Nie wieder Ausschreibung!

Nie wieder Ausschreibung!

Eigentlich wollte ich es nie wieder machen: an einer Ausschreibung teilnehmen. Als kleines Unternehmen bedeutet das vor allem eins: Wertvolle produktive Arbeitskraft unverhältnismäßig lange binden. Große Unternehmen haben dafür ihre Abteilungen, die meisten KMU reißen sich ein Bein hierfür aus.

An Absurdität kaum zu überbieten

So ein Fragenkatalog, den man im Rahmen einer Ausschreibung zur freundlichen Bearbeitung zugesendet bekommt, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Es ist nicht nur die Tatsache, dass sich hier eine Fachabteilung zig Stunden damit beschäftigt hat, wie man potenzielle Lieferanten im Namen von Gerechtigkeit und hypothetischer Weltenrettung möglichst lange gängeln kann, sondern auch die mittlerweile als selbstverständlich hingenommene Übergriffigkeit und der Bevormundungsduktus in den Fragen selbst. 

So wird bspw. gefragt, ob meine Lehrer mit dem ÖPNV (statt mit dem Auto) zum Einsatzort reisen würden oder ob meine Büroräume mit erneuerbaren Energien versorgt würden. Oder etwa, ob wir eine sogenannte gendergerechte Sprache im Unterricht vermitteln würden – wobei mir niemand sagen kann, was das eigentlich sein soll.

Übergriffig und belehrend 

Zu dieser omnipräsenten Übergriffigkeit gesellen sich in dem Fragenkatalog reihenweise Belehrungen und Besserwisserei.

Gestalten Sie Ihren Unterricht unter Anwendung der modernsten Methoden? Kommt die neuste Technik zum Einsatz? Etc. … . Abgesehen davon, dass viele dieser „modernen Methoden“ absolut fragwürdig sind, maßt sich hier ein öffentlicher Auftraggeber an, es besser zu wissen als ein Anbieter, der seit über zwei Jahrzehnten darin spezialisiert ist.

So muss man sich hier ernsthaft fragen: Wer ist hier eigentlich der Anbieter?

 

Nochmal zur Klarstellung: Wenn Sie wissen möchten, welche Konzepte für Ihre Mitarbeiter am besten geeignet sind, dann fragen Sie mich und ich werde Sie beraten. Aber wenn Sie es doch selber besser wissen, warum machen Sie dann überhaupt eine Ausschreibung? 

Mündige Bürger entscheiden rein zufällig ganz gerne selbst

Da es blöder nun wirklich nicht geht, habe ich nach zwei Stunden beschlossen diese Ausschreibung nicht mehr ernsthaft zu verfolgen. Stattdessen habe ich die Fragen unter „Sonstige Bemerkungen“ frei und ehrlich kommentiert:

-       Es geht niemanden etwas an, wie meine Mitarbeiter zum Einsatzort gelangen. Sie sind mündige Bürger, die rein zufällig selbst für sich entscheiden können.

-       Wo ich meine Energie und andere Betriebsmittel einkaufe, überlassen Sie bitte mal mir.

-       Was meinen Sie mit „gendergerechter Sprache“? Bei uns lernen Sie richtiges und gutes Deutsch und keine Kunstsprache.

-       Das Urteil darüber, welche Lernmethoden für Ihre Mitarbeiter am geeignetsten sind, erlaube ich mir als Experte selbst zu fällen.

-       Sagen Sie mir bitte, was Sie eigentlich wollen: Suchen Sie einen verlässlichen Sprachkursanbieter oder suchen Sie einen Weltenretter?

 

Erwartungsgemäß bekam ich den Zuschlag nicht, aber eine bissige Nachfrage konnte ich mir dann doch nicht verkneifen:

 Welcher war der Ablehnungsgrund? Falls es einen fachlichen Ablehnungsgrund gab, bitte ich um Darlegung. - Nein, es war ein rein kaufmännischer Grund – wir waren wohl zu teuer. Da kam mir doch noch die folgende Überlegung in den Sinn: Solange ich (noch) nicht vom Lieferkettengesetz betroffen bin, könnte ich doch die Lehrerhonorare halbieren … dann wären wir nicht mehr so teuer … ein smarter Gedanke … dann könnte ich minder qualifizierte Lehrkräfte einsetzen, die wären dann billiger … etc. … oder? - ist doch so gewollt?

In die Augen schauen statt ausschreiben 

Mein Fazit: Die ausschreibenden Unternehmen tun sich hier keinen Gefallen. Hier wird ein irrer Aufwand betrieben, um am Ende eine mindere Qualität zu bekommen. Dafür hat man aber eine ganze Fachabteilung vor der Arbeitslosigkeit bewahrt.

 

Mein Tipp: Gehen Sie intuitiv vor. Vertrauen Sie Ihrem Anbieter erst einmal, schließen Sie das Geschäft mit einem Handschlag ab und schauen Sie ihm dabei tief in die Augen. Und wenn Sie mit seiner Dienstleistung unzufrieden sind, dann buchen Sie ihn einfach nicht mehr. Dann können Sie sich den ganzen Ausschreibungszirkus sparen.

 

 

 

 

Klaus Gehrmann

Graphic Recorder | Karikaturist | Der „Perlentaucher“ auf ihren Veranstaltungen. Damit ihre Arbeitsergebnisse in bester Erinnerung bleiben und wirken können.

1 Jahr

100% Ressourcen Verschwendung. Mich wollte mal eine Behörde zur Teilnahme einer Ausschreibung drängen, weil sie nur einen anderen Kandidaten für das Projekt hatten. Einen befreundeten Kollegen, der viel besser geeignet war. 😂

Gerhard W. Kessler

Senior Partner at LeanAG

1 Jahr

Bravo! Aber was machen die potenziellen Auftraggeber dann mit den vielen Sesselpupsern welche bislang diesen Mist ausarbeiten?

Henning Zeumer

Program- and Project Management Professional - No more burning Money in insufficient Projects !

1 Jahr

Dieser übertriebene und unnütze Aufwand wird aber tatsächlich nur noch von Öffentlichen Auftraggebern getrieben. Steht so in den (niemals hinterfragten) Vorschriften. Und nach Auftragsvergabe kümmert sich dann niemand mehr (oder zumindest ein anderer Zuständiger) um das Projekt und seinen (plangerechten) Fortschritt. Ein weiterer Grund neben mangelhafter Besetzung (meist nach Preis) und für die Freigabe schöngerechneter Budgets, weshalb öffentliche Projekte immer aus dem Ruder laufen...

Lieber Stefan, das ist ein hervorragender Text, aber eine Glosse ist es (leider) nicht. Du beschreibst die Realität in unserem von fundamentalen Tugendwächtern gelenkten Land.

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