Ganz in weiß
ZUM METEOROLOGISCHEN WINTERBEGINN AM 1. DEZEMBER – Schnee übt eine ganz besondere Faszination auf die Menschen aus. Die rieselnden Flocken wirken beruhigend, und die weiße Landschaft weckt auf wundersame Weise die Fotografierlust. Was macht Schnee so bezaubernd? Und warum ist er weiß?
Im Internet kursiert ein Video von einem dunkelhäutigen Geschwisterpaar, das lachend im Schnee tanzt. Auf dem Boden liegt noch keiner, aber die durch die Luft segelnden Flocken genügen, um das Mädchen und seinen kleinen Bruder in Verzückung zu versetzen. Die Geschwister sind aus Eritrea nach Kanada geflohen – und sie sehen zum ersten Mal in ihrem Leben Schnee.
Das Video macht deutlich, welch überwältigender Zauber vom Schnee ausgeht. Das gilt für Kinder, die Schnee zum ersten Mal sehen. Das gilt aber genauso für hartgesottene Bergbewohner wie die Südtiroler, die sich immer wieder aufs Neue von der weißen Landschaft faszinieren lassen.
Der Schnee, ein Ärgernis – oder doch nicht?
Sicher, für die Autofahrer ist der Schnee eine Plage: konzentriert im Schritttempo fahren, Schneeketten aufziehen, sich über unvorsichtige Verkehrsteilnehmer ärgern, manchen Blechschaden erleiden – darauf kann jeder Autofahrer gerne verzichten. Und trotzdem verzeiht man dem Schnee, dass er sich ungefragt mitten auf die Straße legt. Genauso verzeiht man ihm, dass er manchen Fußgänger ins Straucheln bringt, in (Freiluft-)Berufen ein Hemmnis ist und beim Wegschaufeln vor der Haustüre ins Kreuz schießt. Weil er so schön ist, so unschuldig weiß.
Warum weiß, überhaupt? Wie kann Wasser – und nichts anderes ist Schnee – so schön weiß werden? Es ist die Lichtreflexion, die die eigentlich durchsichtigen Schneekristalle weiß machen. Und diese Kristalle wiederum, die sich in den Wolken durch das Anfrieren an kleinsten Staubteilchen bilden, sorgen dafür, dass Schneeflocken so schön beruhigend durch die Luft tänzeln, bevor sie am Boden landen: die Kristallstruktur sorgt mit ihrer großen Fläche für so viel Luftwiderstand, dass die Flocken segeln lernen.
Wenn die „weiße Pracht“ die Landschaft aus dem deprimierenden Grau reißt und in ein herzerwärmendes Weiß taucht, macht das einfach gute Stimmung.
Sowohl das Segeln als auch das Weiß haben auf die Menschen eine besondere Wirkung. So kommt es, dass sich nicht nur Skiliftbetreiber und Tourismustreibende freuen, wenn Frau Holle die Betten schüttelt, sondern die allermeisten Menschen (Ausnahmen bestätigen die Regel). Wenn die „weiße Pracht“ die Landschaft aus dem deprimierenden Grau reißt und in ein herzerwärmendes Weiß taucht, macht das einfach gute Stimmung. Wenn die Flocken gemächlich vom Himmel fallen, dann strahlen sie diese Ruhe selbst auf die hektischsten Menschen ab. Und wenn der Schnee beim Spaziergang unter den Stiefeln knirscht, fühlt sich kalt plötzlich weniger kalt an.
Technischer Schnee ist besser. Aber Naturschnee ist schöner.
Am morgigen Samstag, 1. Dezember, ist meteorologischer Winterbeginn. Aber erst der Schnee macht den Winter so richtig zum Winter. Freilich, die Skipistenbetreiber behelfen sich selber, indem sie den Schnee produzieren, ohne auf Frau Holle zu warten. Und sie machen sogar hervorragenden Schnee, so hervorragend, wie ihn Frau Holle niemals zustande bringt. Das haben viele Skifahrer im vergangenen, schneereichen Winter zu spüren bekommen, als der viele Naturschnee auf den Pisten das Skifahren zur Herausforderung machte. Auf dem perfekt harten technischen Schnee wedelt es sich leichter als auf dem weichen Naturschnee, der zu kleineren und größeren Hügeln zusammengefahren wird. Mittelmäßige Skifahrer und Snowboarder – Urlaubsgäste genauso wie Einheimische – mussten im vergangenen Winter einsehen, dass sie ihre Bretter halt doch nicht so gut beherrschen wie sie glaubten.
Aber obwohl sich die Skipistenbetreiber mittlerweile unabhängig gemacht haben von den Launen der Frau Holle, freuen sie sich über deren Beistand. Skifahren in weißer Landschaft hat nun mal ein ganz anderes Flair als Skifahren auf weißen Streifen. Zwar gleiten die Skier immer gleich, weshalb den Wintersportlern das Drumherum wurscht sein könnte – ist es aber nicht.
Selbst für die Sportgeschäfte im Tal macht es einen Unterschied, ob es im November und Dezember schneit oder nicht. Wieder gilt: Eigentlich könnte es den Wintersportlern wurscht sein, denn sie können davon ausgehen, dass die Pisten perfekt sind, auch ohne Naturschnee. Aber immer dann, wenn es kurz vor der Wintersaison bis ins Tal schneit, steigen die Umsätze in den Geschäften. Erst der Schnee macht Lust auf Winter.
White Christmas: Seit über 70 Jahren lebt der Traum von der weißen Weihnacht
Aus diesem Grund lebt auch seit jeher der Traum von der weißen Weihnacht. Heiliger Abend mit weißer Landschaft? Mehr Weihnachten geht nicht. Und so passt es ins Bild, dass sich die meistverkaufte Single aller Zeiten ausgerechnet diesem Thema widmet: „White Christmas“, geschrieben von Irving Berlin, wurde 1947 veröffentlicht und ist bis heute – in x-fach neu vertonten Versionen – ein Ohrwurm geblieben. In der Vorweihnachtszeit läuft das Lied im Radio auf und ab, Jahr für Jahr, seit 70 Jahren.
Sogar noch älter ist ein anderes Schnee-Lied: „Leise rieselt der Schnee“ gilt als eines der bekanntesten Winterlieder in deutscher Sprache und wurde 1895 vom evangelischen Pfarrer Eduard Ebel gedichtet.
Das obenstehende Foto ist am Neujahrstag 2018 entstanden. Wer bei so einem Anblick widerstehen kann, das Smartphone zu zücken und den Wintermoment festzuhalten, ist selber schuld. Denn offensichtlich schafft der Schnee eine Stimmung, die sich selbst ohne hochtechnologische Fotokamera gut einfangen lässt. Kein Wunder, dass Winterlandschaften ein so unwiderstehliches Fotomotiv sind. Selbst für einen hartgesottenen Bergbewohner wie mich.
Christian Pfeifer
(Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in der Südtiroler Wirtschaftszeitung SWZ vom 30. November 2018.)
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