neue schilder, alte schilder (ein nachruf)
foto: moritz320

neue schilder, alte schilder (ein nachruf)

auf dem campus meiner hochschule wehen nicht nur wechselnde fahnen, sondern stehen auch zahlreiche schilder. in der gesamttendenz kommen eher neue dazu, als dass alte entfernt würden. (die hochschule liegt in deutschland.) manchmal wird durch das schild nur pauschal die straßenverkehrsordnung in kraft gesetzt. das kommt mir wie eine gute idee vor. man denke nur an deren § 1 I:

Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht.

(ein satz, den man durchaus auf das leben in menschlichen gesellschaften im allgemeinen und auf das gedeihliche zusammenleben an einer bunten hochschule im besonderen ausweiten könnte.)

der tendenz nach sind es aber auch gern einmal verbotsschilder. zuletzt hinzugekommen sind das verbot der benutzung elektrischer roller und das verbot des konsums von cannabis. verbote finde ich als jurist ja hauptberuflich super. aber manchmal denke ich: als reiner appell ist das fein - was geschieht, wenn wir das kontrollieren und sanktionieren?

schon länger verboten sind genozide und femizide, das misgendern natürlicher und juristischer personen, arabophobie und istraelbezogener antisemitismus. aktuell arbeiten wir am niqab-verbot. auf das verbotsschild bin ich schon gespannt.

es kommen gefühlt eher schilder dazu; nie bemerke ich, dass eines weggefallen wäre. aber manchmal verblasst eines. das ist cool.

ein beispiel: es ist eigentlich kein schild, sondern ein aufkleber. aber einer von der unglaublich hartnäckigen sorte. der klebt seit jahren auf einer treppenstufe im treppenhaus eines der gebäude, in denen die seminarräume liegen. er zitiert den titel einer hollywoodproduktion von vor zehn jahren und variiert ihn raffiniert:

la-la-langweilig. 

zuerst habe ich drüber gelacht, aber dann wurde das ding doch irgendwie zu einem stachel in meinem fleisch. ich ging in mich und fragte mich, ob ein vorlesungsblock von vier dreiviertelstunden nicht ebenso unterhaltsam sein könnte wie ein us-amerikanischer blockbuster mit gesang und tanz. ich änderte mein lehrkonzept und halte seither die lebhaftesten kurse an der ganzen hochschule. komödie, tragödie, thriller, horror - alles ist drin. und noch viel mehr. kein bisschen langweilig.

allein der doofe aufkleber wollte nicht verschwinden. mehr und mehr ärgerte ich mich, wann immer ich über ihn drübertrampelte. und die meisten meiner lehrenden kollegen natürlich auch. dann vergingen ein paar semester, in denen ich keinen unterricht in der nähe von "la-la-langweilig" hatte. seit neuestem aber wieder. und siehe: natürlich hatte keiner das ding entfernt. aber er ist mittlerweile so ausgeblichen, dass kein mensch ihn mehr lesen kann. ich trample triumphierend über ihn hinweg, zweimal wöchentlich.

so langsam beginne ich ihn zu vermissen.

 

 

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