der Schnee schmilzt nicht, er sublimiert

Und dann kommt der Föhn und macht Kopfweh. Denn der warme Südwind ist nicht nur warm, sondern auch trocken, weil er seine über dem Mittelmeer aufgenommene Wasserlast südlich der Alpen abregnet und dort die Sonnenstube der Schweiz unter Wasser setzt. So schön abgetrocknet, lädt sich die warme Föhnluft nördlich der Alpen wieder mit Feuchtigkeit auf und die holt sie sich aus dem Schnee. Bei Föhnlagen kann man der Schneedecke förmlich beim Schwinden zusehen. Der Föhn gilt deshalb nicht nur als der älteste Urner, sondern auch als der effizienteste Schneeschaufler, der ohne manuelle Hilfe jede Passstrasse rasend schnell freibekommt. Leider hält er sich nicht an Termine und Arbeitszeiten.

Das Problem dabei ist, dass der Föhn den Schnee nicht einfach schmilzt und damit Bäche und Stauseen füllt. Er sublimiert ihn. Sublimation ist in der Physik der direkte Übergang vom festen Zustand in den gasförmigen, ohne Umweg über den flüssigen. Mottenkugeln können das auch. Wenn nun der Föhn so über die Alpen pfeift und den Schnee davonsublimiert, gehen bis zu 60 Prozent der Schneedecke direkt in die Luft über. Das einzige was dann noch den Bach runter geht, ist die Rechnung der Kraftwerke. Der ganze schöne Strom-Schnee regnet irgendwo im deutsch-holländischen Tiefland herunter, kinetisch und finanziell wirkungslos.

Keine Entschuldigung mehr fürs Kopfweh

Was könnte da reizvoller sein, als den Föhn einfach abzustellen? Die Tiefs und Hochs so zu steuern, dass es keine Föhnlagen mehr gibt? Dann hätte man mehr ökologischen Strom – und gleich auch weniger Kopfweh. Solches Geo-Engineering hat bei der Menschheit eine lange Tradition, ebenso wie die unerwünschten Folgen davon. Silber-Jodid in Wolken schiessen um sie abregnen zu lassen, damit Diktatoren für ihre Militärparaden schönes Wetter haben, gehört da noch zu den harmloseren Dingen. Meist hat man Flüsse um- und abgeleitet oder Meeresbuchten trockengelegt, oft mit schlimmen Folgen, ausser in Holland. In Usbekistan hat man mit den Zuflüssen des Aralsees Baumwolle angebaut. Verwehtes Salz aus dem zur Salzsteppe gewordenen See verdirbt mittlerweile die Baumwoll-Böden.

Deshalb lassen wir den Föhn lieber weiterföhnen. Und auch alle andern Geo-Engineering-Ideen zur Klimarettung soll er ruhig wegblasen. Denn ohne Föhn wäre es südlich der Alpen noch trockener und es würden noch häufiger die Wälder brennen. Und nördlich der Alpen würde einem die vielen Kopfweh-Ausreden ohne Föhn niemand mehr glauben.

Edward Aloysius Murphy (1918-1990) war Luftfahrtingenieur in den USA. Er gilt als der Entdecker von «Murphys Gesetz».

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen