Neues Präjudiz des Bundesgerichts zur Vinkulierung und zum umgekehrten Durchgriff
Zürichsee, Juli 2019

Neues Präjudiz des Bundesgerichts zur Vinkulierung und zum umgekehrten Durchgriff

Gestern (15.08.2019) hat das Schweizer Bundesgericht auf seiner Website ein neues, vertrags- und aktienrechtlich sehr interessantes, zur amtlichen Publikation vorgesehenes Präjudiz hochgeladen (Urteil 4A_623/2018 vom 31.07.2019), in dem es - stichwortartig - insbesondere die Aspekte Vinkulierung und umgekehrter Durchgriff thematisiert.

Der dem oben erwähnten Urteil zu Grunde liegende Sachverhalt ist recht komplex, weshalb hier darauf verzichtet wird, ihn wiederzugeben. Vielmehr sollen hiernach direkt die allgemein relevanten, im Urteil 4A_623/2018 vom Bundesgericht angestellten Erwägungen, die auch auf andere Streitfälle Anwendung finden können, in komprimierter Form präsentiert werden.

(1) Ist der Veräusserer von vinkulierten, nicht kotierten Namenaktien nicht mit der Zustimmungsverweigerung des Verwaltungsrates der Gesellschaft einverstanden, kann er (der Veräusserer) gegen die Gesellschaft eine Leistungsklage auf Zustimmung zur Veräusserung und Eintragung des Erwerbers ins Aktienbuch erheben. In der Lehre ist umstritten, ob eine solche Klage nicht nur vom Veräusserer, sondern auch vom Erwerber vinkulierter, nicht kotierter Namenaktien erhoben werden kann. Diese Frage hat das Bundesgericht nun explizit bejaht, unter Bezugnahme auf den betreffenden Meinungsstreit in der Lehre (E. 2; Hervorhebung zusätzlich):

"Der vom Veräusserer ursprünglich ausgewählte, nun durch die Gesellschaft abgelehnte Erwerber hätte eigentlich als Nichtaktionär keine Klage gegen die Gesellschaft. Jedoch trifft es zu, wie von den Befürwortern einer Klageberechtigung des Erwerbers gesagt wird, dass das gesetzliche Ankaufsrecht der Gesellschaft gemäss Art. 685b Abs. 1 OR in jeden Kaufvertrag über vinkulierte nicht kotierte Namenaktien eingreift und deshalb bei Widerrechtlichkeit der Ablehnung auch der Erwerber aktivlegitimiert sein muss. [...] Das Bundesgericht hat im Übrigen bereits einmal die Klageberechtigung der Erwerberin stillschweigend bejaht, allerdings ohne auf die Lehre einzugehen [...]."

(2) Die Vorinstanz hatte in ihrem beim Bundesgericht angefochtenen Urteil sinngemäss erwogen, die vom Bundesgericht entwickelte Business Judgment Rule finde auch auf die Frage Anwendung, ob der einschlägige Verwaltungsrat den Entscheid über die Eintragung eines Aktienerwerbers ins Aktienbuch rechtmässig getroffen hat. Damit - so die Vorinstanz - sei der betreffende Entscheid des Verwaltungsrates in Anwendung der Business Judgment Rule unter den relevanten Umständen umfassend und nicht nur mit eingeschränkter Kognition zu prüfen. Das Bundesgericht weist diesen Ansatz der Vorinstanz zurück. Die Handhabung des gesetzlichen Ankaufsrechts gemäss Art. 685b Abs. 1 OR durch den Verwaltungsrat unterliege der Business Judgment Rule nicht (E. 3.1):

"Ein Entscheid des Verwaltungsrats, mit welchem er von der gesetzlichen (hier auch statutarischen) Befugnis gemäss Art. 685a Abs. 1 OR [recte: Art. 685b Abs. 1 OR] zum Ankauf eigener Aktien und der Verweigerung der Übertragung auf einen anderen Erwerber Gebrauch macht, fällt entgegen der Vorinstanz nicht in den Anwendungsbereich der dargelegten Überprüfungsbeschränkung [gemäss Business Judgment Rule]. Daher kann ebenso wenig die Kognition des Gerichts hinsichtlich solcher Entscheide [...] mit dem Argument ausgeweitet werden, die Voraussetzungen der sog. ‚Business Judgment Rule’ seien nicht erfüllt."

(3) Im hier diskutierten Streitfall war - zum leichteren Verständnis stark vereinfacht betrachtet - folgende Konstellation relevant: Der Hauptaktionär der fraglichen Aktiengesellschaft war als Verkäufer von Aktien dieser Gesellschaft aufgrund eines vertraglichen Vorkaufsrechts verpflichtet, der Gegenpartei der Aktiengesellschaft an den Aktien der Gesellschaft das Eigentum zu verschaffen. Diese Aktienübertragung wurde vom Verwaltungsrat der Gesellschaft abgelehnt. Es fragte sich vor diesem Hintergrund, ob die erwähnte vertragliche Verpflichtung des Hauptaktionärs der Gesellschaft, also wie erwähnt der Gegenpartei der Gesellschaft aufgrund des vertraglichen Vorkaufsrechts das Eigentum an den betreffenden Aktien zu verschaffen, auf die Gesellschaft erstreckt werden könne. Eine entsprechende Ausdehnung der Verpflichtung des Hauptaktionärs einer Aktiengesellschaft auf die Gesellschaft lehnte das Bundesgericht im hier diskutierten Fall ab, und zwar sowohl unter einer gesellschaftsrechtlichen Perspektive (E. 4.3.1) als auch mit Blick auf das Institut des umgekehrten Durchgriffs (E. 4.3.2).

(3.1) Zur körperschaftlichen Perspektive hielt das Bundesgericht im Kern fest, dass der Verwaltungsrat der Gesellschaft das Gesellschaftsinteresse zu wahren hat und nicht einem Weisungsrecht des Hauptaktionärs untersteht, mit welchem dieser die Erfüllung seiner vertraglichen Verpflichtung zu erfüllen trachtet (E. 4.3.1; Hervorhebung zusätzlich):

"Der Vorwurf der Vorinstanz wie auch der [Gegenpartei der Gesellschaft] geht im Kern dahin, dass es die C.________ AG als beherrschende Aktionärin in der Hand hätte, im Verwaltungsrat (allenfalls durch dessen Neubestellung durch eine von ihr bestimmte Generalversammlung) für eine Durchsetzung des Vorkaufsrechts der [Gegenpartei der Gesellschaft] [...] zu sorgen [...]. Dies würde voraussetzen, dass die C.________ AG als beherrschende Aktionärin gegenüber den solchermassen gewählten Verwaltungsräten ein Weisungsrecht hätte. Im Zusammenhang mit Aktionärbindungsverträgen werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, ob sich die Aktionäre durch einen Vertrag die Verwaltungsratsmitglieder in dem Sinne untertan machen können, dass der Verwaltungsrat hinsichtlich seiner essentiell körperschaftlichen Entscheide rechtswirksam auf die Befolgung von solchen Beschlüssen oder Vertragsklauseln verpflichtet werden könnte [...]. Die Organperson, die in Befolgung von Stimmbindungen in einem Aktionärbindungsvertrag die Interessen der Gesellschaft missachtet, trifft die persönliche Verantwortlichkeit [...]. Analoge Überlegungen müssen auch gelten, wenn es um Weisungen des Mehrheitsaktionärs zur Durchsetzung seiner eigenen vertraglichen Verpflichtungen geht. Grenze der Befolgung solcher Weisungen ist jedenfalls das Gesellschaftsinteresse."

(3.2) Zum Institut des umgekehrten Durchgriffs (also die Verpflichtung der Gesellschaft für Verpflichtungen des Aktionärs) erwog das Bundesgericht im Kern, dass die an einen umgekehrten Durchgriff zu stellenden Voraussetzungen besonders hoch und nur in Ausnahmefällen erfüllt sind (E. 4.3.2; Hervorhebung zusätzlich):

"Strenger sind die Anforderungen beim umgekehrten Durchgriff. [...] So verlangte das Bundesgericht in einem Fall, in dem es um einen umgekehrten Haftungsdurchgriff ging (Verrechnungsdurchgriff), über die Alleingesellschafterstellung hinaus, dass der umgekehrte Durchgriff einer ‚ganz besondere[n] Begründung’ bedürfe, denn es sei im Hinblick auf die Gläubiger der Gesellschaft nicht das gleiche, ob der Alleinaktionär besonderer Umstände wegen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft mithaften solle, oder umgekehrt die Mithaftung der Gesellschaft für Verbindlichkeiten des Alleinaktionärs in Frage stehe. Überdies hielt das Bundesgericht fest, die Gesellschaft sei im konkreten Fall nicht nur berechtigt, sondern geradezu verpflichtet, sich der Verrechnung zu widersetzen. Die zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen würden sich sonst unter Umständen gemäss Art. 754 OR haftbar machen [...]. Solche besonderen Gründe erkannte das Bundesgericht in einem Fall vollständiger Vermögensvermischung, wo der beherrschende Aktionär sowohl einziger Aktionär als auch einziger Gläubiger seiner Gesellschaft war [...]. Sodann schützte es einen Entscheid, in dem die Vorinstanz in diesem Sinn einen umgekehrten Durchgriff durch Vermögensvermischung angenommen hatte in einer Situation, in welcher der beherrschende Aktionär (nur) über rund 95 % der Aktien verfügte und allein zeichnungsberechtigter Verwaltungsrat war, nachdem sich die Beschwerdeführerin mit der vorinstanzlichen Begründung nicht auseinandergesetzt hatte [...]. Auch vorliegend kann es nicht genügen, dass die C.________ AG die Beschwerdeführerin als Mehrheitsaktionärin beherrscht. Wie die erwähnten Beispiele eines umgekehrten Haftungsdurchgriffs auf die Gesellschaft zeigen, sind in solchen Fällen immer die Interessen der nicht mit dem Hauptaktionär verbundenen Minderheitsaktionäre zu wahren, die es ausschliessen, dass dessen persönliche Verpflichtungen der Gesellschaft aufgebürdet werden. Damit sind die Voraussetzungen eines umgekehrten Durchgriffs vorliegend nicht erfüllt. "

Dieses interessante neue Präjudiz, das in der Lehre eingehend kommentiert werden dürfte, ruft in Erinnerung, wie entscheidend es ist, vertragliche Vorkaufsrechte an Aktien so zu strukturieren, dass sie auch durchgesetzt werden können.

PHH, Zürich, den 16. August 2019 (www.haberbeck.ch)

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Ebenfalls angesehen

Themen ansehen