Was positives Coaching ist und (Führenden) nützt: Neues von Christian Thiele | positiv-fuehren.com | Februar 2022
Liebe Positiv Führenden,
mit dem fabulösen Prof. Dr. Nico Rose habe ich eine aktuelle Folge in meinem Podcast über Positive Psychologie und Führungskräfte-Coaching gemacht. Hier will ich mal ausführlicher aufschreiben, was Positives Coaching aus meiner Sicht ist, bringt, kann.
Was heißt für mich positives Coaching?
Positiv ist das Adjektiv, Coaching das Substantiv, sprich: positives Coaching ist für mich eine Form von Coaching. Coaching wiederum würde ich als einen professionell gestalteten, individuellen kollaborativen Lernprozess verstehen, der Klient*innen auf Basis ihrer Ressourcen hilft, in einem kurz- bis mittelfristigem Wachstumsprozess ihre Potenziale auszubauen. Positiv ist Coaching für mich dann, wenn
Positives Coaching kann damit erstens als ein spezifischer Prozess verstanden werden; zweitens sind es typische Themen, die im positiven Coaching behandelt werden; drittens hat positives Coaching eine ihm eigene Methodik (dass zum Beispiel mit wissenschaftlich erprobten Instrumenten der positiven Diagnostik wie Stärkentests oder Werteskalen gearbeitet wird statt einfach nur aus „Intuition“ oder „Erfahrung“ heraus); und vor allem ist positives Coaching eine Frage der Haltung. Und diese Haltung lässt sich für mich so zusammenfassen: (Gesunde) Menschen haben erstens in der Regel die Ressourcen an Bord, die sie für die Bewältigung der aktuellen Herausforderungen und zu einem Mehr an Performance benötigen – Coaching kann diese sichtbarer und erlebbarer machen. Zweitens will positives Coaching nicht nur Defizite entschlimmen oder Ziele erreichen – sondern Weiterentwicklung und Wachstum jenseits des Problem- und Lösungsraums hinaus ermöglichen.
Anlässe für positives Coaching
„Bei mir läuft alles super, ich würde jetzt mal gerne Coaching ausprobieren!“ Diese Anfrage habe ich noch nicht bekommen. Coaching beginnt meistens mit einem Problem, mit einer Herausforderung, mit irgendeinem „Ach….“. Häufig hängt dieser Anlass mit Veränderungen zusammen: Man ist Vater oder Mutter geworden und will Leben und Arbeit anders zusammenbringen; man hat eine neue (Führungs-)aufgabe und will dieser gut gerecht werden; man hat in einem Jahresgespräch oder aus einer Mitarbeiterbefragung bestimmte Entwicklungsziele identifiziert – oder diese wurden für eineN identifiziert; man steht vor schwierigen Entscheidungen oder in einem fordernden Konflikt; oder es geht um Fragen der Generativität wie: „Wie will ich die Organisation an meine Tochter übergeben? Was will ich in meiner letzten Phase des Berufslebens noch erreichen?“ Oder oder oder.
Wozu positives Coaching?
Liegt der „return on investment“ (ROI) von Coaching nun bei 2,3 zu 1 oder bei 3 zu 1? Manche Studien beziffern auf die Nachkommastelle genau, was der Einsatz von Geld und Zeit beim Coaching den Gecoachten und ihren Organisationen bringen kann. Man kann solche Zahlen erheben, man kann sie nützen – und man kann sie kritisieren. Genauso wie der Nutzen anderer Investments, sei es die neue Softwarelizenz, die zusätzliche Stelle, das neu möblierte Hauptquartier ja auch immer nur näherungsweise errechnet werden kann. Zumal Coachee, Führungskraft und Organisation vielleicht sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was überhaupt erstrebenswerte Veränderungen wären, die sich durch Coaching ergeben.
Aber wenn wir davon ausgehen, dass positives Coaching das Minus kleinermachen kann und das Plus größer und diese Effekte teilweise nur im Dreiecksverfahren zu verstehen sind – dann starten wir doch mal beim Minus: Schon vor der Corona-Pandemie mit ihren Auswirkungen auf Jobsicherheit, Isolationserfahrungen, Depressions- und Angsterkrankungen berichtete rund ein Sechstel der Briten über 16 von mentalen Gesundheitsproblemen. Unterschiedlichsten Studien zu Folge steigt das Stresserleben in der öffentlichen Verwaltung, im Erziehungs-, im Gesundheits- und im Bauwesen besonders stark – in vielen anderen Branchen aber auch. Die durch Krankheit und Präsentismus verlorenen jährlichen Arbeitstage pro Arbeitnehmer stiegen laut „Britain’s Healthiest Workplace“ von 23 im Jahr 2014 auf 35,6 im Jahr 2018. Und wenn wir auf die Plus-Seite schauen: Die Korrelation zwischen Arbeitszufriedenheit und Schlüsselindikatoren wie finanzieller Performance, Kunden- und Angestelltenloyalität ist klar nachweisbar. Motivation in Change-Prozessen erhöhen, Ziele erreichen, Denkmuster erweitern, Engagement im Job erhöhen – und gleichzeitig das individuelle Wohlbefinden der Coachees erhöhen: Dass Coaching das bewirken kann, dazu erscheinen jährlich mehr Studien und Meta-Analysen, die unterschiedliche Studien zusammenfassen. Der Fokus auf Stärken, Kompetenzen, positive Eigenschaften, Denk- und Verhaltensmuster, wie er typisch für das Positive Coaching ist, kann die Brücke zwischen vermehrtem Einsatz im Job und größerer Zufriedenheit in der Arbeit schlagen. Das wäre quasi der „Business Case“ für Positives Coaching. Mehr Klarheit, ein freundlicheres Selbstbild, konstruktiverer Umgang mit eigenen Emotionen sowie den Emotionen anderer, besseres Miteinander mit KollegInnen, Führungskraft, Mitarbeitenden: das sind nur einige der typischen Effekte, von denen mir Coachees häufig im Laufe und am Ende der Zusammenarbeit berichten.
Für wen?
Traditionell ist Coaching ein Vorgesetztenprivileg – manchmal auch eine Vorgesetztenpflicht gewesen: Nur wer hoch genug auf der Unternehmensleiter stand und genügend Probleme hatte und/oder verursachte, bekam Coachings verpasst. Bei manchen war das ab Teamleiter, bei manchen erst auf Partner*innen- oder Geschäftsleitungs-Ebene. In vielen Organisationen, mit denen ich zu tun habe, ist dieses Denken noch nicht ganz verschwunden. Aus meiner Sicht ein Jammer in mehrfacher Hinsicht. Denn zum einen ist der Fokus auf Mängel und Defizite grundsätzlich viel weniger vielversprechend als das Hinschauen auf Stärken, Ressourcen, Potenziale. Zweitens ermöglicht Coaching eine maßgeschneiderte, individuelle Form des (Dazu-)Lernens, die Trainings und Seminare gut ergänzen oder gar ersetzen kann. Die, drittens, nicht nur Führungskräften vorbehalten bleiben sollte. Denn das in vielen Firmen wachsende Projektgeschäft, die häufig wachsende Beschleunigung und Diffusheit, die Umbrüche und Ungewissheiten der nun seit zwei Jahren andauernden Pandemie-Situation und das stark zunehmende Zusammenarbeiten in Remote-Formen sind Beispiele für wachsende Anforderungen auch an „normale“ Mitarbeitende, bei denen Coaching helfen kann. Zumal durch remotes Coaching und Angebote wie CoachHub die „Zugangshürden“ zu Coaching niedriger geworden sind. (Hier muss ich erwähnen, dass ich selbst für CoachHub arbeite und auch ansonsten remote coache – nur damit hier Transparenz hergestellt ist…)
Was müssen positive Coach*innen können, kennen, wissen?
Wie eine positive Coach*in finden, und was sollte der/die können? Journalistin, Berater oder eben auch Coachin kann sich in Deutschland jede und jeder nennen. Überblick über die diversen Coaching-Ausbildungen, -Verbände und -Zertifizierungsanforderungen zu halten, ist daher nicht leicht, erst recht nicht für Coachees, die sich mit diesen Themen ja in der Regel nicht auseinandersetzen. Viele Personaler*innen haben aber inzwischen selbst Coaching-Ausbildungen absolviert – die können weiterhelfen. Was speziell das positive Coaching angeht: Das Inntal-Institut oder die Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie (Transparenzhinweis: für die darf ich immer wieder arbeiten!) zählen zu den führenden Ausbildungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum, deren Lehrgänge auch über den deutschsprachigen Dachverband für Positive Psychologie akkreditiert sind.
An der Deutschen Hochschule für Sport und Gesundheit ist nun der erste Master-Studiengang für Positive Psychologie und Coaching angelaufen. Meine Prognose ist, dass es da künftig noch viel mehr Angebote geben wird und in zehn Jahren CoachInnen ohne spezifische Hochschulausbildung ein Auslaufmodell sein werden. Denn das, was Robert Biswas-Diener und Christian van Nieuwerburgh in einem aktuellen Aufsatz (in Smith et al 2021, siehe unten) als „scientific literacy“ definieren, ist für mich eine wichtige Anforderung an positive CoachInnen. Primärquellen wie Studien oder wissenschaftliche Papers lesen und verstehen; an Kongressen teilnehmen; Fachzeitschriften verfolgen; systematische Weiterbildung pflegen; ein Grundverständnis für die Aussagekraft von Experimenten, Fragebögen, Meta-Analysen etc. besitzen – dies wären Beispiele für diese wissenschaftlichen Grundkenntnisse, die eine CoachIn braucht, um verantwortungsbewusst Einfluss nehmen zu können auf das Denken, Fühlen, Handeln, Kommunizieren ihrer Klientel. Denn das macht Coaching. Neuromythen wie etwa der von den bevorzugten Lern- und Aufnahmekanälen, die angeblich jeder von uns hätte, halten sich so hartnäckig wie sie falsch sind – da müssen Coaches wissenschaftlich auf Ballhöhe sein, finde ich.
Sprechfähig zu sein in Bezug auf Themen wie Emotionen, Stärken, Werte, Zuversicht, Konzepte des Wohlbefindens, vielzitierte Studien und wichtige Theorien der Positiven Psychologie und/oder Positive Leadership kennen und verstehen; ethische Fragen verstehen, versprachlichen und reflektieren können: All das sind Kompetenzen, die positive CoachInnen haben und ausbauen sollten – zusätzlich zu Basis-Attributen wie Empathie, Ausdruckskompetenz, Abgrenzungsfähigkeit, die jedeR CoachIn braucht. Auch Humor soll diesbezüglich hilfreich sein, was man so hört… Gute Antworten übrigens braucht eine gute Coachin, ein guter Coach aus meiner Sicht nicht – aber gute Fragen wären hilfreich. Dann ergeben sich auch die Antworten.
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✅ Was es ansonsten von mir zu vermelden gibt
- In meinem Podcast „Positiv Führen“ ging es zuletzt um Dankbarkeit als Führungs-Kraft; um das Coaching von Führungskräften, das war Thema des Gesprächs mit Prof. Dr. Nico Rose. Thema der kommenden Folge, ab 13.2. live: Führen mit, nach – und trotz Werten!
- Geschrieben habe ich zuletzt über das Was und Wie und Wozu von positive Leadership, über das Formulieren und Erreichen guter Ziele.
- An der DGPP gibt es jetzt wochentagssparsame digitale Ausbildungen zur „zertifizierten Anwender*in der Positiven Psychologie“ (Level 1) – als Trainer durfte ich mit dabeisein, was für ein schöner Auftakt ins Arbeitsjahr!
- In einer großen bayerischen Behörde durfte ich die Führungskräfte in ihrem finalen Weiterbildungs-Modul zu konstruktivem Konfliktmanagement beworkshoppen – und ich fand’s mal wieder spannend zu sehen, wie viel digitale Nähe wir inzwischen per Teams&Co miteinander herzustellen vermögen!
- Für einige Organisationen starte ich gerade Positive Leadership Journeys, in denen wir gemeinsam mit unterschiedlichen Führungskräfteteams durch das Jahr reisen, erstmal remote, dann hoffentlich bald in Präsenz – wer da Interesse hat, gerne melden!
🙏Ein großes Dankeschön an
... Maryam Couchaki für ihren superinteressanten Vortrag über moralisches Handeln und Lernen als Führungskraft
... die isländische Songwriterin, Pianistin, Sängerin Anna Gréta, der wir bei einem sehr, sehr, sehr schönen Jazz-Folk-Pop-Konzert zuhören durften – sie ist gerade auf Deutschland-Tournee!
… Ayelet Fishbach für ihr schlaues, datenreiches, witziges neues Buch „Get it done“ über Motivation, wie man sie aufrechterhält und stärkt
… Tanja Sauer, die unsere Tochter trotz der Entfernung aus nächster digitaler Nähe so humorvoll, zuversichtlich und überhaupt ganz großartig beim Sprung in die siebte Klasse begleitet
… Nathalie, Christian, Kathi, Flo, Lisa, Hansi, Karl, Jens und allen anderen Nachbarn und Freunden, die uns bekocht und versorgt haben, während wir (geboostert) mit Omikron im Bett lagen und unter Quarantäne standen
… meinen Schreibpartner Marcus Schweighart dafür, dass wir (meist) gutgelaunt, (so ziemlich) im Zeitplan und (quasi) vollständig unser Buchprojekt über positive Führungskommunikation manuskriptreif bekommen haben (bei Business Village – bald hier mehr)
... Sie und Euch für Zeit, Aufmerksamkeit und Rückmeldung! Merccccciiiiiii!
Euch und Ihnen einen guten, produktiven, gesunden Februar!
Mit positiven Grüßen aus dem winterlichen Partenkirchen,
Euer und Ihr
Christian Thiele
P.S.: Ihr macht/Sie machen das gut!
Executive Coach (ICF) guiding 300+ Leaders & 100 Firms | Advisor for New Work, Positive Leadership & Agile Transformation | Mindfulness & Resilience Expert | Building Wellbeing, Robust Teams & Thriving Firms
2 JahreSehr guter und umfassender Beitrag zu diesem wichtigen und immer noch nicht so präsenten Thema, danke Christian Thiele 👌
Pioneering Leading Authority in Coaching Ethics & Wellbeing | Speaker, Educator, Coach & Consultant | Founder of Coaching Ethics Forum (CEF), Journal of Coaching Ethics (JoCE) & Ethical Edge Insights (EEi)
2 JahreThank you for mentioning my latest publication.