Neue Arbeit für alte Büros
Die prunkvolle Eingangshalle erinnert an die Zeiten, in denen das Gebäude ein Kaufhaus beherbergte. Alle Bilder copyright rent24

Neue Arbeit für alte Büros

Offenheit ist einer der fünf Grundpfeiler des Coworking. Bewirkt wird sie auch durch die von Coworking-Spaces bevorzugten Immobilien wie Ladengeschäfte oder alte Gewerbehallen.

Das Eckgebäude am quirligen Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte war immer ein offenes Haus: Gegründet als Aschinger Bierquelle bot es sich für Ansgar Oberholz im Jahr 2005 als Kaffeehaus an. Ganz unerwartet entstand dann durch den freien Internetzugang eine völlig neue Form des Arbeitens. „Coworking ist aus der Kaffeehauskultur entstanden“, erläutert Tobias Kremkau, Coworking-Manager des St. Oberholz. Wo Anfang des 20. Jahrhunderts Intellektuelle ihre Ideen entwickelten, sind es heute Freiberufler und Blogger, die sich als digitale Bohème für den offenen Arbeitsraum entschieden haben und die vorhandene Infrastruktur zu schätzen wissen.

Inzwischen hat sich Coworking zu einer globalen Industrie entwickelt, in der ganz unterschiedliche Anbieter und Stile verbunden sind. Dabei bleibt die Offenheit nach außen, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, ein grundlegendes Element.

Dem Gebäude des neuen Coworking-Space von rent24 in Berlin-Mitte liegt diese Offenheit quasi in der DNA. Das Haus wurde 1896 als Kaufhaus des Konfektionsunternehmens Mannheimer im zeitgenössischen Repräsentationsstil errichtet. Die großzügige Eingangshalle ist prunkvoll dekoriert, Polstermöbel laden zum Sitzen ein, und eine Freitreppe führt nach oben.

Wo früher elegante Damen und Herren einkauften, herrscht heute ungezwungener Berliner Start-up-Stil: Turnschuhe und T-Shirts, dazwischen ein paar Hunde, auch das Personal am Empfang ist betont lässig gekleidet.

Als Kaufhaus war das Gebäude immer als offener Raum gedacht. Publikum sollte eingeladen und ihm durch das Entrée der Zutritt leicht gemacht werden. So entspricht es der Idee des Hauses, dass es nach einigen Jahren herkömmlicher und damit eben auch verschlossener Büronutzung durch ProSiebenSat1 und Groupon wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist.

Ein Coworking-Space wie rent24 ist natürlich kein öffentliches Gebäude. Eine Zugangsschranke stellen schon die Mitgliedsbeiträge dar. Auch der Zweck der Unternehmung ist nicht gemeinnützig, sondern profitorientiert. „Unsere Events sind aber auch für Externe offen“, betont Selina Zehden, Marketing-Managerin von rent24. Die Profitorientierung erfordert eben auch Offenheit: Frequenz belebt das Geschäft, und so sind Coworking-Space-Betreiber in hohem Maße daran interessiert, ihre Flächen offen zu gestalten. Ladenflächen, Fabrikhallen, Supermärkte oder eben ein Kaufhaus eignen sich besonders gut und sind beliebt bei Coworking-Anbietern.

Hier muss es nicht bei einzelnen Gebäuden bleiben. Auch Industrieareale können wiederbelebt und zu einem kreativen Arbeitsumfeld entwickelt werden. Ein Beispiel hierfür ist der Factory Campus in Düsseldorf-Lierenfeld. In Zusammenarbeit mit der Stadt ist das alte Industriegelände zu einem Coworking-Projekt entwickelt worden, das der Düsseldorfer Start-up-Szene eine Heimat bietet. Als offener Campus, der auch Gastronomie und Dienstleistungen beherbergt, soll es zudem in den Stadtteil ausstrahlen und zur Entwicklung des alten Arbeiterquartiers beitragen.

Eines ist all diesen unterschiedlichen Modellen gemeinsam: Durch den Abbau der festen Grenze zwischen Straße und Büro, innen und außen, tragen Coworking-Spaces dazu bei, öffentlichen Raum und Arbeitsumgebung zu verzahnen. Entgrenzung, ein Kennzeichen der digitalen Arbeitswelt, wird so auch im städtischen Raum erlebbar und zur Grundlage für eine Start-up-Kultur, die sich in großen Teilen auch als gesellschaftliches Phänomen begreift.

Erstveröffentlichung in "DasBüro 05-2017"



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