Nie mehr BCC
Vor ein paar Tagen sprach mich ein Kollege an, der eine Einladung zu einem Teams-Termin verschicken wollte. Die Frage ging darum, ob es möglich wäre, Personen zu einem Teams-Event einzuladen, ohne das die anderen eingeladenen Personen mitbekommen, wer eingeladen wird. Also wie eine blindcopy-Adresse einer Mail.
Ich war etwas erstaunt und verstand denn Sinn der Frage erst mal nicht. Spätestens im Teams-Termin würden doch sowieso alle Eingeladenen einander begegnen und somit wissen, wer auch noch eingeladen wurde?!
Der Hintergrund der Frage: Es handelte sich um eine Einladung für den Kreis der Mitarbeitenden mit einer Schwerbehinderung. Und in diesem Kreis gibt es wohl einzelne Personen, die keinesfalls möchten, dass andere mitbekommen, dass sie schwerbehindert sind. Mich hat das erst einmal perplex gemacht und die Frage hat mich nicht losgelassen. Warum will das jemand so sehr geheim halten? Ich bin selbst schwerbehindert. Ich kann das hier sagen und schreiben. Warum also tun sich damit andere so schwer?
Vielleicht liegt es daran, was wir jeweils erlebt haben. Jeder, der mit einer Behinderung aufgewachsen ist, kennt die Blicke, die Kommentare. die gut gemeinte, aber schlecht gemachte Hilfe. Das Mitleid. Die Übergriffe. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr habe ich es verstanden, desto mehr musste ich an die eigenen Momente dieser Art denken, die ich erlebt habe, und die Gefühle, die diese Momente ausgelöst haben.
Aber noch etwas ist mir dabei bewusst geworden: Dass sich die Zeiten geändert haben. Vor 80 Jahren, das ist nur ein Menschenleben lang her, wurden Behinderte aktiv getötet. Entfernt. Ausgelöscht. Das nannte sich T4.
Vor 40 Jahren, als ich Kind war, war es völlig normal, das Behinderte weggesperrt, verwahrt, aus der Gesellschaft entfernt, abgesondert wurden. Sie lebten in Heimen, der Willkür ihrer "Pfleger" ausgesetzt. In dieser Zeit mit einer Behinderung aufzuwachsen bedeutete, darum kämpfen zu müssen, nicht in dieses System zu kommen, auf eine "normale" Schule gehen zu dürfen. Wir alle haben die Narben dieser Kämpfe in uns.
Auch heute noch sind wir von einer "Normalität" weit entfernt. Behindertenwerkstätten müssen immer noch weite Teile des Arbeitsrechts nicht einhalten. Es gibt immer noch Barrieren, Hindernisse, Dinge, die uns behindern. Und warum finden die Paralympics eigentlich getrennt von den olympischen Spielen statt?
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Aber wir sind nicht mehr die, die abseits stehen. Wir sind heute mittendrin und kämpfen weiter dafür, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Diejenigen, die Behinderte auslachen, sie ausgrenzen und "nicht dabei haben wollen", sind diejenigen, die am Rand stehen. Wir müssen uns nicht dafür schämen, eine Behinderung zu haben. Die Behinderung hat uns, genau wie alles andere in unserem Leben, zu dem gemacht, was wir heute sind, im Guten wie im Schlechten.
Wir stehen nicht mehr im blindcopy. Wir stehen in der Adresszeile, zusammen mit allen anderen. Da ist unser Platz.
𝚄𝚎𝚋𝚎𝚛𝚍𝚎𝚗𝚔𝚎𝚗 𝚂𝚒𝚎 𝚒𝚑𝚛𝚎 𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝𝚠𝚎𝚒𝚜𝚎.
3 JahreHallo Frank, grundsätzlich Danke für Deinen Artikel. Ich kenne die Thematik genau noch aus meiner aktiven Zeit und habe es schon da nicht verstanden, denn der/die Kollege/in kam dann zur Veranstaltung und zumindest in dem Kreis war es ja dann auch bekannt. Meine Erklärung war, da es sich um eine nicht sichtbare Behinderung handelte hat die Person wohl selbst damit noch nicht richtig Eugenakzeptanz gewonnen. Deine Worte möchte ich ergänzen um den Kreis der Behinderten wie zb mich, der ich 50% Schwerbehinderung habe aufgrund im Laufe der Zeit "erworbener" Krankheiten. Auch wir müssen uns nicht verstecken.