Newsroom in der Kommunikation: Nicht der Raum macht den Unterschied
Lohnt sich ein Newsroom? Was unterscheidet Newsroom von klassischer Kommunikation? Und ist es nur ein Ding der Grossunternehmen oder auch was für KMU, Behörden oder Verbände? Sieben Erkenntnisse und zwei grosse Fehler aus 9 Jahren Newsroom.
Sogar selbst gestrichen hatten wir ihn, unseren ersten Newsroom im Spätsommer 2015. Trotzdem überlebte er nur gerade 4 Monate. Denn sofort war zu klar: Newsroom, das geht nur gross und breit. Aber nicht primär in Bezug auf den Ort.
Erkenntnis Nummer 1: Der Raum ist nur Fassade.
Was ist die erste Zutat für einen Newsroom? Das Mindset.
Ja, oftmals wird dem Raum grosse Beachtung geschenkt; gerade in unserer eigenen Planungsphase schauten wir uns zahlreiche, teils imposante Beispiele an. Doch der Raum ist schlussendlich aber nur der physische Ausdruck des neuen Prozesses und des neuen Mindsets. Ohne ihn gehts auch, sogar virtuell. Aber ohne ein Umdenken bleibt er nur eine Hülle, die nicht ausgefüllt wird. Denn:
Erkenntnis Nummer 2: Am Anfang steht das journalistische Denken.
Kommunikation und Journalismus unterscheiden sich stärker, als Kenner beider Seiten wahrhaben wollen. Aber: Fusioniert man die Disziplinen, entsteht eine grosse Chance. Eine notwendige Chance, denn auf Social Media greifen Mechanismen, mit denen Medienschaffende mitunter besser vertraut sind. Sie sind sich den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit gewohnt und denken idealerweise von den Konsumierenden her. Während die klassische Kommunikation stark auf die Bedürfnisse ihrer internen Stakeholder fokussiert, was eben genau mit dem Newsroom durchbrochen werden soll.
Es geht darum im Newsroom-Prinzip auch um ein Umkehrprinzip:
Erkenntnis Nummer 3: Der Newsroom plant von aussen nach innen
In der klassischen Kommunikation nimmt Planung einen hohen Stellenwert ein. Logisch, den zu Zeiten der Kundenzeitschrift war das auch nötig und möglich. Nicht die Welt, sondern die Druckerei und die Postzustellung gaben den Takt vor. Doch mit dem Newsroom wird das auf den Kopf gestellt. Nun gibt die Aussenwelt Ton & Takt vor. Nicht immer, aber idealerweise immer öfter.
Der ehemalige Swisscom & Coop VRP Hansueli Loosli verglich das mit dem Verkauf von Winterjacken: Egal wie spät der Herbst komme, egal wie gut das Marketing sei, sie verkaufen sich erst richtig, wenn es tatsächlich kalt sei.
Um zu wissen, was die Menschen im Moment bewegt, braucht es im Newsroom aber ein bisschen mehr als nur ein Blick auf Wetter: Was läuft rund um den eigenen Markt? Nach was suchen die Menschen derzeit? Welche Inhalte und Themen trenden? Das wissen wir dank:
Erkenntnis Nummer 4: Das Monitoring ist der einzig wahre Kanal
Unsere häufigste Kommunikationsform vor dem Newsroom war vermutlich eine interne Mitteilung. Heute sind es Mikrobeiträge: Inhalte für kleine Zielgruppen und Dialoge, die zu komplex oder zu spezifisch für den Kundensupport sind. Aber auch proaktive Kommentare an Orten, wo über uns, aber nicht mit uns gesprochen wird. Es ist also nicht das Grosse, das Preisgekrönte, das Aufmerksamkeitsheischende, das einen Newsroom ausmacht. Sondern seine Präsenz überall, selbst bei kleinen Gruppen.
Unser Prinzip: Wo immer über uns oder unsere Themen gesprochen wird, sind wir Teil der Diskussion. Dabei arbeiten wir übergreifend mit anderen Abteilungen zusammen: Mit dem Recruiting können wir Talente proaktiv anzusprechen. Gemeinsam mit Customer Care wiederum lösen wir Probleme von Kunden, noch bevor sie bei uns anrufen müssen. Das ist nicht nur jedes Mal für die Betroffenen und ihr Umfeld ein positives Erlebnis – es ist auch effizient, weil von Anfang an der Case an die richtige Stelle geroutet werden kann.
Noch einen weiteren Vorteil haben diese Inhalte: Die Mitlesenden. Denn wir sprechen hier ja nicht von einem privaten Dialog, sondern von öffentlichen Kommentaren.
Genau das bietet Chancen bis hin zum lokalen Handwerker. Denn stell dir vor, du äusserst in einer Gruppe oder einem Forum ein Problem und erhältst einen fachlich guten Rat von einem Unternehmen, for free. Das würde nicht nur dir, sondern auch allen Mitlesenden Eindruck machen.
Solche individualisierten Mikroinhalte dürften schon sehr bald auch von der AI erstellt werden. Schon heute wäre das möglich – doch Testläufe zeigen: Die AI hat noch Mühe, nicht explizit formulierte Fragen oder Kritiken zu verstehen und trifft in den Antworten nicht immer den richtigen Ton. Aber wir bleiben dran, denn:
Erkenntnis Nummer 5: Der Newsroom ist auch ein technisches Kompetenzzentrum
Die Technologie rund die Kommunikation und die von ihren genutzten Plattformen ändern sich in atemberaubendem Tempo – ständig. So schnell, dass es nicht mehr nur genügt, neue Entwicklungen zu integrieren. Nein, Veränderungen müssen antizipiert werden, um rechtzeitig die nötigen Skills und Tools bereitzustellen. Natürlich, in konservativeren Umfeldern ist der Druck kleiner – aber zu meinen, dass ältere Gruppen weniger stark digital beeinflusst werden, täuscht sich.
Hast du zum Beispiel gedacht: Zeitschriften wie der "Beobachter" geben online mitunter mehr zu reden als die NZZ oder der Tages-Anzeiger. Wenn du nun sagst: "Ich kenne aber niemanden, der den Beobachter liegt", dann bist du gerade in eine Falle getappt. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.
Doch zurück zum Thema: Wie macht man das in der Praxis? Holt man sich teure Technologie-Beratungsunternehmen ins Haus? Nein, ein interessanter Weg – gerade in der Schweiz – ist der Einbezug von Lernenden. Sie repräsentieren nicht nur einen Teil der Zielgruppe, sie nehmen in gewissen Ausbildungen die Veränderungen auch laufend auf. So etwa im Berufsfeld der Mediamatiker, aber auch beim neuen KV, das einen starken Fokus auf kommunikative Fähigkeiten legt.
Empfohlen von LinkedIn
Ihre nicht selten direkt mit der Berufswelt verbundenen Berufsschul-Lehrpersonen integrieren ihre alltäglichen Erfahrungen teils sehr schnell in den Unterricht – etwas, was an Gymnasien und Grundschulen viel länger dauert, weil hier selten Personen lehren, die gleichzeitig mit der aktuellen Arbeitswelt verbunden sind. Doch egal ob wir uns selbst, unsere Stakeholder oder Lernende als Referenzpersonen nehmen – hier lauert eine grosse Falle des Newsrooms:
Falle Nummer 1: Der Newsroom darf nicht zur Bubble werden
"Erst wenn es in Zürich schneit, ist Winter in der Schweiz", nennt man dieses Phänomen unter Medienschaffenden. Es steht sinnbildlich für eine echte Falle, in der wir ausnahmslos alle tappen: Die persönliche Optik und Betroffenheit trüben den Blick auf die wahre Relevanz.
Das auch, weil unser Umfeld meist ein ähnliches Abbild von uns selbst darstellt. Wir umgeben uns mit Menschen, die so denken und so sind wie wir selbst. Das gilt auch für Kommunikation und Marketing als Berufsfeld. Wen überrascht es da, dass die transportierten Bilder sehr stark Lebenswelten oder erwünschten Lebenswelten dieser Branche ähnelt.
Als Newsroom muss damit radikal gebrochen werden und das geht nur durch datenbasierte Entscheidungen. Denn Zahlen sprechen eine eigene, weitaus neutralere Sprache. Aber auch der Einbezug von Kunden Communitys hilft. Zwar sind auch sie nicht immer repräsentativ für die gesamte Masse – aber sie stellen doch eine weitaus repräsentativere Stimme dar.
Der wertvollste Inputer aber überhaupt ist naheliegender, als man denkt: Die eigenen Mitarbeitenden. Nein, eben nicht diejenigen der kommunikativen Bereiche. Sondern die breite Masse der Belegschaft. Hier bietet sich nicht nur die Chance zum Dialog, zum Testing, zur Inspiration, sondern auch noch eine ganz andere:
Erkenntnis Nummer 6: Mitarbeitende sind Influencer
Digitaler Paid Content ist teuer, doch berechenbar für Sales. Das liegt auch daran, dass die Plattformen in diesem Bereich meist über gute Daten verfügen, um die benötigten Zielgruppen möglichst passgenau anzusprechen. Sie wissen also sehr gut, wenn jemand plant, einen neuen Toaster zu kaufen. Anders sieht es bei auf Reputation angelegten Inhalten aus. Hier ist nicht nur die Zielgruppe meist viel weniger trennscharf und weit grösser, hier ist auch der Overspill viel höher. Oder anders gesagt: Man bezahlt, um Menschen zu erreichen, die sich als gar nicht affin für die Inhalte entpuppen.
Ganz anders sieht es aus, wenn Image-Inhalte von Mitarbeitenden erstellt werden. Ja, erstellt und nicht geteilt. Denn da liegt schon mal der grosse Denkfehler vieler Unternehmen: War es noch vor fünf Jahren hilfreich, die eigene Belegschaft als Content-Schleuder einzuspannen, zielt das heute ins Leere.
Denn: Die Plattformen haben dazugelernt, erkennen solche Mechanismen und bremsen den geteilten Content aus. Die einzige Möglichkeit, die noch bleibt: Sie müssen die Inhalte selbst erstellen, ihre eigenen Worte wählen. Dabei unterstützen wir sie. Daraus ergibt sich eine Win-Win-Situation: Je besser die Mitarbeitenden auf Social Media rüberkommen, umso besser für sie - und für das Unternehmen, bei denen sie beschäftigt sind. Das ist natürlich gerade bei Linkedin zentral.
Nach über 100 Begleitungen im letzten Jahr zeigt sich: Am meisten wünschen sich unsere Kolleg*innen Unterstützung beim Thema der Vereinfachung. Sie haben erkannt, dass sie in einer Fachbubble gefangen sind und möchten die durchbrechen. Gleichzeitig aber fürchten sie sich davon, beim Gebrauch von einfachen Worten nicht mehr als Spezialist*in erkannt zu werden.
Dabei sprechen alle Daten genau die gegenteilige Sprache:
Falle Nummer 2: Der Newsroom geht nicht ohne Storytelling
Ein Newsroom im Medienbereich ist ein Raum voller Chronisten. Ein Newsroom in der Kommunikation hingegen kann und darf das nicht sein. Denn News aus der weiten Welt von News aus dem Unternehmen unterscheiden in einem wichtigen Punkt: auf unsere Nachrichten hat niemand gewartet.
Das liegt nicht daran, dass Unternehmenskommunikation langweilig wäre. Meist fehlt ganz einfach der Kontext. Womit wir wieder beim Problem mit der Bubble wären, denn die umhüllt das ganze Unternehmen. Doch als Newsroom denken wir ja von aussen nach innen, wissen über die Bedürfnisse und Sprache der Zielgruppe Bescheid. Mit diesen Zutaten lassen sich aus komplexen Informationen spannende Storys erstellen.
Im Newsroom ist der Stilbruch Daily Business: Als wir mitten in den Corona Wirren nur leere Büros als Kulisse hatten, kam ein damaliger Lernender von mir auf die Idee des "Cool Office Check". Und inszenierte die Räume wie eine Fashion Show. Auf TikTok fanden wir das dafür passende Zielpublikum und das feierte die Videos. Sie erreichten bis zu knapp einer Million Views. Organisch. (Heisst: Wir haben nicht einen Franken dafür bezahlt und wurde dafür mit einer hohen Nutzendauer, einer riesigen Engagement Rate und wohlwollenden Kommentaren bedacht. Paid hätte das buchstäblich anders getönt.).
Doch organisch präsent zu sein, heisst auch, auf allen Plattformen präsent zu sein:
Erkenntnis Nummer 7: Kanäle kommen und gehen, der Newsroom bleibt
MySpace, StudiVZ, Xing, Musical.ly, Clubhouse: Bei Social Media ist die Veränderung die einzige Permanenz. Nicht nur in Bezug auf die Plattformen, auch auf den Stil und die inhaltlichen Trends. Darauf muss auch die Content Creation ausgelegt sein. Heisst also: Sich ständig an neue Inhaltsformen und Kanäle anpassen zu können, ist Teil der Newsroom-DNA. Mit Blick auf die Kapazitäten ist es aber wichtig, nicht nur neue Kanäle hinzuzufügen, sondern sich auch mal von bestehenden zu verabschieden, wenn sie in sich zusammenfallen.
Aber als "Kanal" sind längst nicht nur Social Media oder Content Plattformen wie Youtube, Spotify (für Podcasts) oder Medium (für Longreads) gemeint. Nein, Kanäle können je nach Unternehmensstruktur auch Wikis, Verzeichnisse, Rezensionsplattformen, Job-Plattformen oder Foren sein. Wir haben es bei Swisscom nach einem einfachen Prinzip aufgeteilt: Ist eine Plattform nicht historisch bereits durch eine andere Abteilung belegt und sehen wir die Chance zur Präsenz, dann tun wir das.
An diesem zeigt sich auch, wieso der Newsroom nicht nur für Grossunternehmen, sondern auch kleinere Einheiten absolut Sinn macht. Denn sie können heute ihre kommunikativen Aufgaben kaum noch wahrnehmen - haben die Wahl zwischen gefährlichem Verzicht oder teurer Auslagerung. Der Newsroom kann hier eine Lösung sein, der gleichzeitig auch vorhandene Ressourcen nutzen kann - etwa dem Sales bei Unternehmen oder Mitgliederbewirtschaftung bei Verbänden.
Denn am Ende des Tages ist der Newsroom eine produktive Einheit: Es zählt nicht, wer drinsitzt. Es zählt, was rauskommt.
#Newsroom #CorporateCommunication #Unternehmenskommunikation #Kommunikatoin #Content #SocialMedia
Ich motiviere Unternehmen, CEOs, Teams und Führungskräfte, ihre Ziele mit der strategischen Nutzung von Linkedin schneller zu erreichen | Linkedin-Strategin, Trainerin und Referentin seit 2015.
8 MonateGratulation und vielen Dank für die spannenden Insights Roger. Mutig geht's du mit dem Team voran und probierst Neues aus, z.B. mit der Lancierung des Swisscom Linkedin-Newsletters, die Mitarbeitenden als Influencer begleiten und das Recruiting einbeziehen. Ich finde es grossartig, wie ihr bei Linkedin den Dialog lebt und die Power der Zweiweg-Kommunikation nutzt. Und ja, es ist ein Win-Win für alle. Ich bin gespannt, was ihr die nächsten Jahre vor allem auf Linkedin bewegt.
UX Writing, Kommunikation & Konzepte
9 MonateDanke Roger, dass du deine Erfahrungen und Erkenntnisse teilst. Das Winterjacken-Beispiel ist wirklich sehr treffend, um das Newsroom-Mindset zu beschreiben. Und zur Bubble-Gefahr: Wir haben in einem Newsroom mal ausprobiert, tage-/wochenweise Mitarbeitende aus anderen Abteilungen zum Coworking einzuladen. Das war für beide Seiten sehr bereichernd.
Co-Founder Newsroom Communication AG & Newsroom-Experte
9 MonateSehr interessantes Résumé! Danke vielmals für diese "Insights", die hoffentlich auch anderen Organisationen bei der Einführung einer Newsroom-Struktur helfen werden. #newsroompower
Ich helfe Marketing-Teams, ihre Content-Operations zu beschleunigen und zu skalieren.
9 MonateErkenntnis Nummer 6 gefällt mir sehr gut 😀 Welche Softwares setzt ihr für die Planung und Umsetzung ein?
Gestalter wirkungsvoller, zeitgemässer Kommunikation für Unternehmen und Persönlichkeiten. #gernperDu
9 MonateSuper, vielen Dank Roger für die lesenswerten Einblicke. Eine Frage habe ich zu den Rollen bei euch im Newsroom (z. B. CvD, Channel-Manager, Themenmanager etc.): in welcher Form und wie präzise habt ihr diese zum Start definiert/vorgegeben und in welcher Kadenz habt ihr sie angepasst?