Offener Brief an das Kultusministerium und die Bayerische Staatsregierung.
Hilfe, unsere Bildung ist schwer erkrankt und es gibt noch keinen Impfstoff dagegen (!)
Sehr geehrter Herr Piazolo,
bezugnehmend auf den heute veröffentlichten Artikel von BR24 Unterichtsvorbereitungen laufen auf Hochtouren wende ich mich in einem offenen Brief an Sie. Vor zwei Wochen hatte ich bereits einen offenen Brief an Herrn Söder verfasst. Den Link dazu finden Sie hier: Ein SOS aus Bayern nach Bayern.
Ich möchte auch in diesem Brief explizit hervorheben, dass ich als private Person, als Vater zweier Kinder und nicht als Vertreter eines Unternehmens schreibe. Ich hege keinerlei kommerziellen Interessen, noch unternehme ich den Versuch unterschwellig Werbung zu verbreiten.
Ein intensives und stürmisches Jahr neigt sich jetzt dem Ende entgegen. Zeit um zu reflektieren, auszuwerten und aus den gelebten Erfahrungen die richtigen Ableitungen für die unmittelbare Zukunft zu treffen. Die richtigen Entscheidungen zu treffen ist die größte Herausforderung unserer Gegenwart geworden. Die Balance zwischen Notwendigkeit, Machbarkeit und Rechtmäßigkeit zu finden ist dem Akt auf dem berühmten Drahtseil sehr vergleichbar. Pragmatismus ist oft die einzige Möglichkeit den unvorhersehbaren Entwicklungen von heute sinnvoll erscheinende Prävention für morgen zu verabreichen.
Ich habe eine Tochter (12) und einen Sohn (16). Wenn ich die Ereignisse der letzten 9 Monate aus der Perspektive unserer Bildungspolitik hier in Bayern, aber auch in Deutschland reflektiere ergreift mich nicht nur ein Gefühl des Unbehagens - es entwickelt sich ein Sorge, ja oft eine gewisse Angst, wie mit dem Thema Schule, unseren Kindern, uns Eltern und auch den Lehrer/innen verfahren wird. Manchmal entsteht bei mir der Eindruck alles dreht sich nur darum, die Schulen irgendwie geöffnet zu lassen, krampfhaft an (keineswegs zeitgemäßen) Lehrplänen festzuhalten und darüber auch eine Entlastung für Eltern zu schaffen. Es ist bekannt, dass nicht alle Familien über ausreichend Platzt verfügen und daher Home Schooling, Home Office sowie das "normale" Miteinander an ihre Grenzen stossen. COVID-19 hat insbesondere in den Familien zu einem empfindlichen Anstieg zwischenmenschlicher Gewalt geführt. Für viele ist daher die Schule sicherlich (leider) auch schon eine stabilisierende Säule geworden. Aber das soll nicht den Kontext meines Schreiben bilden. Es geht darum unsere Kinder mit dem richtigen Wissen aufzutanken, sie zu motivieren und neue Wege zu weisen. Die Zukunft ist bunt, sie wird das sein, was wir daraus machen und sie wird vor allem durch unsere Kinder übernommen. Schema F funktioniert nicht mehr. Gut darf hier nicht mehr gut genug sein! Aussergewöhnliche Situationen erfordern mehr als nur Kompromisse oder fragile Flickschusterei.
Unzählige Industrien sind aufgefordert ihre Geschäftsmodelle verändern, Arbeitsplätze werden im Rahmen der Digitalisierung transformiert, die Globalisierung zündet eine weitere Raketenstufe. Business as usual - nicht mehr zukunftsfähig! Wir, die in der heutigen Arbeitswelt leben, werden täglich daran gemessen in immer kürzeren Intervallen, agil und kompetent, richtungsweisende Entscheidung zu treffen, Innovationen zu entwickeln und mit neuen Methoden Mitarbeiter zukunftssischer zu machen.
Wie bereiten wir aber unsere Kinder in der Bildung auf eine Zukunft vor, die sich nicht mehr in Leitplanken zwängen lässt? Für welche Zukunft ist der aktuelle Lehrplan eigentlich konzipiert und ist dieser Pandemie resistent?
Was leben wir unseren Kindern gerade vor - wollen wir uns irgendwann alle mal die Frage stellen lassen, was wir da eigentlich unternommen haben damals? Eins der reichsten Länder dieser Erde setzt ganz offenbar Prioritäten, die mit einer neuen Form von Bildung gar nicht zu tun hat. Es ist bereits 12.00 und in die Uhr tickt immer schneller.
Home Schooling ist mehr als nur eine Alternative für den Schulunterricht vor Ort und diese Form des Unterrichts bereitzustellen kann und darf nicht nur Aufgabe einer Schule sein. Es braucht Instanzen, die hier neue Konzepte entwickelt, die Krisen überstehen, klar formuliert sind und auch in einem Flächenstaat umgesetzt werden können.
Der heute Artikel im BR24 ist dabei aber ein Offenbarungseid. Wo ist hier denn ein Plan sichtbar Herr Piazolo? Ich möchte hier ein paar Punkte aufgreifen.
Diesen Abschnitt muss man sich wirklich drei Mal durchlesen, um aufzugreifen, wie absurd diese Maßnahme ist. Rund ein Achtel der Schüler soll nach der Ertüchtigung der Lernplattform Mebis in der Lage sein selbige zu nutzen. Jetzt mal ganz im Ernst - ich fürchte das ist wirklich Ihr Ernst oder?
Halten wir uns doch mal die Zahlen aus Bayern vor Augen. Quelle ist hier die Broschüre Bayerns Schulen in Zahlen 2019/2020 (Reihe A, Bildungsstatistik, Heft 69) vom Kultusministerium.
Machen wir daraus jetzt eine Mathematikaufgabe nach dem Format "Ich frage, Ich rechne, Ich antworte". Nehmen wir das gute Achtel mal als festen Faktor für den Zugriff auf eine Lernplattform und stellen die Frage, wie viele Schüler/innen werden auf der Strecke bleiben, wenn es temporär keinen Präsenzunterricht bzw. phasenweise nur Blended Learning geben wird/muss. Nehmen wir wir nur die 1.053.365 Schüler/innen der Allgemein bildenden Schulen. Die Antwort ist katastrophal und inakzeptabel. Ist das wirklich alles, was ein Innovationsstaat wie Bayern uns Familien bieten kann? Das würde selbst mit einem ungenügend noch zu friedlich benotet. Das ist kein Desaster - das ist eine Insolvenzerklärung und wenn das wirklich richtig zitiert und ihr Ernst sein sollte bitte ich die Bayerische Staatsregierung hier sofort einzugreifen! Wie viele Millionen werden jetzt noch für ein unterdurchschnittliches Mittelmaß investiert, das keine Belastbarkeit erzeugt.
Aber Moment. Wir wollen uns ja nicht nur an einer Lernplattform festhalten, die sich monatelang in ihrer Performance nicht richten liess. Hier ein weiterer Auszug.
Aus eigener Erfahrung mit unserer Schule und meinen Kindern ist es sicherlich die Videokonferenz gewesen, die nachhaltig für die Vermittlung von Inhalten geführt hat aber glauben Sie wirklich, dass die dargestellte Bandbreite an digitalen Instrumenten zu Erfolgen führen wird? Was haben die eigentlich mit Videokonferenzen zu tun? Bei der Anzahl von Schulen, Lehrer/innen und Schüler/innen darf das Prinzip nicht viel hilft viel sein. Wenn jede Schule, gar jede(r) Lehrer/in experimentell evaluieren kann, was aus der Schar der Hilfsmittel passen könnte enden wir im Chaos! Es braucht eine klare Richtung, wann, welches Tool, welchen Zweck erfüllt und wie dies auch von den Schülern adaptiert werden kann. Sie gehen doch nicht davon aus, dass sich die Eltern als letzte Instanz mit diesen Tools beschäftigen, um sie den Kindern zu erklären?
Wer berät sie da eigentlich technologisch? Ich hoffe, Sie haben da Menschen, die in der Champions League spielen, denn hier geht es um unsere Kinder und unsere Zukunft! Wer soll das jetzt noch verstehen? Mebis als Lernplattform, dazu dann O365, SharePoint, One Drive und weitere, unterschiedliche Anbieter für Cloudspeicher, zusätzlich eine Vielzahl weiterer Videoplattformen und Web Office Programme. Und MS Teams wird von Ihnen ja oft als die Lösung zitiert. Wann verstehen Sie eigentlich, dass IT und Web-Tools nur Konzepte und Strategien begleiten aber nicht ersetzen können. Egal, welcher Hersteller da jetzt drauf steht, jedes Tool ist ein Instrument - aber dieses Orchester müssen Sie dirigieren Herr Piazolo und nicht sich selbst überlassen. Daraus wird keine Sinfonie entstehen. Ja, man muss sicherlich auch handeln, aber man sollte sich auch über die Konsequenzen klar werden. Oder zumindest mal Zeitung lesen und dann Korrekturen vornehmen!
In meinem Brief an Herrn Söder hatte ich schon geschrieben, dass es mir im Grundsatz egal ist, welches Tool meine Kinder nutzen aber es kann doch einfach micht mehr wahr sein, dass es hier bei uns in Bayern ganz offensichtlich immer noch keine klare Startegie gibt, wie es weitergehen soll. COVID wird uns so schnell nicht in Ruhe lassen.
Der Lehrplan muss sich ändern, die Schulen brauchen mehr und vor allem die richtige Unterstützung und es braucht eine nachhaltige Finanzierungsstrategie. Immer nur von der Wand bis zur Tapete denken reicht einfach nicht. Wir sprechen von über 1 Mio Schüler/innen alleine hier in Bayern!
Manchmal bekommen wir einen Platz am Fenster aber schauen gar nicht raus. Sie haben einen Platz in der Business Class der Staatsregierung Herr Piazolo und es ist Zeit raus zu schauen und die vielen weißen Flaggen zu registrieren, die seit Wochen durch das ganze Land geschwenkt werden. Reden ist silber aber RICHTIG handeln ist gold.
Vielleicht lesen Sie meinen letzten offenen Brief an Herrn Söder. Mir geht es nicht darum hier anzuklagen, ich biete auch gerne meine Hilfe an.
Vor kurzem hat ein Mensch ein wirklich gutes Statement gegeben - Die Vergangenheit braucht Dich nicht mehr, aber die Zukunft. Sollte Interesse an einem Gespräch bestehen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
The sky is not the limit anymore.
Thomas Hirschbach-Taddey
Mathematik-Helfer für Millionen 🎬 | Podcaster 🎙 | TEDx Speaker 🎤 | INVESTMENT gesucht: office@danieljung.io
3 JahreDie Energie sollte in Menschen fließen, die die neue Lernwelt schon lange gestalten und Lösungen parat haben. Politik wird irgendwann aufspringen....
Freelancer bei Reiner Fink & Partner
3 JahreSehr gute, verständliche Beschreibung der Situation. Wir erleben es mit unseren Kindern. Wobei unsere Kinder das Glück haben, von Lehrern unterrichtet zu werden, die sich des Themas sehr engagiert annehmen. Aber es ist absolut unverständlich, daß das Lernen nicht aus dem Ministerium organisiert wird. Es fehlt an Technik, Ausbildung der Lehrer und an Methodik/ Didaktik. Jetzt bleiben viele Kinder zurück, eine Katastrophe für die Betroffenen. Staatsversagen von "Macher" Söder, wie auch beim Schutz der Alten und Kranken. Monate hat die Politik untätig vertan, nun ist es plötzlich 5 nach 12...
Berater für IT-Strategie bei confidence consult GmbH Beratung-Training-Coaching
3 JahreSehr interessant Ich habe bereits im November ein Memorandum zum Thema IT an Schulen an Herrn Ministerpräsident Söder geschickt.
"Ob ich helfen kann, weiß ich nicht; ein Einzelner hilft nicht, sondern wer sich mit vielen zur rechten Stunde vereinigt"
3 JahreVerehrter Herr Hirschbach-Tadey, ich unterschreibe fast alles was Sie in Ihrem Brief zum Ausdruck bringen. Nur in einem Punkt glaube ich, das Sie wie man im Tennis sagt "einen Fehler von der Grundlinie machen" Frau Sabine Czerny (Was wir unseren Kindern in der Schule antun) hat es auf den Punkt gebracht "Ein Schulsystem sortiert die Kinder aus, anstatt sie in Ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen" So gesehen und das meine ich nicht ironisch, sind die Maßnahmen der bay. Staatsregierung ein voller Erfolg.
Check Point Software Technology
3 JahreHi Tom, dem kann ich nur zustimmen! Und leider ist es noch viele schlimmer. Zum Beispiel: Für uns aus der IT Branche eigentlich nicht vorstellbar, aber im Innovationsstandort Bayern bekommen Lehrkräfte oft kein Dienst- Notebook gestellt. Und da gibt es noch viele andere Bespiele .....