Reichen WLAN und Sofas für Coworking?
Ein Autohaus mit Sofas und WLAN. Mehr nicht.

Reichen WLAN und Sofas für Coworking?

Mein Freund Christian Cordes hat ein Aufregerthema, über welches er stets meckern kann (wenn er denn nicht Wichtigeres zu tun und auch zu sagen hätte, was er hat): die Nutzung des nichtgeschützten Begriffs Coworking. Heutzutage darf sich einfach alles Coworking nennen. Und leider gibt es unzählige Beispiele, in denen das auch passiert. Alles ist Coworking.

Vor über drei Jahren blieben wir beide auf einem Spaziergang durch Brüssel vor einem Mix aus Autohaus und Restaurant stehen. Smart City nannte sich dieser Ort. Im Erdgeschoss konnte man was essen und im Keller war ein Showroom für Smarts, sowie, laut der Außenfassade, ein Coworking Space. Skeptisch, jedoch auch neugierig, stiegen wir hinab.

Im Keller fanden wir lauter kleine Autos und eine angestrengt cool wirken wollende Einrichtung vor. Ein Mitarbeiter kam auf uns zu und fragte, ob er uns helfen könnte. Wir erkundigten uns nach dem Coworking Space. Er zeigte auf die Ausstellungsfläche und sagte, dass es kostenloses WLAN gibt und wir auf den Sofas arbeiten könnten, wenn wir wollen.

Ich weiß nicht, ob es an der Ermangelung einer coolen Begrifflichkeit für ein Angebot wie kostenloses Wi-Fi und bequeme Sitzmöbel liegt, dass sich alles Coworking nennt, aber es nervt. Mal mehr und mal weniger, dies scheint bei mir immer abhängig von meiner momentanen Stimmung zu sein. Momentan bin ich von solchen Orten sehr genervt.

Der Coworking-Versuch der BNP Paribas Bank Polska

BNP Paribas Bank Polska in Danzig

In meinem letzten Urlaub in Danzig stieß ich wieder auf so ein Angebot. Diesmal war es von der BNP Paribas Bank Polska. Die Verbindung von Coworking und Bank interessierte mich umgehend. Zusammen mit der Sparda-Bank Berlin haben wir vom St. Oberholz mit dem BLOK O in Frankfurt (Oder) eine weltweit einmalige Verschränkung beider Branchen erreicht. Die beiden anwesenden Mitarbeiter der Bank ließen mich die Filiale besichtigen und Fotos von den Coworking-Flächen machen. Es gab verschiedene Sitzecken, zwei Besprechungsräume und eine Hochbank zum Arbeiten. Die Büros der Bank durfte ich nicht fotografieren, sie lagen im hinteren Bereich der Filiale und sahen so aus, wie Büros von Banken noch aussehen können.

BNP Paribas Bank Polska in Danzig

Ich kann das oft grelle Design in polnischen Banken nicht nachvollziehen, mein Geschmack ist es nicht, weshalb ich dieses nicht weiter beurteilen möchte. Der Ort selbst wirkte lieblos und nicht sehr gut durchdacht. Es gab kein Front Desk, die Funktionen waren an den meiner Meinung nach falschen Stellen im Raum verteilt und ein Community-Konzept war gar nicht zu erkennen. Auch das nannte sich Coworking und hatte leider nichts damit zu tun. Beim Coworking geht es um das Miteinander. Die Coworking-Fläche der BNP Paribas Bank Polska war aber von denen des Filial-Teams getrennt. Auf ihr war räumlich kein Versuch zu erkennen, verschiedene Menschen zusammenzubringen. Es wirkte auch nicht, ob dies ein Anliegen der Bank zu sein scheint.

Vor Ort fühlt man erst den Unterschied

Es gibt noch weitere solcher Beispiele. Von Versicherungen, Fleischereien, Cafés, Bibliotheken und noch vielen anderen Banken. Vermutlich gibt es inzwischen kaum noch ein Retail-Konzept, dass nicht mit Coworking aufgefrischt wurde. Da hilft nur mit dem Finger drauf zeigen. Das transparent machen der an Profil fehlenden Konzepte.

Es ist vollkommen in Ordnung, dass Arbeitstische für mobiles Arbeiten angeboten werden. Ich nutze diese selber gerne unterwegs. Dies hat nur nichts mit Coworking zu tun. Einen Zwang zum Miteinander gibt es zwar auch nicht in Coworking Spaces, auch dort wollen manche nur in Ruhe arbeiten, jedoch gibt es meistens eine wirkliche Community.

Dies merkt man oft erst vor Ort. Ich empfehle deshalb, bevor man sich für ein Coworking Space entscheidet, noch zwei bis drei andere Coworking Spaces zu besuchen. Nur so kann man sich vor Ort einen eigenen Eindruck machen. Man muss über die Türschwelle eines Ortes gegangen sein, um diesen zu erleben und um den Ort halbwegs zu begreifen.

Nicht jedes Coworking Space wird einem gefallen. Auch das ist in Ordnung, denn unsere persönlichen Bedürfnisse sind unterschiedlich. Man wird so aber merken, ob der besuchte Orte überhaupt ein Interesse an den Menschen hat oder nur die Aufenthaltszeit erhöhen möchte. Man spürt dann sehr schnell, ob dort auch Coworking drin ist, wo es drauf steht.

Daniela Marzavan

PRACADEMIC | Lecturer | Advisor | Keynote & TEDx Speaker | Researcher | Entrepreneur | Facilitator | International Design Thinking Expert

4 Jahre

Dein Artikel erinnert mich an den traurigen Anblick eines Millionen Projektes am Rande von Algers. Das sollte laut Interview mit den Betreibern ein 'Coworkingspace für kreative Freiberufler sein, ein StartUp Inkubator und Accelerator, Community Space' und so viel mehr....Also die  wilde Mischung aus allem was innovativ und hip erschien und von Beratern vorgeschlagen wurde. Deren Recherche war einwandfrei, denn das Mammutprojekt war architektonisch ok, manche Details -wie eine Wand am Eingang an der alle Projekte vorgestellt wurden- wurden lehrbuchtreu umgesetzt. Und dann... war da keine Menschenseele...Das mehrstöckige Gebäude ähnelte einem Museum. Das Projekt war über eine unfertige Zugangsstrasse an Schafen vorbei nur mit dem Auto erreichbar - ein Bus der ganz selten fuhr brachte selten Studierende hin, die -unter Aufsicht der Profs- an Ideen tüftelten. Sehr schade! Coworking beginnt mit dem Bedarf einer Community. Zuerst muss überhaupt eine Community da sein /aufgebaut werden. Möbeln, WLAN, Café sind Support und sollen als Beiwerk der Community dienen und entsprechend angepasst werden. Im besten Falle wird mit der Community zusammen gestaltet und umgesetzt... Das scheint komplizierter und aufwendiger- ist es zu Beginn auch- aber das zahlt sich später aus.... Ich kann mir vorstellen, dass die Bank natürlich großzügig Geld für Sachgegenstände ausgeben darf. Aber wie soll eine solche Institution die Rolle des Community Mangers rechtfertigen? Dann lieber ein Showroom mit Möbeln aus dem Steelcase-ähnlichen Coworking Katalog :-) und den Hinweis auf der Webseite: Wir haben Co-Working (eingekauft).

Thomas Scharke

Software Artist & Digital Visionary: Mastering the Art of Code

4 Jahre

Ich möchte Dir zustimmen Tobias, wenn Du sagst: "Beim Coworking geht es um das Miteinande". Genau das ist es! Es kommt auf die Menschen an die auch in den entsprechend Räumen sitzen bzw. unterwegs sind. Möchte und wollen die kommunizieren? Möchte lieber jeder für sich alleine sitzen und in Ruhe seine "Dinge" erledigen. Hinzu kommt natürlich noch das Ambiente. Aus meiner Sicht reicht eine Couch und WLAN nicht mehr aus. Neben dem Miteinander suche ich im Coworking keine Couch, sondern einen hellen, freundlichen Arbeitsplatz an dem ich vernünftig an einem Tisch mit einem Stuhl sitzen kann und in dem es mir möglich ist, weitere Menschen kennen zu lernen, kreative und produktiv zu sein. Und hier auch gerne Menschen die nicht das gleich machen wie ich. Vielleicht welche aus anderen Branchen oder Menschen aus dem Bankenumfeld (wie in deinem Beispiel).  Ich bin überrascht das wir jetzt schon in einer Phase zu sein scheinen, in dem Coworking und auch #remoteWork zu (Marketing)Floskeln "verkommen". Schade, da wir nichtmal richtig angefangen haben dieses Themen zu leben 😞

Guter einsichtiger Text. Ein Konzept wird populär, sein Begriff entleert zur Marketing-Floskel. Orientierung am Markt geht verloren, Menschen, die Coworking kennen lernen wollen werden enttäuscht. Ob man den Geist wieder in die Flasche bekommt?

Christian Cordes

Transformationsdesigner, Organisationsentwickler, #certified Design Thinking Coach & Facilitator, Head of New Work - Stadt Wolfsburg #certified LEGO® SERIOUS PLAY® Facilitator #certified Facilitator of PLAYMOBIL®pro

4 Jahre

Und wie!

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