Mythos: Besser rasch den Zuschlag erteilen, der Vertrag folgt später!
Warum oft übersehen wird, dass der Zuschlag bereits den Vertragsschluss markiert.
Der heute behandelte Mythos bewegt sich auf der Schnittstelle zwischen Vergaberecht (oder dem Einkauf) und dem Vertragsrecht:
Öffentliche Auftraggeber beenden förmliche Vergabeverfahren nach der Vergabeverordnung (VgV) oder auch im Unterschwellenbereich zur Beschaffung von Architekten- oder Ingenieurleistungen regelmäßig durch (elektronisches) Zuschlagsschreiben.
Aber auch Einkäufer privater Auftraggeber erteilen gerne nach Abschluss des Auswahlprozesses vorab eine "SAP-Bestellung" (oder gleichwertig). Der eigentliche Vertrag soll im Nachgang unterzeichnet werden.
🤷🏻♂️ So weit, so unproblematisch? Weit gefehlt! Typische Fallstricke sind:
⚡ Der Zuschlag (die Bestellbestätigung) wird vorbehaltlos erteilt. Im Nachgang weigert sich der Bestbieter, den Architektenvertrag oder Ingenieurvertrag zu unterzeichnen. Und mit was? Mit Recht! Denn durch den Zuschlag auf das Angebot des Bieters ist bereits ein wirksamer Vertrag zu den Bedingungen des Angebots zustande gekommen. Bezieht sich dieses nicht ausdrücklich auf einen im Verfahren bekannt gegebenen und ggf. verhandelten Vertragsentwurf, wird dieser auch nicht Vertragsbestandteil; es besteht auch keine Pflicht des Bieters, diesen nachträglich zu unterzeichnen.
Empfohlen von LinkedIn
⚡ Mit dem Zuschlag (der Bestellbestätigung) wird erstmals ein Vertragsentwurf mit der Bitte um Gegenzeichnung übersandt, der weitergehende Regelungen vorsieht als das Angebot: Kein Vertrag zustande gekommen, da der Zuschlag als Ablehnung des Angebots und neues Angebot der Vergabestelle gewertet wird, § 150 Abs. 2 BGB. In dem Fall OLG Celle, Urt. v. 29.12.2022 - 13 U 3/22, blieb der Auftraggeber deswegen auf gut 500 TEUR Nichterfüllungsschaden sitzen!
Wie geht es besser?
💡 Den Vertragsentwurf mit allen vorgesehenen Anlagen (!) spätestens mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe versenden und durch ein vorformuliertes Angebotsschreiben sicherstellen, dass die Angebote auf diesen (ggf. verhandelten) Entwurf gelegt werden. Dann kann ein verbindlicher Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, die nachträgliche Unterzeichnung der Vertragsurkunde hat dann nur noch dokumentarische Funktion.
❗ Diese Lösung passt jedenfalls für Vergaben nach dem 01.01.2021 (Geltungsbereich der HOAI 2021). Davor musste man sich mit den Anforderungen an eine wirksame Honorarvereinbarung in § 7 Abs. 1 HOAI 2013 herumschlagen: Schriftlich (Papier mit zwei Unterschriften!) und "bei Auftragserteilung" (also nicht der Auftragserteilung bzw. dem Zuschlag nachfolgend!). Wurde erst der Zuschlag erteilt und dann der Vertrag unterzeichnet, konnte der Architekt oder Ingenieur für Grundleistungen nur den Mindestsatz verlangen, § 7 Abs. 5 HOAI 2013, egal was er angeboten hatte!
Die Notwendigkeit einer SAP-Bestellung, die bei uns nach der Erteilung des Zuschlags erfolgt, irritierte schon so manchen Juristen 😀. Für uns ist dieses Medium aber nicht zuletzt aus Gründen der Abrechnung bzw Rechnungsstellung und -verfolgung essentiell. Die Vergabesysteme sind für diese Folgeprozesse mE nicht ausgelegt. Wir achten bei uns sehr genau darauf, dass jegliche Vertragsdetails bereits bei der Angebotsaufforderung enthalten sind, so auch Architekten- oder Ingenieurverträge. Die SAP-Bestellung stellt dann keine Erweiterung im Sinne eines neuen Antrags dar. Diese Thematik betrifft wohl einige Vergabestellen...
Wie immer sehr gut beschrieben- danke!
Controlling / Vertragsmanagement bei Carpus+Partner AG
9 MonateDieses Vorgehen kann bei privaten AGs auch oftmals dadurch vernebelt werden, dass mit der (SAP-)Bestellung auf das Angebot automatisch irgendwelche AGBs verbunden sind, die beide Partner nie wollten. Obacht, wenn solche Bestellungen (= Gegenangebot) ins Haus flattern.
Wasserbau - Planung und Überwachung? Machen wir!
9 MonateEin wichtiger Beitrag, danke dafür! Wie verhält sich das bei Nachträgen? Vermutlich ähnlich? Auftragnehmer schickt Angebot mit Zeitansätze , Stundensätzen, Nebenkosten und Summe. Der Auftraggeber schickt dann eine Abwandlung davon zu (andere Stundensätze, ggf. andere Zeitansätze) und der AN unterschreibt das ganze nicht. Leistet aber. Da ist die spannende Frage, welche Vergütung nun gilt - die „alte“ des Ursprungsvertrags, die „neue“ des AN oder die „ganz neue“ des AG. Da steckt so viel Streitpotenzial drin, die Antwort ist vermutlich sehr einfach?